Kritik an Auslandseinsätzen Frankreich interveniert zu häufig

Die militärischen Interventionen Frankreichs häufen sich. Der Rechnungshof des Landes übt deshalb Kritik – und steht damit nicht alleine da. Experten warnen davor, dass die vielen Einsätze schwerwiegende Folgen haben.

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Laut Rechnungshof sind seit 2008 ununterbrochen im Schnitt mindestens 8000 französische Soldaten in einer Auslandsoperation im Einsatz. Quelle: AFP

Paris In Frankreich nimmt die Kritik an Auslandseinsätzen zu. Aus verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Ecken werden Stimmen laut, die davor warnen, dass das Land zu schnell mit dem Militär bei der Hand sei. Den Bemühungen der Europäer um mehr gemeinsame Verteidigung kann es nur nutzen, wenn diese kritische Position stärker wird: Viele europäische Partner Frankreichs denken ebenfalls, dass Verteidigung mehr sein muss als das Entsenden von Kampfflugzeugen und schnellen Eingreiftruppen. Ohne eine politische Annäherung ist aber kaum denkbar, dass man zu einer gemeinsamen Verteidigung kommt.

Auch wenn Premier Manuel Valls in seiner Rede am Donnerstag in Berlin die Aufgabe wieder recht einseitig darstellte („Wir müssen ein echtes Europa der Verteidigung schaffen, um dazu in der Lage zu sein, außerhalb unserer Grenzen einzugreifen“) – die Debatte in unserem Nachbarland entwickelt sich. In den vergangenen Tagen legte der französische Rechnungshof einen Bericht vor, in dem er die Häufung der Auslandseinsätze kritisiert. Natürlich kann der Hof sich kein politisches Urteil erlauben. Doch er weist darauf hin, dass das Land seit 2012 mit 25 OPEX (Auslandseinsätzen) deutlich häufiger militärisch aktiv geworden sei, als es noch im Weißbuch von 2013 als operative Obergrenze vorgesehen war. Seit 2008 stünden ununterbrochen im Schnitt mindestens 8.000 französische Soldaten in einer Operation im Ausland.

Zudem seien die Kosten stark gestiegen. Jedes Jahr fielen nun ungeplante Zusatzkosten von 1,1 Milliarden Euro an. Auch pro Soldat im Einsatz werde mit 100.000 Euro zusätzlich doppelt so viel an Mehraufwand geleistet wie noch vor zehn Jahren. Dabei seien in diesen Zahlen noch nicht einmal alle echten Kosten erfasst.

Die Prüfer bemängeln, dass die Menge an Einsätzen zwei Folgen habe: Erstens seien sie nicht mehr zu leisten, ohne sich auf materielle Unterstützung von Bündnispartnern zu verlassen. Immer häufiger müsse Frankreich seine Partner um Hilfe bitten, sei es für den Lufttransport oder auch für Munition. Zweitens litten Menschen und Material unter der übermäßigen Auslastung. Die Soldaten würden nicht mehr ausreichend ausgebildet oder nach dem Einsatz körperlich und mental wieder aufgebaut, das militärische Material verschleiße wesentlich schneller. Im Ergebnis leide Frankreichs Verteidigungsfähigkeit und das Land sei heute kaum noch dazu in der Lage, schnell auf eine neue, unabweisbare Anforderung zu reagieren.


„Wir haben die französische Tradition verleugnet“

Diese Kritik wird mit budgetären Zahlen und Fakten untermauert, die nur eine Konsequenz zulassen: Frankreich interveniert zu häufig. In dieselbe Kerbe haut der konservative frühere Premier und Außenminister Dominique de Villepin. In einem Interview mit der Tageszeitung Le Figaro wirft er der sozialistischen Regierung vor, in der Außenpolitik die Diplomatie zu vernachlässigen und zu häufig die Armee in Marsch zu setzen. „Wir geben zu oft der militärischen Versuchung nach, in dem Sinne haben wir die französische Tradition verleugnet, die darin bestand, ein Mittler zu sein. Die Wahrheit ist, dass unsere Staatschefs alle die militärische Abkürzung nehmen, weil es der einzige Knopf ist, der funktioniert, wenn sie ihn drücken, und das besonders in Frankreich.“

Der erfahrene Diplomat, der sich gemeinsam mit Deutschland gegen den Irak-Krieg von George W. Bush eingesetzt hatte, wendet sich auch gegen die Formel vom „Krieg gegen den Terror“: „Das ist mir immer gefährlich erschienen. Wir sollten dem Terrorismus nicht auch noch einen Status verleihen.“ Vom Krieg zu reden, das werte die Terroristen auf und mache sie für Jugendliche attraktiver.

Bemerkenswert ist, dass sogar der Generalstabschef Pierre de Villiers vor einigen Monaten in einem Gastkommentar für die Zeitung „Le Monde“ für ein ausgewogenes Vorgehen eingetreten ist. „Militärische Macht alleine reicht niemals aus.“ Es genüge nicht, ein Ausbildungslager oder eine Lastwagenkolonne von Dschihadisten zu zerstören, „wenn die Wurzeln der Gewalt in einem Mangel an Hoffnung, an Gerechtigkeit, an Entwicklung liegen.“ Deshalb müssten bei schwierigen Operationen, wie der gegen den Terror, viele Ansätze zusammenwirken – nicht allein der militärische.

„Der Krieg genügt nicht, um den Frieden zu gewinnen“, schreibt der General. „Entwicklung ohne Sicherheit ist nicht denkbar, aber Sicherheit ohne Entwicklung auch nicht.“
Gewichtige Worte, erst recht aus dem Mund eines Militärs. Sie kommen dem deutschen Konzept vom mehrdimensionalen Sicherheitsbegriff nahe. Sollte die nächste französische Regierung sich in diese Richtung bewegen, könnte die bislang eher sterile, technokratische Debatte über europäische Verteidigung Fahrt aufnehmen.

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