Herr Stiglitz, wie sehr muss sich die deutsche Wirtschaft vor Donald Trumps Anti-Freihandels-Kurs fürchten?
Was Donald Trump da verbreitet, ist ja kein Gedanke, der durch irgendwelche empirischen Erfahrungen zu belegen wäre. Insofern müsste man das eigentlich nicht so ernst nehmen. Das Problem ist nur: Er glaubt vermutlich sogar, was er da sagt.
Und er wirkt relativ entschlossen, die Globalisierung, wie wir sie kannten, zurückzudrehen – um jeden Preis.
Sie dürfen nicht so sehr darauf achten, was er sagt, sondern wie er es sagt. Trump ist ein Dealmaker. Er geht die Dinge erstmal nicht so an, dass er etwas absolut Richtiges sagt, sondern indem er erstmal den Ton setzt. Das heißt aber nicht unbedingt, dass darauf auch inhaltlich etwas Schlimmes folgt. Er checkt erst die Lage und schaut dann, ob seine Gegenüber klein beigeben oder ob man etwas dealen kann.
Zur Person
Joseph E. Stiglitz ist ein US-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler und Ökonomie-Nobelpreisträger. Er war von 1997 bis 2000 Chefökonom der Weltbank und von 2011 bis 2014 Präsident der International Economic Association.
Es könnte also auf die Polemik noch immer sachlich richtige Politik folgen?
Naja, wenn man den harschen Ton einmal ausblendet, dann weißt Trump ja durchaus auf etwas richtiges hin: Freier Handel ist keine Einbahnstraße, sondern ein Weg mit zwei Richtungen. Und im Idealfall ist in beiden Richtungen ähnlich viel Verkehr.
Also alles halb so schlimm?
Was mich viel mehr stört, ist die Art, wie er seine Politik offenbar nun vorantreiben möchte: Wir, die Staaten des Westens, haben 60 Jahre lang an einer internationalen Ordnung gebaut. Die mag nicht perfekt sein, aber sie hat eine gewisse Stabilität und Berechenbarkeit gebracht. Trump scheint nun, um kurzfristige Erfolge vorzeigen zu können, diese 60 Jahre mit einem Streich wegwischen zu wollen. Die Frage wird sein: Was machen die Republikaner. Nahezu alle Institutionen des Westens sind unter ihrem maßgeblichen Einfluss mit entstanden. Bekennen sich die Republikaner mit ihrer Mehrheit im Kongress zu diesen Werten, oder schwenken sie opportunistisch auf Trump ein?
Aber Trumps Skepsis gegenüber internationaler Zusammenarbeit und internationalem Handel scheint sich auf eine Mehrheit in der Bevölkerung zu stützen. Dem müssen die Republikaner doch auch Rechnung tragen.
Seine Haltung gegenüber Handelsabkommen ist, nun ja, diskussionswürdig. Es ist doch bigott zu argumentieren, die USA seien ein Verlierer internationaler Handelsregime. Fragen Sie mal Schwellenländer, fragen Sie Mexiko, wie die die amerikanischen Agrarexporte sehen.
Viele Arbeiter im Westen sehen das aber genau so.
Wenn Trump sagt, das nordamerikanische Handelsabkommen Nafta sei das schlechteste aller Zeiten, dann muss ich doch fragen: Wo hat sich eigentlich seit Inkrafttreten die Wirtschaft besser entwickelt – in den USA oder in Mexiko? Schauen Sie sich doch den Zustand Mexikos heute an. Und es ist doch nicht so, als ob Mexiko vor Inkrafttreten von Nafta auf alle Exporte in die USA 35 Prozent Zölle zahlen musste. Im Gegenteil: Auch damals wurde eher eine niedrige einstellige Zahl an Zöllen im Durchschnitt erhoben.
Also lügt Trump?
Was er da behauptet ist schlicht und einfach falsch.
Was kann ihn von seinem Kurs abbringen?
Es ist sehr wichtig, dass Deutschland nun klare Kante zeigt und im Umgang mit Trump Stärke demonstriert. Die Deutschen müssen sagen: Wir stehen zur vorhandenen internationalen Ordnung. Wir glauben an den Freihandel, wie er vertraglich zwischen den Nationen festgehalten wurden.
Über die Folgen von "Trumps Lügen-Populismus"
Drohen ist das eine. Man müsste diese Drohungen aber auch umsetzen können. Wie soll das gehen?
Es gibt viele Wege. Man kann die USA isolieren. Vor allem aber kann man vor dem Schiedsgericht der Welthandelsorganisation klagen. Und das sollte Deutschland tun, sobald Trump den ersten Schritt geht, der nicht mit den WTO-Normen vereinbar ist. Wer, wenn nicht die Deutschen, haben die Verpflichtung dazu? Sie wissen doch aus eigener Erfahrung, was passiert, wenn man sich unilateral aus bestehenden völkerrechtlichen Übereinkünften verabschiedet. So entstanden schließlich der Erste und der Zweite Weltkrieg.
