Korruptionsbekämpfung Das erwartet die slowakische Wirtschaft von der neuen Regierung

Die Massenproteste gegen die slowakische Regierung sind abgeflaut – auch dank der guten Wirtschaftslage. Die Unternehmen klagen trotzdem.

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Der slowakische Präsident Andrej Kiska gibt dem neuen Ministerpräsidenten Peter Pellegrini während der Amtseinführungszeremonie die Hand. Quelle: dpa

Bratislava Der kleine Saal im vierten Stock des Europeum, einem bekannten Bürogebäude im Herzen von Bratislava, kann die Besucher kaum fassen. Mitten in der tiefsten politischen Krise des Landes hat die deutsch-slowakische Industrie- und Handelskammer zu einer Pressekonferenz eingeladen. Über mangelnde Resonanz braucht sich Handelskammer-Chef Guido Glania diesmal keine Sorgen zu machen.

Seine Botschaft: Die Investoren aus dem Ausland beschäftigen eher die fehlenden Arbeitskräfte und steigende Lohnkosten als die politische Krise. Das geht aus einer Konjunkturumfrage unter über 130 Unternehmen in dem nur 5,5 Millionen großen Land hervor. „Das tägliche Geschäft ist nicht betroffen“, sagt Handelskammer-Chef Glania über die bisherigen Auswirkungen des ungewollten Regierungswechsels.

Ende Februar war der Enthüllungsjournalist Jan Kuciak und seine Lebensgefährtin 45 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt regelrecht hingerichtet worden. Der Reporter arbeitete beim Internetportal Aktuality.sk, einer Tochter der Medienkonzerne Springer und Ringier. Kucia hatte über Verbindung zwischen der italienischen Mafia und Regierungskreise unter dem damaligen Premier Robert Fico recherchiert.

Der Journalistenmord in der Nähe von Bratislava führte zu einem Regierungswechsel auf Drängen von Präsident Andrej Kiska. Mittlerweile hat der bisherige Vize-Regierungschef Peter Pellegrini von Fico das Amt des Ministerpräsidenten übernommen. „Fico zieht trotzdem alle Fäden“, sagt ein politischer Insider über die Macht des neuen slowakischen Premiers Pellegrini, der als enger Weggefährte des starken Manns in der Slowakei gilt. Fico führt auch weiterhin die linkspopulistische Regierungspartei Smer.

Der früher gute Ruf des EU-Landes ist dahin. „Das Image der Slowakei unter den Investoren hat sehr, sehr gelitten“, sagt der österreichische Diplomat Christian Krügerl in Bratislava. Dementsprechend groß sind die Erwartungen der Wirtschaft an die neue Regierung unter dem unscheinbaren Pellegrini. „Wir wollen, dass die Strukturprobleme angegriffen werden. Die Slowakei hat das Zeug, sich deutlich zu verbessern“, beschwört Wirtschaftsvertreter Glania die neue Staatsführung.

Vor allem die weit verbreitete Korruption macht der Slowakei seit Jahrzehnten zu schaffen. Bestechung und Vorteilsnahme sind nach Meinung ausländischer Beobachter in dem Land zwischen Österreich und der Ukraine weit verbreitet. Im Osten der Slowakei hat sich die organisierte Kriminalität zudem massiv ausgebreitet. Nach der am Montag vorgelegten Umfrage der Industrie- und Handelskammer ist die Bekämpfung von Korruption und Kriminalität der am schlechtesten bewertete Standortfaktor.

Unabhängige Analysten bezweifeln, dass sich unter der neuen Koalition aus linkspopulistischen Smer, der rechtsnationalen SNS und der konservativ-liberalen Most-Hid in Bratislava etwas ändern wird. „Premierminister Pellegrini wird versuchen den Eindruck zu erwecken, dass er gegen die Korruption und die organisierte Kriminalität kämpft.

