Herr ElBaradei, der Arabische Frühling hat viele Hoffnungen geweckt – und wenig später für Ernüchterung gesorgt. Geht es den Menschen in Ihrem Heimatland Ägypten heute besser oder schlechter als vor der Protestwelle im Januar 2011?
Mohammed ElBaradei: Der Arabische Frühling hat an vielen Stellen gewirkt. Und tut es bis heute. Es sind keine Wunder passiert, aber natürlich geht es den Menschen besser als in den Jahrzehnten unter Ex-Präsident Husni Mubarak, einem Autokraten, der Menschenrechte mit Füßen getreten hat. Ich verstehe gleichwohl die Zweifel: Die Leute haben erwartet, dass sich die Dinge über Nacht ändern. Sie haben Sehnsucht danach, dass sich ihre Lage so schnell wie möglich grundlegend ändert. Aber das tut sie leider nicht. Wir wissen aus der Vergangenheit, dass es Zeit braucht, um ein autoritäres System in eine Demokratie zu verwandeln.
Husni Mubarak - vom Präsidentenpalast in den Anklagekäfig
Husni Mubarak hat rund 30 Jahre lang über Ägypten geherrscht, dann zwangen ihn Massenproteste zum Rücktritt. Am 11. Februar 2011 flieht Mubarak nach Scharm el Scheich, das Militär übernimmt die Macht.
Der Ex-Präsident sitzt in Untersuchungshaft. Wegen einer Herzattacke wird er in eine Klinik gebracht.
Ein Untersuchungsbericht macht Mubarak für den Tod von 846 Menschen während der Unruhen mitverantwortlich.
Der Prozess beginnt. Mubarak wird im Krankenbett in den Gerichtssaal geschoben; er streitet alles ab.
Das Gericht verurteilt Husni Mubarak zu lebenslanger Haft. Seine Söhne Alaa und Gamal werden vom Vorwurf der Korruption freigesprochen. Vor dem Gericht kommt es zu Tumulten. Mubarak wird in die Intensivstation der Klinik des Gefängnisses Tora gebracht.
Ein Kassationsgericht entscheidet, dass der Prozess gegen Mubarak neu aufgerollt werden muss. Es gibt Beschwerden von Verteidigung und Staatsanwaltschaft statt. Mubarak bleibt in Haft.
Die Neuauflage des Prozesses endet kurz nach dem Beginn. Angesichts von Befangenheitsvorwürfen der Opferfamilien zieht sich der Richter Mustafa Hassan aus dem Verfahren zurück.
Der Prozess beginnt erneut.
Ein Berufungsgericht ordnet in einem Verfahren um Privathäuser der Mubarak-Familie, die angeblich mit staatlichen Mitteln errichtet wurden, die Freilassung des ehemaligen Staatschefs an. Er bleibt jedoch in Untersuchungshaft. Der Generalstaatsanwalt hatte kurz zuvor gegen ihn ein weiteres Verfahren wegen anderer Baumaßnahmen auf Staatskosten eröffnet.
Erwarten die Ägypter tatsächlich so viel? Mir scheint es, sie möchten lediglich eine Perspektive und einen Job. Und beides bekommen sie von den Eliten nicht – unabhängig davon, wer gerade an der Macht ist.
Es gibt viele Baustellen. Wir erschaffen gerade eine neue Kultur, ein neues Lebensumfeld. Dazu gehört, dass wir lernen müssen, wie eine Zivilgesellschaft funktioniert. Wir brauchen glaubwürdige, fähige Institutionen, starke Parteien und eine schlagkräftige Wirtschaft. Wir sind bereit, daran zu arbeiten. Die jungen Menschen, die bereit waren auf die Straße zu gehen und zu demonstrieren, sehen dank der Sozialen Netzwerke, dass die Welt anders sein kann und sie wissen jetzt, was Freiheit heißt und was soziale Gerechtigkeit ist. Sie sehnen sich nach Veränderung – aber sie brauchen Geduld.
