Gastbeitrag Warum der Westen die Krim-Annexion anerkennen und Iran-Sanktionen verschärfen sollte

Die großen internationalen Krisen der vergangenen Jahre – Krim und Ukraine, Syrien und das iranische Atomabkommen – lassen sich nicht trennen, warnt Michael Wolffsohn.

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Der Historiker Prof. Dr. Michael Wolffsohn schreibt für das Handelsblatt Gastbeiträge als Professor Tacheles.

Endlich ist in Nahost alles wie früher! Das 2011 durch die Arabischen Revolutionen auch in Syrien ausgelöste überwiegend innerislamische Morden, das alleine dort rund 700.000 Menschen das Leben kostete, wird bald beendet und Israel als alter neuer Aggressor gebrandmarkt.

Die Mahner erheben ihre Stimme und warnen wie eh und je vor einer nahöstlichen Gewalteskalation. Als ob es jene Massenopfer nicht bereits gäbe. Israel hatte vor den möglichen Folgen des Arabischen Frühlings gewarnt und nie bestritten, dass es stabile Regime vorziehe. Der bekannte Teufel schien dem Knesset in Jerusalem allemal besser als die neuen, oft radikalen Volksbewegungen, die im Zuge des Arabischen Frühlings an die Macht strebten.

Ein Beispiel: Trotz seiner erklärten Feindschaft hatte Bashar al-Assad nie die direkte Konfrontation mit Israel gesucht. Als 2011 in Syrien der Aufstand ausbrach und sich allmählich zum Bürgerkrieg entwickelte, leistete der Iran dem syrischen Regime sehr früh massive finanzielle und materielle Hilfe.

Dies schloss neben schiitischen Milizen aus dem Irak und der radikalschiitischen Hisbollah aus dem Libanon auch eigene Militärberater und Elitesoldaten der Quds-Brigaden ein. Diese (jeweils mehrere zehntausend Mann starken) Gruppierungen waren entscheidend für das Überleben des Assad-Regimes. Im Gegenzug belieferten Saudi-Arabien, Katar und die Türkei sunnitische Rebellengruppen, von denen sich die radikaleren häufig dem Islamischen Staat (IS) anschlossen.

Kurz: Es tobte – und tobt noch ein Stellvertreterkrieg, in dem sich die selbsterklärten Feinde Israels gegenseitig schwächen. Dass Israel einer solchen Schwächung Positives abgewinnen kann, liegt auf der Hand. Dennoch war Jerusalem im Syrienkrieg weder Brandstifter noch aktiver Profiteur. Vielmehr stärkte der Konflikt die Hisbollah im benachbarten Libanon. Auch die Landesgrenze zu Syrien wurde ein Unruheherd.

Israel zog klare „rote Linien“, die es, anders als US-Präsident Barack Obama, auch einhalten musste: Tel Aviv liegt näher an Damaskus als Washington. Ross und Reiter wurden klar benannt: Eine dauerhafte Stationierung iranischer Verbände in Syrien sei ebenso inakzeptabel wie Raketen-, Giftgas- oder sonstige Materiallieferungen in den Libanon. Israel war also kein Aggressor, sondern unterband mit gezielten und begrenzten Luftschlägen existenzielle Bedrohungen durch zwei selbsternannte Erzfeinde.

Dies gelang nicht immer: Die Hisbollah soll mittlerweile über bis zu 150.000 Raketen verschiedener Bauart im Libanon verfügen, die nicht alle von der israelischen Luftabwehr „Iron Dome“ erfasst werden könnten. Nebenbei: Die deutsche Marine sollte solche Lieferungen seit 2006 eigentlich verhindern. Statt übers Meer gelangten sie auf dem Landweg vom Iran über Syrien in den Libanon. Brav hat der Bundestag diese so erfolgreiche Friedensmission immer wieder erneuert.

Den Ankündigungen ließ Israel nun Taten folgen. Sie sollten eine unmittelbare Gefahr ausschalten: Syrische sowie iranische Luftabwehrstellungen russischer Herkunft sowie die mobile Lenkstation, von der aus eine iranische Drohne zuvor Israel erreicht hatte. Es waren die gleichen israelischen Strafschläge, die man seit Jahrzehnten kennt. Diesmal freilich mit mehr Kampfflugzeugen.

Israel fordert schon länger eine 40 Kilometer lange entmilitarisierte Zone entlang der syrischen Grenze. Manche meinen, Israel werde diese demnächst erobern und dann besetzen. Dass solche „Schutzzonen“ keinen echten Schutz bieten, sondern neue eigene Opfer kosten, dürfte Israel gelernt haben. Sowohl 1978 als auch 1982 hatte es den Süd-Libanon erobert und besetzt. Weniger Schutz und mehr eigene Opfer waren die Folge.

Ob man will oder nicht: Russland ist gefragt. Putin – leider ist er ein besserer Stratege als die meisten westlichen Politiker – liegt wenig an einem Erstarken radikalislamischer Kräfte, aber er wird Assads Truppen auch nicht davon abhalten auf israelische Kampfjets zu schießen. An einem Erstarken des Iran bis Beirut kann auch der Westen kein Interesse haben.

Die außenpolitischen Empörungsweltmeister in Berlin sollten sich daher jenseits von „Besorgnis“ und Appellen stärker an einer Beendigung des Syrienkonflikts beteiligen – nicht zuletzt aufgrund hunderttausender Syrer, die nun Deutschland ihre Heimat nennen und der oft beschworenen Staatsräson im Hinblick auf Israel.

Dabei wird man nicht umhinkommen vier internationale Krisen der letzten Jahre miteinander zu verbinden: Krim und Ukraine, Syrien und das iranische Atomabkommen. Um weitere Flüchtlingswellen aus Nahost zu verhindern, wird der Westen seinen gegenteiligen Ankündigungen zum Trotz wohl Putins Annexion der Krim und Ost-Ukraine anerkennen müssen. Um weitere Abenteuer Teherans zu erschweren, sollten die Sanktionen gegen den Iran wieder verschärft werden – die Trump-Administration tendiert ohnehin dazu.

Die Golfstaaten wären mit Sicherheit dafür. Teheran wird daraufhin das Atomabkommen aufkündigen. Dramatisch wäre das nicht, denn weder Teheran noch Jerusalem werden Atomwaffen einsetzen. Wenn nämlich alle Akteure über Atomwaffen verfügen, gleicht deren Einsatz kollektivem Selbstmord. Das wissen beide Seiten.

Selbsterhaltung und Selbstmord schließen einander aus. Folglich wird keiner Atombomben abwerfen. Ergo wird konventionell aufgerüstet. Dieses herkömmliche Wettrüsten würde einem von Sanktionen betroffenen Iran erhebliche Probleme bereiten. Die Bevölkerung würde noch unzufriedener. Dann stellt sich nur die Frage, wann, nicht ob das islamistische Regime von innen zerbricht.

Der Historiker und Publizist Prof. Dr. Michael Wolffsohn veröffentlichte zuletzt den Bestseller „Deutschjüdische Glückskinder, Eine Weltgeschichte meiner Familie“, „Zivilcourage“ und „Zum Weltfrieden“. Romanempfehlung des Autors: Karl F. Borré, Frühling 45, Lilienfeld Verlag 2017

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