Finanzkrise Ende einer Ära in Großbritannien

Das Rettungspaket der Regierung leitet eine historische Wende in der Wirtschaftspolitik von Großbritannien ein.

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Premierminister Brown: Die Quelle: PA

Es ist ein Vierteljahrhundert her, dass die Arbeiterpartei Großbritanniens zum letzten Mal die Verstaatlichung der Banken forderte. Nun, rund elf Jahre nach dem Amtsantritt von New-Labour-Premier Tony Blair, findet am größten Finanzplatz Europas eine Teilverstaatlichung der Kreditinstitute statt – mit Billigung der oppositionellen Konservativen. Die Regierung stellt den acht größten Banken und Bausparkassen eine Finanzspritze von bis zu 50 Milliarden Pfund (65 Milliarden Euro) zur Verfügung. Als Gegenleistung übernimmt der Staat Vorzugsaktien der sieben Banken Barclays, HSBC, HBOS, Lloyds TSB, Royal Bank of Scotland (RBS), Standard Chartered, Abbey National und der Bausparkasse Nationwide Building Society.

Brachial hat die Finanzkrise damit auch auf der Insel traditionelle Strukturen weggedrängt. Ausgerechnet in Großbritannien, bisher ein Hort des lupenreinen Kapitalismus, wird der Staat künftig als Anteilseigner mitreden, wenn es um die Geschäftspolitik von Banken, um ihre Dividenden- und Bonuszahlungen oder um Kredite an Unternehmen geht. Premierminister Gordon Brown: „Jetzt ist nicht die Zeit für konventionelles Denken.“ Es gehe nur um die Versorgung mit Eigenkapital und nicht um Einfluss auf das Tagesgeschäft. „Wir wollen keine öffentliche Kontrolle“, versichert auch Finanzminister Alistair Darling. Der Staat rekapitalisiere die Institute – und könne sie danach wieder privatisieren.

In Großbritannien geht die Angst um

Doch Zweifel sind angebracht. „Die Kontrolle und die Regulierung aller Teile des Bankgeschäfts wird zunehmen“, warnt Paul Niven, Experte von F&C Asset Management. Die Regierung hatte aber wohl keine andere Wahl. „Die Rekapitalisierung des Bankensystems ist notwendig, um das Vertrauen in das Finanzsystem wiederherzustellen“, sagt Mervyn King, Chef der britischen Zentralbank, die ihrerseits am Mittwoch ihren Leitzins auf 4,5 Prozent senkte.

Regierung und Währungshüter sind unter Zugzwang geraten, weil einige Banken – allen voran HBOS und RBS – an nur einem Tag bis zur Hälfte ihres Börsenwertes verloren. In Großbritannien geht seitdem die Angst um. Die Regierung will eine Wiederholung der Panik verhindern, die vor einem Jahr verängstigte Sparer massenhaft in die Filialen von Northern Rock trieb. Auf eine Garantie für private Spareinlagen nach deutschem Muster will die Regierung trotzdem vorerst verzichten. Stattdessen erhöhte sie die Garantien auf Einlagen von 35.000 auf 50.000 Pfund (64.000 Euro). Zudem will die Regierung die rund 300 000 Briten entschädigen, die Geld bei der bankrotten isländischen Internet-Bank Icesave angelegt haben. Das Vorgehen der deutschen Bundesregierung hatte in London zu großer Empörung geführt. Die von Kanzlerin Merkel verkündete staatliche Garantie für Spareinlagen wird in London als egoistischer Alleingang bewertet. Brown und Darling waren schon über die irische Entscheidung verärgert gewesen, als erstes Land eine generelle Einlagensicherung in Aussicht zu stellen. Die Briten befürchten einen Kapitalabfluss, der die heimischen Banken weiter destabilisieren würde.

Ein Gutes hat die Krise für den angeschlagenen Gordon Brown allerdings: Seine innerparteilichen Gegner sind vorerst verstummt – und Brown setzt darauf, dass die Briten ihm die Bewältigung der Krise eher zutrauen als dem jungen Oppositionschef David Cameron.

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