Zum Hintergrund
ElBaradei ist ein ägyptischer Diplomat. Er war von 1997 bis zum November 2009 Generaldirektor der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) und erhielt zusammen mit dieser im Jahr für den Kampf für Abrüstung im Jahr 2005 den Friedensnobelpreis. Vom 14. Juli 2013 bis zum 14. August 2013 war er Vizepräsident Ägyptens.
Das Campus Symposium ist eine internationale Wirtschaftskonferenz, die alle zwei Jahre von Studenten der Business and Information Technology School in Iserlohn veranstaltet wird. Das bekannte Wirtschaftstreffen fand am 4. und 5. September 2014 bereits zum achten Mal auf dem Campus Seilersee statt. In diesem Jahr dabei waren u.a. Ex-Bundespräsident Roman Herzog, Sir Bob Geldof und Friedensnobelpreisträger Mohammed ElBaradei.
Und Jobs.
Ägypten braucht Wirtschaftswachstum und neue Jobs, ja. Es kann nicht sein, dass ein Großteil der jungen Menschen ohne Arbeit ist. Das schafft große soziale Probleme. Das sind keine ägyptischen oder afrikanischen Probleme, Südeuropa steht vor dem gleichen Dilemma. Perspektivisch schaffen wir Jobs vor allem dann, wenn wir ein stabiles System haben. Und wenn alle Bürger die Chance auf gute Bildung haben.
Bildung braucht aber Zeit.
Man muss ja irgendwo anfangen. Der Westen, auch Deutschland, muss hier helfen. Bildung ist der Schlüssel zu allem. Nicht nur, um einen guten Job zu finden, sondern auch, um die Grundwerte einer Gesellschaft – die Unantastbarkeit des Lebens, die Gleichheit aller – zu verstehen. Je mehr wir in Bildung investieren, desto schneller erreichen wir unser Ziel.
Was kann die ägyptische Regierung in den nächsten Jahren tun, um das Vertrauen von Investoren, Geschäftspartnern und den Menschen wiederzugewinnen? Die Deutschen sind sich beispielsweise nicht sicher, ob sie nach Ägypten reisen können.
Wir müssen die Menschen mitnehmen und eine Gesellschaft errichten, in der alle an einem Strang ziehen. Man muss den kleinsten gemeinsamen Nenner finden, unter dem alle zusammenleben können, sodass keiner diskriminiert wird. Wenn wir das erreichen, kommen auch die Sicherheit und das Vertrauen aus dem Ausland zurück.
"Die Angst vor IS ist groß – aber auch die Bereitschaft, zu kämpfen"
Wie sehr hat das Vertrauen in Ägypten durch den Sturz von Präsident Mohammed Mursi gelitten, der die ersten freien Wahlen Mitte 2012 gewonnen hatte und vom Militär aus dem Amt geputscht wurde?
Das Land stand kurz vor einem Bürgerkrieg, die Situation war sehr kritisch. Deswegen gab es den Militärputsch. Jetzt müssen sich die Menschen gegenseitig zuhören.
Passiert das denn?
Noch nicht. Die Menschen haben von allen Seiten Leid erlitten, jetzt muss ihnen Recht widerfahren. Momentan finden die Menschen aber noch nicht an einen gemeinsamen Tisch.
Noch einmal zurück zur Sicherheit in Ihrem Land. Können Touristen sorglos nach Ägypten reisen?
Ich glaube, die größten Probleme sind überwunden. Es gibt noch seltene Fälle von Gewalt, vor allem im Landesinneren, aber die Touristenhochburgen sind sehr sicher.
Wie groß ist in Ägypten die Angst vor den Terroristen vom Islamischen Staat (IS)?
