Görlachs Gedanken
Chinas Wirtschaftswunder Quelle: imago images

Die Schattenseite des chinesischen Wirtschaftswunders

Wer durch Peking fährt, sieht den Glanz des chinesischen Wirtschaftswunders. In China wird der kapitalistische Traum geträumt – eine tragische Wiederholung der Geschichte.

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Wer einmal durch Peking gefahren ist, der versteht Glanz und Tragik des chinesischen Wirtschaftswunders. Gläserne Hochhäuser und hell erleuchtete Einkaufsstraßen illustrieren, dass das Land, das einmal das Armenhaus der Welt war, nunmehr zum Motor der Weltwirtschaft geworden ist. In dreißig Jahren hat die Volksrepublik hunderte Millionen Menschen aus der Armut entlassen, die Gehälter steigen, die Mittelklasse wächst. Das ist der Glanz Chinas!

Die Chinesen sind optimistisch und glauben, dass es für sie nunmehr weiter steil bergauf geht. Wer es in einer der Metropolen geschafft hat, der kauft sich zuerst einen Kühlschrank und fährt wenig später ein deutsches Auto. Ein neues, ein chinesisches Wirtschaftswunder. Und hier hebt die Tragik an: in China wird derselbe kapitalistische Traum geträumt, der im 20. Jahrhundert zuerst die USA und danach ihre Verbündeten in Europa und Ostasien beflügelt hat.

China und die Vereinigten Staaten stehen sich daher nicht als unversöhnliche ideologische Gegner gegenüber wie Russland und die USA zu Zeiten des Kalten Krieges. Das Gegenteil ist der Fall: beide Länder sind sich mehr als ähnlich, nicht nur, was ihre Liebe zum Kapitalismus angeht. Das ist der Hintergrund, vor dem der nun heraufziehende Handelskrieg zwischen den beiden stärksten Nationen auf dem Erdball herrührt. Es geht um ökonomische und nicht um militärische Verdrängung, im Moment jedenfalls.

Tragisch ist diese Wiederholung der Geschichte, weil die Rezepte des Kapitalismus des 20. Jahrhunderts nicht einfach so in unserer Gegenwart übernommen werden können: Wachstum als Indikator einer guten Ökonomie ist obsolet in einer Welt, in der die Ressourcen der Natur aufgebraucht sind und das Fortschrittsparadigma der Alten, in dem ökonomische Prosperität mit Raubbau an der Natur gemeinsam einhergehen, an sein Ende gekommen ist. Die Führung Chinas hat deshalb begonnen, auf Umweltschutz und neue Technologien zu setzen. Ob das das nötige Momentum entwickelt, das Geschick der Erde zu verändern, ist nicht ausgemacht.

Chinesen sind heute die glücklicheren, optimistischeren Menschen verglichen mit ihren kapitalistischen Geschwistern in Europa und den USA. Das hat seinen Preis, eben auch einen ökologischen. Aber in Zeiten, in denen in den Vereinigten Staaten die Möglichkeiten, sich nach oben zu arbeiten, geringer werden, schafft es China immer noch, den nachkommenden ein besseres Leben zu ermöglichen als ihrer Elterngeneration. Das nötigt Respekt ab. Wir erinnern uns: in Europa und den USA erleben radikale, fremdenfeindliche Gruppen genau aus dem Grund gerade eine erschreckende, neue Popularität: ihre Unterstützer glauben nicht mehr an das demokratische Versprechen, wonach eine freie Gesellschaft eine innovative und prosperierende sei.

Und in diesem Sinne wird bei uns ganz gern auf China verwiesen: das Land ist erfolgreich, auch wenn es keine Demokratie ist. Dabei ist es der Volksrepublik nur gelungen, das Land in der Nach-Mao-Zeit durch Reformen nach westlichem Vorbild zu erneuern und zu verändern. Der Erfolg Chinas ruht auf der Nachahmung erfolgreicher westlicher, vor allem US-amerikanischer, Rezepte. Und die beiden Länder waren für eine gute Zeit nicht zuletzt deshalb auch Partner. Man war sich in Washington gewiss, dass die Mischung aus politischer und ökonomischer Freiheit, die Westeuropa und Ostasien in blühende Demokratien verwandelt hatte, am Ende auch China mitreißen würde. Das ist nicht eingetreten.

