Frankreich Der heikle Balanceakt des Emmanuel Macron

Emmanuel Macron hat ein Problem: Mit Manuel Valls schlägt sich ein weiterer Linker auf seine Seite. Die Gefahr für Frankreichs Präsidentschaftskandidaten wird größer, wie ein zweiter Hollande zu wirken. Eine Analyse.

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Immer mehr Linke stellen sich hinter den Kandidaten – und könnten für ihn zum Problem werden. Quelle: AFP

Paris Hat Emmanuel Macron, der junge Überflieger der französischen Politik, den Sieg bei der Präsidentschaftswahl schon in der Tasche? Die Umfragen scheinen darauf hinzudeuten. Macron und Marine Le Pen liegen in den Befragungen für den ersten Wahlgang am 23. April mit rund 25 Prozent der Stimmen mehr oder weniger gleichauf. In der Stichwahl am 7.Mai würde der 39-Jährige die Chefin der rechtsextremen Front National mit 60:40 klar schlagen – sagen die Umfrageinstitute.

Der Konservative François Fillon ist durch seine Skandale um Scheinbeschäftigung, geschenkte Uhren und Anzüge deutlich zurückgefallen und rangiert mit 18 bis 20 Prozent auf dem dritten Rang. „Das ist zu wenig, um es in dreieinhalb Wochen in die Stichwahl zu schaffen“, zitiert die Tageszeitung „Le Monde“ einen Fillon-Getreuen. Im Zuge der Affären haben viele Politiker Fillon den Rücken zugedreht. Die Mannschaft in seinem Hauptquartier nahe der Pariser Messe ist kleiner geworden.

Doch die, die jetzt noch da sind, stehen wie ein Block hinter ihm. Sie sind bereit, für ihn durchs Feuer zu gehen und geben die Hoffnung nicht auf: „Noch ist nichts entschieden, Fillon kann es noch schaffen“, sagt Florence Coupry, eine der Kampagnensprecherinnen des Konservativen, stellvertretend für den harten Kern.

Fillons Wahlkampfstil allerdings wirkt derzeit wie die beste Garantie dafür, dass sich das Blatt nicht mehr zu seinen Gunsten wendet: Statt voll auf sein Programm zu setzen, das gute Kritiken erhält, verzettelt er sich mit seltsamen Vorwürfen an die Adresse der Regierung und von Staatspräsident Francois Hollande, der ein „Schwarzes Büro“, eine Art Geheimzelle organisiert habe. Aus deren Fundus stammten die Vorwürfe gegen ihn. Doch der Job-Skandal wurde von einer unabhängigen Wochenzeitung aufgedeckt und die unabhängige Justiz hat Fillon offiziell beschuldigt. Hollande ist bereits politische Vergangenheit, Vorwürfe gegen ihn treiben Fillon keine Wähler zu.

Doch niemand weiß, ob Fillon endgültig abgeschlagen ist. Klar ist, dass nur ein Teil der Konservativen für ihn Wahlkampf macht und viele sich von den Affären abgestoßen fühlen. Doch auch die Demoskopen können nicht voraussagen, ob dieser Effekt bis zum ersten Wahlgang am 23. April anhalten wird. 40 Prozent der Wahlberechtigten sind noch unentschieden. Für Deutschland wäre das ein hoher Wert so knapp vor einer Wahl. In Frankreich dagegen gilt mittlerweile als Faustformel, dass bis zu einem Drittel der Wähler sich erst in der letzten Woche entscheiden.

Macron selbst scheint klar zu sein, dass die Wahl noch lange nicht gelaufen ist. Zwei Vorwürfe machen ihm derzeit zu schaffen: „Macron ist ein zweiter Hollande, der Kandidat der Stagnation“, greift Fillon ihn an. Seine Anhänger zählen auf, dass bereits fünf Minister und Staatssekretäre und mehrere Dutzend Parlamentarier der Sozialisten zu ihm gestoßen seien. Am Mittwoch kam der frühere Ministerpräsident Manuel Valls hinzu. Er werde alles tun, um zu verhindern, dass Marine Le Pen an die Macht komme.

Doch je mehr Linke sich Macron anschließen, desto größer wird die Gefahr, dass der frühere Wirtschaftsminister wie die Verlängerung von Hollandes Präsidentschaft wirkt. Macrons politisch besonders attraktiver Anspruch, den lähmenden Links-Rechts-Gegensatz zu überwinden, ginge da verloren. Ein zweiter Vorwurf kommt hinzu.