Deutschland und Europa scheinen nicht in bester Form, um Trump entschieden entgegenzutreten. Die Flüchtlingskrise, die Eurokrise, das Erstarken des Rechtspopulismus – all das schwächt die Europäer und dürfte doch nicht dazu führen, dass Trump sie ernst nimmt.
Sie sind stark genug. Wenn sie es nicht machen, ist das internationale Recht, wie wir es kennen, und damit der Westen tot. Der einzige Sinn von internationalem Recht ist doch, Großmächte zur Verantwortung ziehen zu können. Kleine Nationen lenken von selbst ein.
Was das Ausland von Trump erhofft und erwartet
Am 20. Januar soll Donald Trump sein Amt als 45. Präsident der USA antreten. Das sind die damit verbundenen Hoffnungen, Erwartungen und Sorgen wichtiger Länder und Gemeinschaften.
Quelle: dpa
Eine enge Zusammenarbeit im Kampf gegen den Klimawandel und den islamistischen Terrorismus, ein gemeinsamer Kurs in der Sanktionspolitik gegenüber Russland sowie eine Fortsetzung der Verhandlungen über das Handelsabkommen TTIP: Was sich die Europäische Union vom neuen US-Präsidenten erhofft, bekam Trump bereits kurz nach seiner Wahl in einem Brief aus Brüssel übermittelt. Nicht offen wird dagegen über die Sorgen gesprochen. Hinter vorgehaltener Hand befürchten EU-Spitzenpolitiker, dass die Erwartungen Europas den neuen US-Präsidenten nicht wirklich interessieren. Folge könnte eine deutliche Verschlechterung der transatlantischen Beziehungen sein.
Das Verhältnis zwischen Moskau und Washington ist so schlecht wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Deshalb hofft Russland, dass Trump sein Versprechen wahr macht und die Beziehungen wieder verbessert. Die Zeichen stehen auf ein Treffen Trumps mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin kurz nach Amtsantritt. Weil der Republikaner das Engagement der USA im Rest der Welt verringern will, geht Russland davon aus, mehr Spielraum zu bekommen. Trump sieht Nato und EU kritisch, er will den islamistischen Terror stärker bekämpfen - beides passt zur Moskauer Position. Allerdings haben die Russland zugeschriebenen Hackerangriffe massiv den Verdacht geschürt, dass Moskau sich in US-Politik einmischen könnte. Trump und Putin müssen bei jeder Annäherung mit großem öffentlichem Misstrauen rechnen.
Die Mexikaner machen sich für die Ära Trump auf das Schlimmste gefasst. Der künftige US-Präsident hatte die Nachbarn im Süden mehrfach als Drogenhändler und Vergewaltiger diffamiert. Um die illegale Einreise von Migranten zu verhindern, will Trump eine Mauer an der Grenze zu Mexiko errichten. Außerdem hat er angekündigt, das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (Nafta) neu zu verhandeln oder sogar aufzukündigen. Die mexikanische Wirtschaft hängt stark vom Handel mit den USA ab. Der Autokonzern Ford beerdigte bereits Investitionspläne in Höhe von 1,6 Milliarden Dollar in Mexiko - offenbar aus Angst vor Trump. US-Unternehmen, die billig im Nachbarland produzieren, hatte er mit hohen Strafzöllen gedroht.
Den ohnehin schwierigen Beziehungen zwischen den beiden größten Volkswirtschaften drohen unter Trump schwere Spannungen, die auch die Weltwirtschaft in Mitleidenschaft ziehen könnten. Der neue US-Präsident holte China-Kritiker in sein Team, die eine härtere Gangart gegen Peking erwarten lassen. Die kommunistische Führung fürchtet eine Neuausrichtung der US-Beziehungen zu Taiwan, das Peking nur als abtrünnige Provinz behandelt. Mit einer Eskalation wird auch im Handel gerechnet, falls Trump seine Drohung mit Strafzöllen wahr machen sollte. Das Verhältnis wird zudem dadurch bestimmt, wie beide mit den Inselstreitigkeiten im Süd- und Ostchinesischen Meer umgehen.
Für den Iran ist es in erster Linie wichtig, was aus dem Atomabkommen wird. Obwohl auch die USA den Deal von 2015 mit ratifiziert hatten, drohte Trump bereits mehrmals mit einem Ausstieg. Präsident Hassan Ruhani bezeichnete das multilaterale Abkommen als unantastbar. Auch eine Nachverhandlung kommt für Teheran nicht infrage. Falls Trump sich nicht an den Deal halten sollte, werde auch Teheran angemessen reagieren, warnte Ruhani. Andererseits hofft der Iran auf eine Verbesserung der Beziehungen zwischen der neuen US-Regierung und Moskau. Als enger Verbündeter Russlands könnte davon auch Teheran, besonders im Syrien-Konflikt, außenpolitisch profitieren.