Ich denke, jeder Staat und jeder Bürger in Nordafrika ist über den Vormarsch von IS besorgt. Die IS-Kämpfer wollen zurück in die Steinzeit: Sie morden, sie foltern, sie unterdrücken, sie dulden keine Widerrede. Das kann keiner unterstützen, der klar im Kopf ist. Die Angst ist da – aber auch die Bereitschaft, den Terroristen Einhalt zu gebieten.
Fakten zum Terror im Irak
Die Terrorgruppe ISIS („Islamischer Staat im Irak und in Syrien“) ist eine im Syrienkrieg stark gewordene Miliz. Die Gruppe steht seit 2010 unter Führung eines ambitionierten irakischen Extremisten, der unter seinem Kriegsnamen Abu Bakr al-Baghdadi bekannt ist. Die USA haben zehn Millionen Dollar auf seinen Kopf ausgesetzt. Ihm ist es in den vergangenen vier Jahren gelungen, aus einer eher losen Dachorganisation eine schlagkräftige militärische Organisation zu formen. Ihr sollen bis zu 10.000 Kämpfer angehören.
Die Gruppe nannte sich Ende Juni in IS um, da sie die Einschränkung auf den Irak und Syrien aufheben wollte.
ISIS sind Dschihadisten, Gotteskrieger. Sie kämpfen für eine strikte Auslegung des Islam und wollen ihr eigenes „Kalifat“ schaffen. Ihre fundamentalistischen Ziele verbrämt Isis bisweilen - wenn es in einzelnen Regionen gerade opportun erscheint. „Im Irak gerieren sie sich als Wahrer der sunnitischen Gemeinschaft“, weiß Aimenn al-Tamimi, ein Experte für die militanten Einheiten in Syrien und im Irak. „In Syrien vertreten sie ihre Ideologie und ihr Projekt weit offener.“ In der syrischen Stadt Rakka beispielsweise setzen die Extremisten ihre strikte Auslegung islamischer Gesetze durch. Aktivisten und Bewohner in der Stadt berichten, dass Musik verboten wurde. Christen müssen eine „islamische Steuer“ für ihren eigenen Schutz zahlen.
Ihre Taktik ist eine krude Mischung von brutaler Gewalt und Anbiederung - alles zwischen Abschreckung durch das Köpfen von Feinden und Eiscreme für die Kinder in besetzen Gebieten. Das alles dient der Al-Kaida-Splittergruppe Isis nur zu einem Ziel: den Islamischen Staat im Irak und Syrien zu bilden, den ihr Name verheißt. Die Gruppe, der bis zu 10.000 Kämpfer angehören sollen, hat diese Woche die irakischen Städte Mossul und Tikrit überrannt und den Marsch auf Bagdad angekündigt.
Zu Jahresbeginn hatte Isis bereits die Stadt Falludscha und Teile der Provinz Anbar westlich von Bagdad unter ihre Kontrolle gebracht. Inzwischen hat ISIS maßgeblichen Einfluss auf ein Gebiet, das von der syrisch-türkischen Grenze im Norden bis zu einem Radius von 65 Kilometern vor der irakischen Hauptstadt reicht. Der einstige Ableger des Terrornetzwerks Al-Kaida, den US-Truppen vor ihrem Abzug aus dem Irak 2011 besiegt zu haben meinten, blüht in einer neuen Inkarnation wieder auf. Dabei profitiert Isis von den Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten, die ihre sunnitische Anhängerschaft radikalisieren.
Bislang drangen ISIS-Kämpfer bis zur Provinz Dijala knapp 60 Kilometer nördlich von Bagdad vor. Rund 50 Kämpfer sollen dort laut Medienberichten bei Gefechten mit der irakischen Armee getötet worden sein. Die Isis habe sich daraufhin zurückgezogen, hieß es. Mittlerweile haben die Kämpfer die Städte Dschalula und Sadija in der Provinz Dijala unter ihre Kontrolle gebracht. Die Städte liegen 125 beziehungsweise 95 Kilometer von Bagdad entfernt.