Ob er aber in seinem Handeln autonom sein wird und es somit zu erkennbaren Fortschritten und mehr Rechtssicherheit kommt, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht klar“, warnt Matthias Barner, Chef der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in der Slowakei und Tschechien die Optimisten. In der Liste der korruptesten Länder der Welt nimmt die Slowakei laut Transparency International den 54. Platz ein.

Manche Investoren haben den heutigen Premier Pellegrini, früher Finanzstaatssekretär und spätere Bildungsminister, ohnehin in schlechter Erinnerung. Der Vorstandschef der US-Minengesellschaft Euro-Gas, Wolfgang Rauball, ist von Pellegrini tief enttäusch. Er habe sich vor vier Jahren mit diesem getroffen, als Pellegrini noch Staatssekretär im Finanzministerium der Slowakei war.

Bei dem Treffen sollte es um die Umsetzung der Urteile gehen, die Rauball 2008, 2011 und 2013 im Namen von Tausenden Euro-Gas-Aktionären vor dem Obersten Gerichtshof des EU-Mitgliedslands Slowakei erstritten hatte. „Seither ist viel passiert: weitere massive Korruptionen, aber keine Anerkennung der ehernsten Rechtsgrundsätze der EU; nämlich die Befolgung von Gerichtsentscheiden“, sagt Rauball.

Peter Kazimir, der Finanzminister und damalige Chef von Pellegrini, sei sogar höchst persönlich und höchst peinlich verwickelt, behauptet Rauball. „Die Staatskorruptionen der Slowakei passieren unter den Augen der europäischen Institutionen. Der Schaden für die Aktionäre von Euro-Gas reicht schon an die Milliarde heran“, klagt der 71-Jährige.

Seit über zehn Jahren streitet Rauball um die lukrative Talk-Mine Gemerská Poloma im Osten der Slowakei. Der Deutsche verlangt von der slowakischen Regierung die Rückgabe der Lizenz, um das attraktive Talk-Vorkommen erschließen zu können, und Schadenersatz in Milliardenhöhe. Nach Angaben von Experten handelt es sich in der Slowakei um eines der größten und reinsten Talk-Vorkommen weltweit.

Mit der neuen Regierung scheint die politische Krise des Landes trotz der weiter ungelösten Probleme wie Korruption und organisierte Kriminalität allmählich zu Ende zu gehen. Die Regierung unter Pellegrini lässt die außerparlamentarische Opposition mit ihren Massenprotesten gewähren. „Das ist ein Ventil, damit die Bürger Dampf ablassen können. Der Druck sinkt“, sagt ein Diplomat in der slowakischen Hauptstadt.

Die Wut vieler Bürger nach dem Journalistenmord lässt nach. Die Proteste in Bratislava sind abgeflaut. Am vergangenen Freitag waren nur noch wenige Tausende von Demonstranten auf den Straßen, um Neuwahlen zu fordern. Noch vor wenigen Wochen protestieren noch 50.000 Slowaken in einer der größten Demonstrationen, die das junge Land bislang gesehen hat.

Obwohl es weiter Vorwürfe gibt, dass die von den linkspopulistischen Partei Smer geführte Dreier-Koalition Verbindungen zum organisierten Verbrechen hat, legt sich allmählich der Unmut. Ein Grund für den Rückfall in die politische Passivität ist die gute wirtschaftliche Lage der Slowakei.

Das Bruttoinlandsprodukt soll in diesem Jahr um rund vier Prozent wachsen. Fast zwei Drittel der befragten Unternehmen schätzen die Wirtschaftslage derzeit positiv ein. Deutsche Unternehmen suchen qualifizierte Ingenieure im Großtraum Bratislava derzeit wie die Nadel im Heuhaufen.

„Das Angebot an Arbeitsplätzen ist größer als die Nachfrage. Das erhöht den Druck auf die Löhne“, sagt Mikulas Luptacik, Dekan der Wirtschaftsuniversität Bratislava. Bereits in diesem Jahr wurde der Mindestlohn um über zehn Prozent angehoben.

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