Schuldenerleichterungen Wie sich Griechenland aus der Schuldenfalle befreien will

Ohne Schuldenerleichterung wird es Griechenland nicht aus der Krise schaffen. Die Gläubiger haben gute Gründe, Athen entgegenzukommen.

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Gemessen an der Staatsverschuldung steht jeder Grieche, vom Baby bis zum Greis, mit gut 30.000 Euro in der Kreide. Quelle: Reuters

Athen 328,7 Milliarden Euro – so hoch wach Griechenlands Schuldenberg der staatlichen Schuldenagentur PDMA zufolge am 31. Dezember 2017. Bis Ende 2018 wird er nach Schätzung des griechischen Finanzministeriums auf 332 Milliarden Euro anwachsen. Jeder Grieche, vom Baby bis zum Greis, steht dann mit gut 30.000 Euro in der Kreide. Eine gewaltige Schuldenlast, die fast 180 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung ausmacht – das Dreifache der im EU-Stabilitätspakt vorgesehenen Obergrenze von 60 Prozent.

Schulden in dieser Größenordnung gelten als nicht tragfähig. Will Griechenland die Krise hinter sich lassen und irgendwann wieder auf eigenen Beinen stehen, braucht das Land eine Schuldenerleichterung. Jetzt kommt das Thema auf die Tagesordnung der europäischen Finanzminister. Die technischen Vorbereitungen laufen bereits seit März auf Expertenebene. Am 27. April werden sich die Euro-Finanzminister bei ihrem Treffen in Sofia mit der Frage beschäftigen, wie es weitergehen soll mit Griechenland. Eine Entscheidung ist aber erst zu erwarten, wenn das Land die laufende letzte Prüfrunde des Anpassungsprogramms bestanden hat. Dafür soll die Athener Regierung bis zum Frühsommer insgesamt 88 Reform- und Sparvorgaben umsetzen.

Die Minister stellten schon im November 2012 Maßnahmen in Aussicht, um den Griechen die Schuldenlast zu erleichtern. Seither bekräftigten sie dieses Versprechen mehrfach. Dass es bisher bei Ankündigungen blieb, liegt vor allem am früheren Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Er setzte in der Eurogruppe durch, dass über Zusatzmaßnahmen bei den Schulden erst zum Ende des Programms 2018 entschieden wird, und auch nur, „wenn notwendig“. So wollte Schäuble den Reformdruck aufrechterhalten.

Griechenland hat schon zweimal seit Beginn der Krise Schuldenerleichterungen bekommen. Beim Schuldenschnitt vom Februar 2012 mussten die privaten Gläubiger auf rund die Hälfte ihrer Forderungen verzichten. Das brachte eine Entlastung um 105 Milliarden Euro. Sie verpuffte aber schnell. Vor dem „Haircut“ lag die Schuldenquote bei 172,1 Prozent des BIP. Weil die Wirtschaftsleistung weiter dramatisch schrumpfte und das Land immer neue Hilfskredite aufnehmen musste, erreichte sie schon 2013 fast 178 Prozent.
Einen zweiten, versteckten Schuldenerlass bekam Griechenland im November 2012. Damals billigten die Eurofinanzminister einen kreditfinanzierten Schuldenrückkauf. Außerdem wurden die Zinsen für die Hilfskredite gesenkt und die Laufzeiten der Darlehen um 15 auf 30 Jahre gestreckt.
Hilfsgelder von knapp 263 Milliarden Euro flossen seit Mai 2010 nach Griechenland, einschließlich einer Rate von 6,7 Milliarden, die der Euro-Rettungsfonds ESM vergangene Woche bewilligte. „Damit wird die harte Arbeit der griechischen Regierung und der griechischen Bevölkerung bei der Umsetzung weitreichender Reformen gewürdigt“, sagte ESM-Chef Klaus Regling. Die Kredite dienten vor allem dazu, fällige Schulden zu tilgen. Die Folge: Fast 80 Prozent der griechischen Staatsschulden entfallen inzwischen auf öffentliche Gläubiger, nämlich den ESM, seinen Vorgänger EFSF, den Internationalen Währungsfonds (IWF), die Zentralbanken des Eurosystems und auf bilaterale Kredite der Euro-Staaten.