„Neue Methode, neue Praxis, neue Mannschaft“

Sowohl Konservative als auch Linke sagen voraus: Sollte er Präsident werden, bekomme Macron bei der anschließenden Parlamentswahl im Juni keine eigene Mehrheit und werde ein Präsident, der auf wechselnde Mehrheiten setzen müsse: eine lahme Ente. Der Kandidat nimmt diese seit Wochen wiederholten Angriffe so ernst, dass er am Dienstagnachmittag extra eine Pressekonferenz anberaumte – nur zu diesem Thema.

„Ich freue mich über jede Unterstützung, aber nichts wird mich davon abhalten, das Land tief zu reformieren: Ich werde die Methode, die Praxis und die Regierungsmannschaft erneuern“, versicherte Macron. Dann machte er klar, dass die sozialistischen Neuzugänge ihn zu nichts verpflichten: „Wir schulden niemandem etwas, nur den Franzosen.“ Erstmals verlangte er sogar von Überläufern aus anderen Parteien, „dass sie bei der Parlamentswahl nur unter dem Banner der ,Mehrheit für den Präsidenten‘ antreten.“ Mit anderen Worten: Sie müssen ihre früheren Bindungen völlig aufgeben.

Der 39 Jahre junge Kandidat sprach auch die Zweifel an der eigenen Mehrheit im Parlament an. Will er eine Koalition bilden, vielleicht gar mit wechselnden Mehrheiten regieren? Macron ließ sich keine Hintertür offen, sondern gab eine Verpflichtung ab, setzte den Einsatz hoch: „Ich werde keine Mehrheiten von Fall zu Fall bilden, das gab es 1988, es war instabil.“ Der Sozialliberale will die eigene Mehrheit, die brauche er für die Erneuerung des Landes, und er sei überzeugt: „Wenn die Franzosen keine tiefe Erneuerung des politischen Lebens wollen, werden sie mich nicht wählen.“ Er stehe für „eine neue Methode, eine neue Praxis und auch eine neue Mannschaft.“ Die Franzosen hätten die immer selben Gesichter satt.

Das Satthaben gilt dagegen nicht für den Wahlkampf, der gefühlt schon eine Ewigkeit dauert und bereits im vergangenen Jahr mit den Vorwahlen der Konservativen begonnen hat, die Fillon gewann. Die Präsidentschaftswahl ist die einzige, die die Franzosen wirklich bewegt. Bei der wollen sie eine gute Show geboten bekommen: Von den Kandidaten werden exzellente Rhetorik, originelle Einfälle und ein gehöriges Maß an Polemik erwartet. Ein wohltemperierter Wahlkampf wie in Deutschland hätte in Frankreich keine Chance.

Wahlsendungen im Fernsehen stoßen auf großes Interesse, selbst wenn sie drei Stunden dauern. Die Kandidaten stehen monatelang im Dauereinsatz. Reisen nach Afrika in die Ex-Kolonien und nach Südamerika in die Überseegebiete gehören zum Pflichtprogramm, genau wie Auftritte in allen Teilen von Festland-Frankreich. Zusätzlich wollen auch noch die Verbände bedient werden und möchten den Kandidaten auf den Zahn fühlen.

Am Dienstagmorgen lud der Unternehmerverband Medef zum Kandidatentest: Eine Stunde mündliche Prüfung mit Pitch und Befragung durch jeweils vier Experten. Macron, Le Pen und Fillon hatten so Gelegenheit, vor ein paar hundert Vertretern des Unternehmerverbandes für ihr Programm zu werben. Der Sozialliberale, die Rechtsextreme und der Konservative nutzten die Chance sehr unterschiedlich, so wie ihre Lage im Rennen sich nicht vergleichen lässt.

Macron verstand es, zu überzeugen. Er wurde mit gedämpftem Applaus begrüßt, drehte den Saal aber um und wurde mit starkem Beifall verabschiedet. Auf einer Bühne mit blau-weiß-roten Leuchtröhren stellte er sein Projekt viel klarer als vor einer Woche in der TV-Debatte unter eine große Überschrift: Er wolle Vertrauen schaffen. Vertrauen in die Aktion des Staates, der sich nicht mehr in alles einmischen werde. Vertrauen in schnelle Veränderungen: Sofort zu Beginn seiner Präsidentschaft werde er den Arbeitsmarkt reformieren. Statt gesetzlicher Vorschriften für alles soll es in den Unternehmen verhandelte Einigungen geben.

