
Es ist so weit. Wladimir Putins Luftwaffe führt Krieg in Syrien und bombardiert die Feinde seines Verbündeten Baschar al-Assad – jetzt schon am zweiten Tag. Und der Westen, Amerikas zögerlicher Präsident Obama und die untereinander vielfach zerstrittenen Europäer, gucken ratlos zu. Moskau triumphiert.
Zu Unrecht. Putins Luftkrieg in Syrien könnte sich als ähnlich fataler Fehlschlag erweisen wie seine Attacke auf die Ukraine im vorigen Jahr oder die Invasion der auch deswegen untergegangenen Sowjetunion vor Jahrzehnten in Afghanistan. George W. Bush und sein Irakkrieg lassen grüßen.
Die einflussreichsten Rebellengruppen in Syrien
Sie ist ein Zusammenschluss aus sechs großen islamistischen Gruppen. Die Islamische Front ist vermutlich die größte Rebellenallianz in Syrien und verfügt über 40.000 bis 50.000 Kämpfer. Ihre Mitglieder sind sunnitische Extremisten, die einen islamischen Staat in Syrien errichten wollen. Die Haltung der Islamischen Front gegenüber den Extremisten von IS ist ambivalent. Teile der Gruppe unterstützen aber den Kampf gegen sie.
In der einflussreichen Rebellengruppe sind sowohl syrische als auch ausländische Extremisten aktiv. Sie ist von Al-Kaida offiziell als Ableger in Syrien anerkannt. Die Nusra-Front hat als erste Gruppierung in Syrien Selbstmord- und Autobombenanschläge in Stadtgebieten verübt. Sie kämpft für einen islamischen Staat, hat zwischen 7000 und 8000 Anhänger und arbeitete bislang eng mit der Islamischen Front zusammen.
Die Gruppe wurde von abtrünnigen Mitgliedern der Nusra-Front gebildet und vereinigte sich mit dem Al-Kaida-Ableger im Irak. Früher nannte sie sich Islamischer Staat im Irak und der Levante (Isil). Angeführt wird IS von Abu Bakr al-Baghdadi, der die Forderung der Al-Kaida ignorierte, den Schwerpunkt der Aktivitäten auf den Irak zu legen. Anfang des Jahres kappte Al-Kaida die Verbindungen zur IS, die als die militanteste Extremistengruppen in Syrien gilt.
Zunächst hatte die Gruppierung unter anderem wegen ihrer strikten Haltung gegen Plünderungen einen Großteil der syrischen Bevölkerung auf ihrer Seite. Dies änderte sich, als sie begann, Kritiker zu entführen und zu töten.
Derzeit kämpft IS an mehreren Fronten - gegen rivalisierende Rebellen in Syrien und gegen die Kurden im Nordirak. Die Gruppe soll über 6000 bis 7000 Kämpfer verfügen. Im Irak wird sie durch Zehntausende Kämpfer sunnitischer Stämme unterstützt, die von der Zentralregierung in Bagdad enttäuscht sind.
Die Allianz aus weitgehend nicht ideologisch geprägten Rebellen-Einheiten formierte sich im Dezember. Das Rückgrat der Gruppe bildet die Syrische Märtyrer-Brigade, eine einst einflussreiche Gruppe aus der nördlichen Provinz Idlib unter Führung von Dschamal Maruf. Ihm war von rivalisierenden Rebellengruppen vorgeworfen worden, für den Aufstand bestimmtes Geld in die eigene Tasche gesteckt zu haben. Die Anhänger der revolutionären Front sind weitgehend moderate Islamisten. Finanziell unterstützt wird die Gruppe vermutlich von Golfstaaten wie Saudi-Arabien.
Sie bildete sich zu Jahresbeginn aus acht syrischen Gruppen und startete eine Offensive gegen die Extremisten von IS. Die Allianz ist moderat islamistisch und hat nach eigenen Angaben rund 5000 Mitglieder.
Es handelt sich um eine moderate, nicht ideologische Gruppe. Sie wird von westlichen Ländern wie den USA unterstützt. Auch die Türkei und die arabischen Golfstaaten stehen auf ihrer Seite. Sie hat niemals den Eindruck ausräumen können, dass ihre Führung aus dem Ausland kommt.
Russland kann den Bürgerkrieg in Syrien nicht zugunsten seines mörderischen Freundes in Damaskus entscheiden, jedenfalls nicht ohne Bodentruppen. Und Putins Luftkrieg, das zeigen die Satellitenbilder der Woche deutlich, richtet sich viel weniger gegen die Mörderbanden des IS als gegen Assads übrige Feinde, auf die der Westen und Saudi-Arabien mangels besserer Alternativen ihre Hoffnungen in Syrien gesetzt haben.
Doch selbst wenn die russischen Kampfflugzeuge das Mörder-Kalifat im syrischen Nordosten entscheidend schwächen sollten, wird Assad nicht zum Sieger in Syrien, Putin aber zum Verlierer in der Region.
Die russischen Flugzeuge bombardieren eben nicht den internationalen Terror, sondern die Mehrheit der syrischen Bevölkerung, die sunnitischen Muslime aller Schattierungen vom dschihadistischen Kopf-Ab-Mörder bis zu den teils sehr säkularen Bürgern von Aleppo und Homs. Sunniten – das sind eben über 50 Prozent der Bürger Syriens, aber vor allem auch 90 Prozent der Muslime weltweit und fast alle der Millionen von Muslimen in Russland.
Was wird darum passieren, wenn der Westen still hält, Putin sein Bombardement fortsetzt und das Assad-Regime stärkt? „Wie lange“, fragt der amerikanische Publizist Thomas Friedman in der „New York Times“, „wie lange wird es dann dauern, bis jeder sunnitische Moslem im Nahen Osten, ganz zu schweigen von allen Dschihadisten, ein Bild von Putin in einem Fadenkreuz auf sein Handy-Bildschirm postet?“ Eine allenfalls rhetorische Frage.
Moskau hat voriges Jahr für die Annexion der Krim und das kriegerische Chaos im Osten der Ukraine seine Beziehungen zu Osteuropa ruiniert und zu Westeuropa vereisen lassen. Dieses Jahr riskiert die russische Führung einen mindestens so gravierenden Dauerkonflikt mit einer Weltregion.
Mörderischer Unsinn, der auch ökonomische Konsequenzen hat: Putin kann wegen des Syrien-Abenteuers jetzt die Pläne für eine neue Gas-Pipeline durch die sunnitische Türkei Richtung Westen in die Schublade legen. Aber solche Überlegungen spielen in Moskau derzeit offenbar keine Rolle.