Nach dpa-Informationen erbeuteten ISIS-Kämpfer in Mossul 500 Milliarden irakische Dinar (318 Millionen Euro) in der Zentralbank. Damit wird Isis zur reichsten Terrororganisation vor Al-Kaida. Experten schätzen das Vermögen der Al-Kaida auf 50 Millionen bis 280 Millionen Euro. Auch schweres Kriegsgerät soll ISIS erbeutet haben. Im Netz kursierende Videos zeigen irakische Panzer und Helikopter mit der schwarzen Flagge der Isis bei einer Militärparade in Mossul.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch warf Isis Bombenanschläge in Wohngebieten, Massenexekutionen, Folter, Diskriminierung von Frauen und die Zerstörung kirchlichen Eigentums vor. Einige Taten kämen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gleich. Nach Angaben der Organisation Ärzte ohne Grenzen sind mittlerweile rund eine Million Iraker auf der Flucht. Viele versuchten das als stabil geltende kurdische Autonomiegebiet im Nordirak zu erreichen. Allein in Mossul waren binnen weniger Stunden 500.000 Menschen vor den Extremisten geflohen.
Ministerpräsident Al-Malikis Versuch, am 12. Juni 2014 den Notstand auszurufen, war am Parlament gescheitert, das eine Abstimmung wegen mangelnder Beteiligung verschob. Seit Monaten zeigt sich Al-Maliki praktisch machtlos gegen den Terror sunnitischer Extremisten im Land. Dieser kostete seit April 2013 Tausenden Menschen das Leben.
Der UN-Sicherheitsrat sagte der irakischen Regierung einmütig Unterstützung im Kampf gegen Terrorismus zu. Die Nato und Großbritannien schlossen einen militärischen Eingriff aus. Auch der iranische Präsident Hassan Ruhani hat dem Nachbarland die uneingeschränkte Solidarität im Kampf gegen die Terrorgruppe Isis zugesichert. Sowohl auf regionaler als auch internationaler Ebene werde der Iran alles im Kampf gegen die Terroristen im Irak unternehmen, sagte Ruhani dem irakischen Regierungschef Nuri al-Maliki. Mittlerweile prüft die US-Regierung auch militärische Optionen.
Die Regierungen in Europa und Nordamerika reiben sich verwundert die Augen über den schnellen Vormarsch des IS. Hat die westliche Welt die Bewegung verschlafen?
Ich würde nicht sagen verschlafen, aber vielleicht unterschätzt. Ich muss gestehen, dass auch ich IS vor fünf Jahren kaum gekannt habe. Deren Aufstieg kam schnell, auch für mich. Aber: Der Islamische Staat ist nicht aus dem Nichts entstanden. Vergessen Sie nicht: Wir haben seit drei Jahren einen Bürgerkrieg in Syrien, bei dem bereits über 200.000 Menschen gestorben sind. Und nichts passiert, der Westen schaut weg. Dann haben wir den Irak, der geteilt ist. Ethnische Gruppen haben ihre Einflusssphären abgesteckt; Gewalt ist an der Tagesordnung. Dass in solch einem Umfeld Extremisten leichtes Spiel haben, ist im Endeffekt wenig überraschend.
Der Nahe Osten ist seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, ein Pulverfass. Wieso konnte IS gerade jetzt stark werden?
Es gibt im Nahen Osten viele Extreme. Es gibt stabile Staaten und weniger stabile Staaten. Es gibt Menschen, die in Wohlstand leben, aber auch bittere Armut und Hoffnungslosigkeit. Die Lebensbedingungen sind sehr unterschiedlich. Die Probleme in Syrien und dem Irak haben diese Dinge verschärft. Hinzu kommt, dass die Welt näher zusammengerückt ist. Dank Fernsehen und Internet sind Informationen überall zugänglich. Bilder aus dem Westen laufen über die Bildschirme. Und die Menschen haben den Wunsch, ähnlich zu leben. Sie begehren gegen die Machthaber auf – und bei Missfall radikalisieren sie sich. Dass IS ihre Not vergrößert, blenden viele leider aus. Sie glauben deren Versprechungen, dass IS für Gerechtigkeit sorgt und dass die Terroristen im Namen Gottes kämpfen.