Macrons Programmchef Jean Pisani-Ferry erläuterte später, dass nicht nur über die Arbeitszeit in den Unternehmen verhandelt werden soll – das erlaubt die gerade verabschiedete Arbeitsreform schon. „Wir wollen das ausdehnen, auch auf die Löhne und die Arbeitsbedingungen.“ Beabsichtigt sind nicht nur Verhandlungen auf Ebene der Unternehmensgruppen, sondern auch in einzelnen Werken. Das würde sehr viel mehr Flexibilität für die Wirtschaft schaffen – oder das Kräfteverhältnis zulasten der Arbeitnehmer verändern, wie die Gewerkschaften fürchten.


Le Pen blamiert sich

Macrons Programm ist radikaler als der sanfte Ton des Kandidaten es vermuten lässt. Die Arbeitslosenversicherung werde er ebenfalls sofort umgestalten und auch die Berufsausbildung, kündigte Macron am Dienstag an. Dann folge die Reform der Rente und der Körperschaftsteuer. „Wir werden für fünf Jahre klare Rahmenbedingungen schaffen“, versprach der frühere Wirtschaftsminister.

Von der Digitalisierung bis zur Europapolitik deklinierte er sein Thema Vertrauen durch, stets frei sprechend und im Dialog mit den Unternehmern. In Europa müsse Frankreich wieder glaubwürdig werden, durch die tatsächliche Verringerung seines Staatsdefizits. Dann aber müsse Deutschland, das gegenwärtig zu viel konsolidiere, bereit sein, durch Investitionen für mehr wirtschaftliche Dynamik zu sorgen.

Le Pen, die mit einem großen Stoß Spickzettel auf die Bühne kam, fiel dagegen stark ab. Konkrete Antworten, wie sie von ihr verlangt wurden, sind nicht ihre Stärke. Die Unternehmer wollten von ihr wissen, wie sie die Zuversicht der Unternehmer stärken wolle, wenn sie als erstes aus dem Euro austreten wolle. Zunächst wich die Rechtsextreme aus: „Das ist die Entscheidung der Franzosen, ich werde lediglich mit der EU verhandeln.“ Antworten zum Wohnungsbau, zur 35-Stunden-Woche oder zur Förderung von Start-ups musste Le Pen vom Blatt ablesen.

Nachdem sie sich mehr schlecht als recht durch die Fragen manövriert hatte, bekam sie zum Ende einen plötzlichen Energieschub – und zerstörte den Eindruck der Mäßigung. Ausgerechnet vor dem Verband, der klar hinter dem Euro steht, schoss sie als Schlusswort eine volle Breitseite gegen die Gemeinschaftswährung ab: „Der Euro ist nicht lebensfähig, seinetwegen haben wir einen Verlust an Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Deutschland.“

Wenn Frankreich aus der Gemeinschaftswährung ausscheide, werde „es sehr wahrscheinlich keine Abwertung des neuen Franc geben, sondern eine Aufwertung der Mark.“ Das ist zwar mehr oder weniger dasselbe, aber offenbar hatte ihr das niemand aufgeschrieben. Plötzlich war sie völlig entfesselt: „Wir haben fünf Jahrhunderte mit unserer Währung immer nur gewonnen, hören Sie auf, den Menschen Angst zu machen, den großen bösen Wolf gibt es nicht.“ Vor dem Plenum der Unternehmer hatte die Front-National-Chefin sich damit selber blamiert.

Fillon hatte anschließend keine Probleme, den zuverlässigen, soliden Kandidaten zu geben. Er genießt die inoffizielle Unterstützung des Medef, weil er die Staatsausgaben und die Beschäftigung im öffentlichen Dienst stärker senken will als Macron. „Der ist für und gegen die 35-Stunden-Woche, für und gegen die Vermögensteuer“, unkte der Ex-Premier. Er habe ein großes Ziel: „Vollbeschäftigung, in zehn Jahren kann Frankreich die erste Macht Europas sein“ sagte Fillon.

Trump, Putin und die Chinesen hätten ihre Strategien der Macht und des Protektionismus, „gegen die muss Europa bestehen, und dafür brauchen wir wieder ein ausgewogenes deutsch-französisches Verhältnis“, argumentierte der Fillon. Das will er erreichen, indem Frankreich wieder stärker wird: „Durch Arbeitsmarktreformen und den Abbau des Defizits.“

Für ihn war die mündliche Prüfung durch den Unternehmerverband ein Heimspiel. In der französischen Öffentlichkeit hat er es deutlich schwerer: nur 13 Prozent der Franzosen halten ihn für aufrichtig und 60 Prozent haben eine negative Meinung von ihm. Der frühere Favorit muss sich anstrengen, will er es noch in die Stichwahl schaffen.

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