Glanz und Tragik liegen in China nahe beieinander

Und dennoch ist Peking heute ganz und gar, um nicht zu sagen auf Gedeih und Verderb, darauf angewiesen, dass die von den USA errichtete liberale Weltordnung erhalten bleibt. Die Volksrepublik hat im wahrsten Sinne des Wortes ihr Kapital in die Initiative „One Belt, one Road“ investiert. Das ist ein weite Teile der Welt umspannendes Netzwerk aus Straßen, Häfen und Flughäfen, das China mit dem Rest der Welt, mit den Handelspartnern, die das Land beliefern, verbindet. Kritiker sagen, dass diese Einrichtungen auch als Elemente militärischer Infrastruktur begriffen und so auch genutzt werden könnten. Die Sicht auf die Welt, die China, auch ohne Kriegsabsichten, durch „One Belt, one Road“ offenbart, ist eine andere, die auch beunruhigen kann: man begreift in Peking den Rest der Welt als Zulieferer dieses riesigen Reiches, das sich seit Jahrtausenden als jenes der Mitte versteht und von dem der aktuelle Präsident Xi sagt, dass es nunmehr bereit sei, seinen angestammten, von der Geschichte für es vorgesehenen Platz, nach zwei Jahrhunderten der Demütigung durch westliche Kolonialherren wieder einzunehmen.

Auch hier liegen Glanz und Tragik wieder nahe beieinander: in dem Moment, in dem sich die Volksrepublik außerhalb ihrer Grenzen den Regeln der Welthandelsorganisation unterwirft, wird die Ordnung, für die sie steht, von den USA attackiert und womöglich in einer zweiten Amtszeit von Herrn Trump völlig demontiert. China braucht die USA, für die Sicherheit seiner Investitionen, für das Wachstum innerhalb seiner Grenzen, für die Zufriedenheit seiner Konsumenten - die in keinem Fall mündige Bürger werden sollen - und, als Konsequenz aus den genannten Punkten, für das Überleben der Partei und des Staates.

Das sieht man nicht, wenn man durch Peking fährt. Unternehmerische Menschen werden in den Metropolen nicht behelligt solange sie sich von der Ökonomie nicht auf die Politik verlagern. Es gibt aber ein weitere, ein zweites China. Die ökonomisch wichtigen Gebiete des Landes liegen südlich einer im Geiste gezogenen Linie, die vom Nordosten in den Südwesten verläuft. Nördlich davon liegen die Gebiete, die sich die Volksrepublik einverleibt hat: Tibet, die Innere Mongolei und die mehrheitlich von muslimischen Uiguren bewohnte Provinz Xinjiang. Dort sind Muslime zu Tausenden in Konzentrationslager gesperrt, um sie, wie es Peking nennt, zu besseren Gliedern der Gemeinschaft zu erziehen. Dabei geht es, wie in Tibet auch, eher um das Knechten von ethnischen und religiösen Minderheiten und darum, ihr kulturelles Erbe zu zerstören. In Hong Kong und auf Taiwan sind die Menschen höchst alarmiert. Sie mögen lange vom Aufschwung der Volksrepublik profitiert haben. Aber der Blick nach Norden verstört.

Im Norden ist die hässliche Seite Chinas zu Hause. Und man fragt sich, warum es diese eigentlich noch gibt. China braucht das eigentlich nicht – ökonomisch betrachtet. Aber politisch betrachtet die Pekinger Führung dieses Vorgehen wieder als opportun. Das Land hat unter Präsident XI weite Teile der Öffnung seiner Vorgängern wieder zurück genommen. Xi versucht, das erfolgreiche Modell westlicher Demokratien ein für alle mal zu diskreditieren. Damit wird er sehr wahrscheinlich das Gegenteil erreichen indem er das Wachstum des Landes drosseln wird in einem Moment, in dem die Volksrepublik ohnehin schon unter dem Handelskrieg zu leiden beginnen, den Donald Trump mit ihr angezettelt hat. Jedes der beiden Länder will der Hegemon des 21. Jahrhunderts sein. Das Wohlergehen des Rests der Welt wird davon abhängen, wie dieser Zwist ausgeht.

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