Prozess gegen Peter Steudtner Seminar im Putschistenhotel?

Am Mittwoch beginnt in der Türkei der Prozess gegen den Menschenrechtler Peter Steudtner. Die Vorwürfe gegen ihn sind schwach. Allerdings könnte das Hotel eine Rolle spielen, in dem Steudtner ein Seminar abgehalten hat.

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Der deutsche Menschenrechtler Peter Steudtner steht in der Türkei vor Gericht. Ihm wird vorgeworfen, die Putschisten in der Türkei unterstützt zu haben. Quelle: dpa

Istanbul Am Tag vor seinem Prozess meldet sich Peter Steudtner persönlich. Er sei froh darüber, dass die Anklageschrift vorliege, ließ er über eine Bekannte mitteilen, und dass die nächsten rechtlichen Schritte wie der erste Anhörungstermin so schnell festgelegt worden seien. „Für mich zeigt sich auch in diesem Moment, was ich in den letzten Wochen gelebt habe: Selbstfürsorge ist Widerstandskraft“, ließ er ausrichten. Die Zeit im Gefängnis sei aushaltbar, erklärte Steudtner weiter, „gerade weil die Solidarität um mich herum so stark ist – dazu zählen insbesondere auch die Andachten in nah und fern“.

Dass er selbst einmal Solidarität nötig haben könnte, hätte Steudtner bis zum 5. Juli wahrscheinlich niemandem geglaubt. Der 45-Jährige Politikwissenschaftler hat eher anderen seine Solidarität und Hilfe angeboten. Der Experte für Gewaltfreie Konfliktbearbeitung leistete jahrelang Aufbauhilfe in Mosambik, seine Hauptthemen: Datenverschlüsselung, IT-Sicherheit, Kommunikation.

Der Medienrummel dürfte groß werden

Anfang Juli leitete er ein Seminar auf der Insel Büyükada, die zum Stadtgebiet Istanbuls gehört. Am zweiten Seminartag stürmten Polizisten den Saal, nahmen Steudtner gemeinsam mit anderen Teilnehmern fest. Zunächst kam er in Polizeigewahrsam, zwei Wochen später verhängte ein Richter eine Untersuchungshaft für den Deutschen.

Der Prozess gegen Steudtner beginnt am Mittwoch Istanbuler Gerichtspalast im Stadtbezirk Sisli; anders als bei der inhaftierten Deutschen Mesale Tolu, die in der Nähe ihres Gefängnisses im Istanbuler Vorort Silivri vor Gericht erscheinen musste. Der Medienrummel dürfte groß sein. Mit einem Erscheinen des deutschen Botschafters aus Ankara wird allerdings nicht gerechnet.

Seit Steudtners Verhaftung ging sein Name um die Welt, oft verbunden mit der Frage: Warum gerade er? Die Vorwürfe gegen ihn sind schwach. Möglicherweise spielt hingegen das Tagungshotel eine größere Rolle, als hierzulande vermutet wird.

Seit einem Putschversuch im Juli 2016 gehen türkische Sicherheitsbehörden erbittert gegen mutmaßliche Putschisten vor, aber auch gegen Mitglieder und Unterstützer der verbotenen PKK und verschiedene andere Gruppen, die je nach Sichtweise als oppositionell bis hin zu terroristisch eingestuft werden. Weite Teile der Bevölkerung sehen die Gülen-Bewegung hinter dem Putschversuch, die seit Jahren den Staat infiltriert und so den Umsturz vorbereitet haben soll.

Neben Steudtner sind mindestens zehn weitere Deutsche unter politischen Vorwürfen in der Türkei im Gefängnis, darunter Deniz Yücel, Korrespondent der Zeitung  „Die Welt“, sowie Mesale Tolu, die für die radikallinke Organisation MLKP als Reporterin arbeitete. Außerdem ist derzeit ein US-amerikanischer Pastor in Untersuchungshaft. Zusammen mit Peter Steudtner wurde der iranisch-schwedische Menschenrechtler Ali Gharavi festgenommen. Insgesamt drei Journalisten aus Italien und Frankreich, die zwischenzeitlich im türkischen Gefängnis einsaßen, wurden wieder freigelassen, nachdem die Regierungen in Rom und Paris vermittelt hatten.


Verhaftung führte zur Verschärfung der Türkeipolitik Berlins

Die Verhaftung Steudtners führte zu einer Verschärfung der Türkeipolitik Berlins. Die jetzt veröffentlichte Anklageschrift dürfte kaum für Entspannung sorgen. Die Staatsanwaltschaft wirft darin Steudtner Unterstützung einer terroristischen Vereinigung vor, was laut türkischem Strafrecht mit maximal zehn Jahren Freiheitsstrafe geahndet werden kann. Die Anklage enthalte lediglich Behauptungen und „absurde Anschuldigungen“ und „liest sich wie ein schlechter Roman“, gab Steudtners Anwalt zu Protokoll.

Ein Punkt in der Debatte um die Festnahme Steudtners schaffte es allerdings nur selten in die Debatte: das Hotel selbst, in dem das Seminar stattgefunden hatte. Einem Bericht der Zeitung „Aksam“ zufolge soll das Seminarhotel seit längerem von türkischen Sicherheitsbehörden beobachtet worden sein – dem Vernehmen nach im Zusammenhang mit ausländischen Geheimdiensten und dem Putschversuch vom 15. Juli 2016.

Das türkische Investigativportal OdaTV berichtete ebenfalls bereits kurz nach dem Putschversuch, dass am Vortag des Umsturzversuches 16 Personen, darunter ein ehemalige CIA-Berater, das Hotel „Splendid Palace“ auf der Insel Büyükada aufgesucht und einen Tag später wieder verlassen hätten.

Oda TV gilt, anders als viele andere Publikationskanäle in dem Land, als seriöses Portal für tiefgründige Recherchen. Zu den Veröffentlichungen zählen Berichte über den sogenannten „Tiefen Staat“ und die Gülen-Bewegung, die in weiten Teilen der türkischen Bevölkerung für den Putschversuch verantwortlich gemacht wird. Auch zu möglichen Manipulationen beim Referendum im April veröffentlichte OdaTV kritische Berichte.

Dass das Tagungshotel, in dem Steudtner verhaftet wurde, möglicherweise schon länger im Fadenkreuz der Regierung stand, kann theoretisch auf einen Zusammenhang mit einzelnen Teilnehmern des Seminars hindeuten – oder bloßer Zufall sein. Es existieren jedenfalls keinerlei Berichte, die eine direkte Verbindung zwischen Steudtner und den Vorgängen im Putschzeitraum ein Jahr vor dem Seminar nahelegen.

Trotzdem könnte die scheinbare Koinzidenz das hektische Handeln der Istanbuler Sicherheitskräfte bei der Verhaftung Steudtners erklären: Polizei und Staatsanwaltschaft sind einem hohen öffentlichen Druck ausgesetzt, die tatsächlichen Umstürzler ausfindig zu machen. Angesichts zehntausender Verhafteter scheint die Devise zu gelten: lieber einer zu viel als einer zu wenig. Steudtner wäre in dem Fall das tragische Opfer dieser Mentalität.

In seiner persönlichen Mitteilung vor dem Prozessbeginn betonte Steudtner, Vertrauen sei „für mich der Schlüssel, diese Situation zu überstehen“, und fügt an: „Dieses Vertrauen habe ich“.

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