Wird Griechenland diese Schulden jemals zurückzahlen können? Im Moment hat Athen noch keine Schwierigkeiten, seine Verbindlichkeiten zu bedienen. Denn abgesehen von den IWF-Krediten, deren Rückzahlung bereits seit 2013 läuft, beginnt die Tilgung der Darlehen erst 2023. Danach könnte es aber kritisch werden. Nach dem bisherigen Tilgungsplan sollen die Kredite bis 2059 zurückgezahlt sein.

Wie sich die Schuldenquote in dieser Zeit entwickelt, hängt vor allem vom Wirtschaftswachstum, vom griechischen Haushaltssaldo und von den Konditionen ab, zu denen sich das Land am Markt refinanzieren kann. Nach einer Schulden-Tragfähigkeitsanalyse der EU-Kommission wird Griechenlands Schuldenquote bis 2060 unter Annahme des günstigsten Szenarios auf 79,5 Prozent des BIP fallen, im ungünstigsten Fall aber auf 244,1 Prozent explodieren. Die Bandbreite dieser Vorhersage zeigt, wie ungewiss es ist, ob sich Griechenland überhaupt aus der Schuldenfalle befreien kann.

Als sicher gilt: Ohne Schuldenerleichterungen geht es gar nicht. Die Fachleute der Euro-Arbeitsgruppe (EWG) prüfen jetzt ein Bündel von Maßnahmen. Dazu gehören nochmals verlängerte Laufzeiten, dauerhaft niedrige Zinsen und zusätzliche tilgungsfreie Jahre. Zur Diskussion steht auch ein Vorschlag Frankreichs, den Schuldendienst an die wirtschaftliche Entwicklung zu koppeln: In guten Jahren könnte das Land mehr zurückzahlen, in schwachen weniger. Eine weitere Maßnahme wäre die Ablösung teurer IWF-Kredite durch billigere und länger laufende Darlehen des ESM. Griechenland schuldet dem IWF rund neun Milliarden Euro, die bis 2024 zurückgezahlt werden müssen. Die Umschuldung könnte mit Mitteln des dritten Rettungspakets finanziert werden. Geld genug gibt es: Griechenland wird von den bereitstehenden 86 Milliarden Euro voraussichtlich bis zum Programmende nur 59 Milliarden benötigen.

Doch die geplanten Schuldenerleichterungen sind ein politisch heikles Thema. Sie müssten in einigen Euro-Staaten, darunter Deutschland, von den Parlamenten gebilligt werden. Dort gibt es große Widerstände gegen neue Zugeständnisse an Griechenland.

Dennoch sprechen aus Sicht der Gläubiger gute Argumente dafür. Schuldenerleichterungen würden nicht nur die Kreditwürdigkeit des Landes stärken und damit die Refinanzierung am Kapitalmarkt begünstigen. Sie könnten auch sicherstellen, dass Griechenland nach dem Auslaufen des Hilfsprogramms Ende August nicht vom Spar- und Reformkurs abweicht. Ministerpräsident Alexis Tsipras frohlockte in einem Interview mit dem Staatsfernsehen ERT bereits, nach dem Ende des Programms werde man „die Schlüssel zum Geldschrank wieder selbst in die Hand nehmen“. Und sein Staatsminister Alekos Flabouraris versprach: „Im August 2018 öffnen sich die Kanülen.“

Kein Wunder, dass unter den Gläubigern die Sorge umgeht, die Athener Regierung könnte versuchen, unpopuläre Reformen zurückzudrehen und Geld zu verteilen, wenn das Land nicht mehr auf Hilfskredite angewiesen ist – zumal Premier Tsipras spätestens 2019 Wahlen bestehen muss. Eurogruppen-Chef Mario Centeno unterstrich deshalb jetzt im griechischen Fernsehsender „Skai“, Schuldenerleichterungen seien nur möglich, wenn das Land auch in Zukunft seine Verpflichtungen einhalte. Dazu bedürfe es eines „Aufsichtsmechanismus“. Auch ESM-Chef Regling betont, bei Schuldenmaßnahmen müsse es „zusätzliche Überprüfungen, eine Art von strengerer Kontrolle geben“.

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