Israel zählt schon die Tage bis zum Amtsantritt von Trump. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu erwartet nach dem eher schwierigen Verhältnis zu Präsident Barack Obama ein Umschwenken in der Israelpolitik der USA. Dazu gehört der Umzug der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem. Trump kündigte mehrfach an, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen. Beim Ausbau der Siedlungen im Westjordanland hoffen die ultrarechten Kräfte in der Regierung auf mehr Bewegungsfreiheit, nachdem die USA zuletzt eine siedlungskritische UN-Resolution passieren ließen. Einige fordern, das Westjordanland zumindest teilweise zu annektieren.
Wenn Trump, wie Sie sagen, ein Dealmaker ist, muss man ihm auch etwas anbieten, damit er seinen Kurs ändert.
Das internationale Handelsrecht gibt genügend Spielraum, innerhalb dessen Trump Schritte einleiten könnte, um seinen Zielen näher zu kommen.
Gehört zu einem Deal auch, dass sich Länder wie Deutschland und China, die seit Jahren auf starke Exporte setzen und somit gegenüber vielen Ländern der Welt gigantische Handelsüberschüsse aufgebaut haben, ein neues Geschäftsmodell suchen?
Natürlich haben Länder wie vor allem China und Deutschland derart auf Exporte gesetzt, dass ihre Handelsbilanz so unausgeglichen wurde, dass es nicht mehr nachhaltig ist. Man darf sich deshalb nicht wundern, wenn sich dagegen irgendwann in anderen Ländern politischer Protest formiert. Ob das nun in den USA ist, die sowohl gegenüber China als auch gegenüber Deutschland, ein Handelsdefizit haben, oder ob das im Süden Europas ist.
Muss sich die deutsche Politik dieser Diskussion jetzt neu stellen, um Trump nicht mehr Argumentationsmaterial zu geben?
Bisher war Südeuropa nicht stark genug, um Deutschland auf eine Wirtschaftspolitik zugunsten des gesamten Euroraums zu zwingen. Trump könnte dies nun tun, was viele Südeuropäer freuen dürfte. Das Tragische ist nur: Kann Trump Erfolge vorzeigen, wird das den demokratischen Kräften in Südeuropa kaum mehr nützen, sondern eher jenen Bewegungen, die Trump nachzueifern versuchen.
Die Länder mit den meisten Teilnehmern beim Weltwirtschaftsgipfel in Davos
Am Weltwirtschaftsforum in Davos nehmen dieses Jahr 3000 Menschen aus 99 Ländern teil.
Quelle: WEF, Statista
Aus den USA sind 836 Personen nach Davos gereist.
301 Teilnehmer in Davos kommen aus dem Gastgeberland des Weltwirtschaftsforums.
Aus dem Vereinigten Königreich kommen 283 Personen als Gäste nach Davos.
136 Teilnehmer des Weltwirtschaftsforums kommen aus Deutschland.
107 Teilnehmer sind aus Indien angereist.
Aus China kommen 92 Gäste.
91 Teilnehmer sind aus Japan angereist.
Aus dem Nachbarland Frankreich kommen 89 Teilnehmer.
Aus Russland stammen 62 Gäste des Weltwirtschaftsforums.
61 Teilnehmer kommen aus Kanada.
Wie gefährlich ist ein Übergreifen des Trumpismus auf andere Länder für die Weltwirtschaft?
Wenn es Trump gelingt, in der ersten Phase seiner Amtszeit Erfolge, und seien sie auch nur symbolisch, vorzuweisen, wird sich seine Art des Politikmachens wie eine Seuche in den Industrieländern des Westens ausbreiten. Politische Ideen überschreiten Grenzen, wenn sie eine kritische Masse an Anhängern erreicht haben. So war es Mitte der 90er Jahre mit dem so genannten dritten Weg der Sozialdemokraten. So könnte es jetzt mit Trumps Lügen-Populismus sein. Zumindest so lange, wie seine Anhänger zu Recht auf Probleme des Wirtschaftssystems hinweisen, die einfach nicht zu leugnen sind.
Welche sind das?
Die wachsende Ungleichheit in allen westlichen Ländern zum Beispiel. Die verheerende Wirkung der Euro-Politik. Oder der fehlende politische Wille, die Digitalisierung zu gestalten. Da hat der Kapitalismus bisher versagt.
Kann Trump auf diese Probleme langfristige Antworten geben?
Langfristig kann nicht funktionieren, was er vorhat. Kurzfristig aber könnte er einige Symbolerfolge erzielen. Das Einzige was ihn davon abhalten kann, ist ein entschiedener internationaler Gegenwind, am besten von Deutschland organisiert.