"Bomben können Leben ausrotten, aber nicht die Armut besiegen"
Der Westen versucht nun, dem Treiben ein Ende zu bereiten. Deutschland wird Waffen an die Kurden liefern. Ein richtiger Schritt?
Natürlich müssen wir den Kurden helfen. Natürlich müssen wir den Jesiden helfen. Deswegen begrüße ich generell die Bereitschaft, die bedrohten Volksstämme zu unterstützen. Auch militärisch. Aber wir sollten bedenken, dass Gewalt alleine, nicht die Lösung der Probleme ist.
Diese Waffen liefert Deutschland in den Nordirak
Das G3 kann Ziele in bis zu 300 Metern Entfernung treffen, mit Zielfernrohr reicht es bis zu 600 Meter weit. Der automatische Rückstoßlader wird von allen Truppenteilen des Heeres genutzt.
Das G6 soll nach Angaben der Bundeswehr „überraschend auftauchende Ziele reaktionsschnell“ bekämpfen. Es zeichne sich durch seine einfache Bauweise aus, heißt es.
Das MG3 gilt als „schwere Waffe“ und wird unter anderem zur Abwehr gegnerischer Flugzeuge eingesetzt. Es kommt auch an Bord von Kampfpanzern oder Hubschraubern zum Einsatz.
Die P1 dient „zur Selbstverteidigung im Nahkampf“ und wird vor allem von Sanitäts- und Führungspersonal genutzt. Mittlerweile wurde sie in vielen Bereichen vom Modell P8 abgelöst.
Die tragbare Panzerabwehrwaffe "Milan" kann gepanzerte Fahrzeuge in einer Entfernung von 300 Metern bis zu fast zwei Kilometern zerstören. Der mit einem Gefechtskopf bestückte Flugkörper durchschlägt bis zu 70 Zentimeter dicken Panzerstahl.
Die Panzerfaust 3 zerstört leicht gepanzerte Fahrzeuge oder Bunker. Die Waffe kann aus geschlossenen Räumen heraus abgefeuert werden und kommt auch in der Schweiz und den Niederlanden zum Einsatz.
Die schweren Panzerfäuste der Bundeswehr werden seit Mitte der 1990er Jahre nur noch für Leuchtmunition genutzt und daher auch als „Leuchtbüchsen“ bezeichnet. Sie leuchten das Gelände in einem Radius von etwa 400 Metern aus.
Signalpistolen gehören unter anderem zur Ausstattung von Gruppen- und Zugführern. Damit werden Leucht- und Signalmunition sowie Rauch- und Knallpatronen abgefeuert.
Die DM51 gibt es seit 1974 in der Bundeswehr. Sie wiegt 450 Gramm und beinhaltet rund 5700 Stahlkugeln. Ihr Wirkradius beträgt bis zu 20 Meter.
Was wäre die Lösung?
Bomben können Leben ausrotten, aber nicht die Armut besiegen. Im ersten Schritt müssen wir IS militärisch zurückdrängen. Perspektivisch aber ist es wichtig, die Ursache zu bekämpfen, warum diese Terroristen bei so vielen Menschen Gehör finden. Wir müssen die Lebensbedingungen der Familien im Irak, in Syrien, in Palästina und vielen weiteren Staaten verbessern. Wir brauchen Frieden, Bildung und Wohlstand. Deswegen warne ich auch vor militärischen Alleingängen.
