Görlachs Gedanken

Die Schattenseite des chinesischen Wirtschaftswunders

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Glanz und Tragik liegen in China nahe beieinander

Und dennoch ist Peking heute ganz und gar, um nicht zu sagen auf Gedeih und Verderb, darauf angewiesen, dass die von den USA errichtete liberale Weltordnung erhalten bleibt. Die Volksrepublik hat im wahrsten Sinne des Wortes ihr Kapital in die Initiative „One Belt, one Road“ investiert. Das ist ein weite Teile der Welt umspannendes Netzwerk aus Straßen, Häfen und Flughäfen, das China mit dem Rest der Welt, mit den Handelspartnern, die das Land beliefern, verbindet. Kritiker sagen, dass diese Einrichtungen auch als Elemente militärischer Infrastruktur begriffen und so auch genutzt werden könnten. Die Sicht auf die Welt, die China, auch ohne Kriegsabsichten, durch „One Belt, one Road“ offenbart, ist eine andere, die auch beunruhigen kann: man begreift in Peking den Rest der Welt als Zulieferer dieses riesigen Reiches, das sich seit Jahrtausenden als jenes der Mitte versteht und von dem der aktuelle Präsident Xi sagt, dass es nunmehr bereit sei, seinen angestammten, von der Geschichte für es vorgesehenen Platz, nach zwei Jahrhunderten der Demütigung durch westliche Kolonialherren wieder einzunehmen.

Auch hier liegen Glanz und Tragik wieder nahe beieinander: in dem Moment, in dem sich die Volksrepublik außerhalb ihrer Grenzen den Regeln der Welthandelsorganisation unterwirft, wird die Ordnung, für die sie steht, von den USA attackiert und womöglich in einer zweiten Amtszeit von Herrn Trump völlig demontiert. China braucht die USA, für die Sicherheit seiner Investitionen, für das Wachstum innerhalb seiner Grenzen, für die Zufriedenheit seiner Konsumenten - die in keinem Fall mündige Bürger werden sollen - und, als Konsequenz aus den genannten Punkten, für das Überleben der Partei und des Staates.

Das sieht man nicht, wenn man durch Peking fährt. Unternehmerische Menschen werden in den Metropolen nicht behelligt solange sie sich von der Ökonomie nicht auf die Politik verlagern. Es gibt aber ein weitere, ein zweites China. Die ökonomisch wichtigen Gebiete des Landes liegen südlich einer im Geiste gezogenen Linie, die vom Nordosten in den Südwesten verläuft. Nördlich davon liegen die Gebiete, die sich die Volksrepublik einverleibt hat: Tibet, die Innere Mongolei und die mehrheitlich von muslimischen Uiguren bewohnte Provinz Xinjiang. Dort sind Muslime zu Tausenden in Konzentrationslager gesperrt, um sie, wie es Peking nennt, zu besseren Gliedern der Gemeinschaft zu erziehen. Dabei geht es, wie in Tibet auch, eher um das Knechten von ethnischen und religiösen Minderheiten und darum, ihr kulturelles Erbe zu zerstören. In Hong Kong und auf Taiwan sind die Menschen höchst alarmiert. Sie mögen lange vom Aufschwung der Volksrepublik profitiert haben. Aber der Blick nach Norden verstört.

Im Norden ist die hässliche Seite Chinas zu Hause. Und man fragt sich, warum es diese eigentlich noch gibt. China braucht das eigentlich nicht – ökonomisch betrachtet. Aber politisch betrachtet die Pekinger Führung dieses Vorgehen wieder als opportun. Das Land hat unter Präsident XI weite Teile der Öffnung seiner Vorgängern wieder zurück genommen. Xi versucht, das erfolgreiche Modell westlicher Demokratien ein für alle mal zu diskreditieren. Damit wird er sehr wahrscheinlich das Gegenteil erreichen indem er das Wachstum des Landes drosseln wird in einem Moment, in dem die Volksrepublik ohnehin schon unter dem Handelskrieg zu leiden beginnen, den Donald Trump mit ihr angezettelt hat. Jedes der beiden Länder will der Hegemon des 21. Jahrhunderts sein. Das Wohlergehen des Rests der Welt wird davon abhängen, wie dieser Zwist ausgeht.

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