Es reicht nicht aus, wenn sich nur Deutschland Gedanken macht, wie IS zu bekämpfen ist. Die internationale Gemeinschaft muss sich zusammenschließen und über die nötigen Schritte beraten – bei möglichen Militärinterventionen sowie beim Wiederaufbau der fragilen Staaten und Regionen. In meinen Augen ist der UN-Sicherheitsrat dafür der geeignete Ort. Er sollte über das Thema diskutieren und eine Resolution verabschieden.
Der Sicherheitsrat hat in der Vergangenheit oft quälend lange gebraucht, um zu einer Entscheidung zu kommen.
Das stimmt. Aber das lasse ich als Argument für Alleingänge nicht gelten. Wir dürfen nicht die Fehler des Irak-Kriegs wiederholen und außerhalb des Völkerrechts agieren. Wir brauchen eine Legitimation für einen militärischen Einsatz, und den kann nur der UN-Sicherheitsrat liefern. Das sollte mit Blick auf ISIS auch nicht all zu schwer sein und zu lange dauern. Ich glaube, alle Nationen sind sich einig, dass IS gestoppt werden muss. Der Kampf gegen islamische Terroristen in Mali könnte als Vorbild gelten.
Dort hat Frankreich die Führung übernommen, Deutschland war wenig begeistert über die Offensive.
Frankreich hat die Führung übernommen, ja. Aber es wurde von Deutschland und weiteren Nationen unterstützt. Wer letztendlich die Dinge in die Hand nimmt, ob Paris, Berlin oder Washington ist egal. Wichtig ist, dass es unter dem Dach der UN passiert.
Krisenländer von Russland bis Nordafrika
Libysche Warlords spalten ihr Land, und am Nil bekämpfen sich Armee und islamistische Terroristen.
Krieg zu führen ist für alle Beteiligten irrational, aber für einen Frieden ist das gegenseitige Misstrauen viel zu stark.
Falsche Freunde in der Nachbarschaft werden zur Gefahr.
Wirtschaftliche Entwicklung ist dringend nötig - stattdessen lebt das Land im Krieg.
Deutschlands wichtiger Wirtschaftspartner verliert seine Glaubwürdigkeit.
Die USA ziehen ab, Taliban und al-Qaida bleiben.
Zwei Staaten drohen unter dem Ansturm radikaler islamischer Terroristen endgültig zu zerbrechen.
Die Atomverhandlungen stocken, die Außenpolitik bleibt aggressiv wie immer.
Der superreiche Zwerg sponsert den Islamismus weltweit.
Sollte Deutschland ganz allgemein und abseits der aktuellen Debatte über den Kampf gegen IS angesichts seiner Stärke mehr Führung in der Welt übernehmen?
Deutschland ist eine Wirtschaftsmacht und deswegen wäre es auch logisch, wenn das Land politisch in internationalen Fragen den Ton angibt. Aber sich politisch zu engagieren heißt nicht, seine Überzeugungen mit Waffengewalt durchzusetzen. Deutschland versteht sich nach meinem Verständnis als "soft power" und das begrüße ich. Die Bundesregierung sollte sich dafür einsetzen, dass Konflikte – wo es geht – diplomatisch gelöst werden können.
"Deutschland sollte das Bildungssystem exportieren statt Waffen"
Deutschland könnte helfen, wie es das ja auch bereits tut, Zivilgesellschaften aufzubauen; die Bundesrepublik könnte ihr Bildungssystem exportieren oder mithelfen, nach deutschem Vorbild eine Justiz in den Entwicklungsländern aufzubauen. Diese Dinge sollte Deutschland primär exportieren, nicht Waffen.
Was Deutschland im Irak leistet und nicht leistet
Die Bundesregierung hat im Zuge der Krise 24,4 Millionen Euro für die Flüchtlingshilfe zur Verfügung gestellt. 4,4 Millionen sind für dringende Maßnahmen wie den Bau von Unterkünften, die Trinkwasserversorgung und medizinische Hilfe vorgesehen. 20 Millionen stehen für längerfristige Infrastrukturprojekte bereit, zum Beispiel den Bau von Unterkünften für Flüchtlinge.
Die Bundeswehr hat am 15.08.2014 mit Hilfsflügen in die nordirakische Kurden-Hauptstadt Erbil begonnen. Fünf Transall-Flugzeuge haben bereits 36 Tonnen Lebensmittel, Sanitätsmaterial und Decken in die Krisenregion gebracht. Weitere 100 Tonnen sollen in den nächsten Tagen folgen.
Die Bundesregierung hat sich bereiterklärt, Rüstungsgüter wie Kleinlastwagen, Schutzwesten, Helme oder Nachtsichtbrillen aus Bundeswehrbeständen an die kurdischen Streitkräfte im Nordirak zu liefern. Die Lieferungen werden voraussichtlich nächste Woche beginnen.
Mitte August beschloss der Bundestag, Waffen in die Krisenregion zu liefern. Es geht um Handwaffen und Panzerabwehrwaffen, die von den Kurden für die wirksame Bekämpfung der von der ISIS-Miliz erbeuteten Panzerfahrzeuge benötigt werden.
Einige dieser Waffen können nicht ohne Schulung bedient werden. Die Bundesregierung prüft deshalb, auch Ausbilder in den Irak zu entsenden. Es könnten aber auch irakische Ausbilder außerhalb des Iraks geschult werden.
Die Luftschläge der USA gegen die IS begrüßt die Bundesregierung zwar, die Bundeswehr beteiligt sich daran allerdings nicht. Einen späteren Blauhelmeinsatz hat Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) aber nicht grundsätzlich ausgeschlossen.
Bis wir es als internationale Gemeinschaft in Afrika nicht schaffen, lebenswerte Bedingungen vor Ort zu bieten, wird der Exodus der Menschen nicht abreißen. Sommer für Sommer versuchen Zehntausende Flüchtlinge übers Mittelmeer nach Europa einzuwandern. Sollte die Europäische Union ihre harte Haltung gegen Flüchtlinge überdenken?
Ähnlich wie beim Kampf gegen IS ist auch hier die Frage, warum die Menschen flüchten. Vergessen Sie nicht: Niemand verlässt gerne seine Heimat. Diese Menschen tun es auch nicht gerne, sondern aus Not. Sie riskieren ihr Leben, um nach Europa zu kommen. Das heißt: Wir müssen – wie Sie sagen – lebenswerte Bedingungen in den Heimatstaaten der Flüchtlinge schaffen. Wir müssen Afrika zu einem lebenswerten Kontinent machen. 2,8 Milliarden Menschen auf der Welt haben weniger als zwei US-Dollar täglich zum Leben.
Aber wie umgehen mit den Bootsflüchtlingen?
Wir müssen diesen Flüchtlingen mit Menschlichkeit begegnen. Ich liebe Ihr deutsches Grundgesetz, weil gleich der erste Artikel einwandfrei unterstreicht, dass die Würde des Menschen unantastbar ist. Ist es menschenwürdig einen Bootsflüchtling, der unter Einsatz seines Lebens die italienische oder griechische Küste erreicht, zurückzuschicken? Nein, das ist es nicht.
Machen Sie uns Mut: Können wir optimistisch sein, dass wir in fünf oder zehn Jahren vermehrt positive Nachrichten aus Afrika hören und nicht so oft über Gewalt und Chaos schreiben müssen?
Ich bin optimistisch, ja! Wir müssen die wirtschaftliche Entwicklung vorantreiben. Es gibt durchaus positive Beispiele in Afrika. In Sierra Leone fanden – zehn Jahre nach dem Ende des Bürgerkrieges – freie und faire nationale Wahlen statt. In Guinea hat sich die Religionsfreiheit etabliert und Malawi hat sich unter Präsident Joyce Banda positiv gewandelt. Er hat Repressionen gelockert und die Universitäts- und Versammlungsfreiheit gestärkt. Wer Afrika unterstützt, der bewegt etwas.