Syrien Schwer bewaffnete Rebellen halten in Ost-Ghuta die Stellung

Östlich von Damaskus wollen Rebellengruppen Al-Kaida-nahe Kämpfer vertreiben. Die syrische Regierung verhindert dies, um weiter angreifen zu können.

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Die Gruppe Ahrar al-Sham ist in Ost-Ghuta die drittgrößte Miliz. Quelle: AP

Beirut Mehr als 20.000 Kämpfer sollen sich in Ost-Ghuta verschanzt haben. Die meisten von ihnen sind vor Ort aufgewachsen. Sie kennen das Gelände daher besser als der Feind. Zudem haben sie ein Netz aus Tunneln gegraben, das ihnen Schutz bietet und eine sichere Fortbewegung erlaubt. Vor allem aber sind sie bis an die Zähne bewaffnet. Entsprechend könnte sich die Offensive der syrischen Regierungstruppen in die Länge ziehen – trotz der Hilfe aus Moskau und Teheran.

Seit die Regierung die Region wieder massiv aus der Luft bombardiert, haben auch die Rebellen jede Zurückhaltung abgelegt. Nahezu täglich schießen sie Raketen und Granaten in Richtung Damaskus ab. Doch anders als im Süden der Hauptstadt, wo ein kleineres Gebiet noch von der Terrormiliz IS kontrolliert wird, gehört in Ost-Ghuta nur eine Minderheit einer extremistischen Fraktion an.

In einem Brief an UN-Generalsekretär António Guterres erklärten die drei größten Rebellen-Gruppen aus Ost-Ghuta am Montag, sie hätten die wenigen hundert Kämpfer mit Verbindung zum Terrornetzwerk Al-Kaida aufgefordert, das Gebiet innerhalb von 15 Tagen zu verlassen. Präsident Baschar Assad und seine Verbündeten nutzen die Präsenz der Extremisten als Rechtfertigung für ihre brutale Offensive. Deren Abzug wird nach Angaben der Rebellen aber gerade durch Assad verhindert. Ein Sprecher der „Armee des Islams“ kündigte nun an, die Al-Kaida-Kämpfer würden notfalls mit Gewalt aus Ost-Ghuta vertrieben oder zur Niederlegung ihrer Waffen gezwungen.

Die „Armee des Islams“ zählt zu den wichtigsten Widerstandsorganisationen in Syrien. Ihre Anhänger treten für eine salafistische Auslegung des Islams ein und werden von Saudi-Arabien unterstützt. Gegründet wurde die Gruppe von Sahran Allusch, der nach Beginn der Unruhen im März 2011 zunächst einige Zeit im Gefängnis saß. Wenngleich die „Armee des Islams“ für eine eher radikale Ideologie steht, kämpft sie nicht nur gegen Assad, sondern seit 2014 auch gegen den IS sowie gegen Al-Kaida-nahe Gruppen.

In Ost-Ghuta halten sich Schätzungen zufolge etwa 10.000 Kämpfer der „Armee des Islams“ auf. Sie sollen nicht nur über Artillerie und Granatwerfer verfügen, sondern auch über gepanzerte Fahrzeuge. Ihre Hochburg ist die Stadt Duma. Die Gruppe nimmt an den UN-Friedensgesprächen in Genf und auch an den von Russland, dem Iran und der Türkei initiierten Verhandlungen in Astana teil. Ihr politischer Sprecher Abu Ammar Dalwan betonte allerdings in einem Interview mit der Nachrichtenagentur AP, dass bis zum Ende gekämpft werde. „Wir werden Ghuta nicht freiwillig verlassen“, sagte er.

Kritiker werfen der „Armee des Islams“ schwere Menschenrechtsverletzungen vor, unter anderem die Entführung von mehreren oppositionellen Aktivisten, die bis heute verschollen sind. Die Gruppe streitet die Verantwortung für deren Verschwinden jedoch ab. Als Ost-Ghuta 2015 von den Truppen Assads bombardiert wurde, ließ Allusch Angehörige der alawitischen Minderheit, zu der auch der Präsident gehört, an öffentlichen Orten in Käfige sperren und sie so als menschliche Schutzschilde missbrauchen. Ende 2015 wurde Allusch bei einem Luftangriff getötet.

Die zweitstärkste Miliz in Ost-Ghuta nennt sich Failak al-Rahman. Sie kontrolliert die von den aktuellen Kämpfen besonders stark betroffenen Gebiete im Zentrum der Region, darunter die Städte Irbin, Kfar Batna, Sakba und Hammurije. Die von Katar und der Türkei unterstützte Gruppe soll insgesamt etwa 8000 gut ausgerüstete Kämpfer haben.

Aus einem kürzlich veröffentlichten Video geht hervor, dass Failak al-Rahman sogar über einfache Fabriken zur Herstellung von Mörsergranaten und Panzerabwehrraketen verfügt. Ihr militärischer Anführer ist der ehemalige Assad-Kommandant Abdel Nasser Schmeir. Vertreter der Gruppe sitzen ebenfalls bei den Friedensgesprächen in Genf und im kasachischen Astana mit am Tisch.

Die dritte größere Miliz in Ost-Ghuta, Ahrar al-Scham, wurde 2011 zwar von Fundamentalisten gegründet, positioniert sich inzwischen aber bewusst als gemäßigte Rebellengruppe. Ihre stärkste Präsenz hat sie im Bereich der unmittelbar an Damaskus angrenzenden Vorstadt Harasta. Einer der Gründer, Mohammed Baheja, soll im Irak und in Afghanistan gegen US-Truppen gekämpft und enge Kontakte zu Al-Kaida gehabt haben. Im Jahr 2014 wurden Baheja und weitere Anführer von Ahrar al-Scham getötet. Die Gruppe blieb bestehen und kämpfte später im Norden Syriens gegen das mit Al-Kaida verbundene „Komitee zur Befreiung der Levante“.

Das „Komitee zur Befreiung der Levante“ wird international als Terrororganisation eingestuft. In Ost-Ghuta hat die Gruppe, die jegliche Verhandlungen mit der Regierung ablehnt, etwa 600 Kämpfer. Im Vergleich zu den insgesamt mehr als 20.000 Rebellen in der Enklave sind sie also zahlenmäßig kaum von Bedeutung. Trotzdem spielen sie in der aktuellen Situation eine wichtige Rolle, da Assad seine Offensive als Kampf gegen Extremisten darzustellen versucht. Seit Ende 2017 wird über eine Ausreise der Al-Kaida-nahen Kämpfer und ihrer Familien aus Ost-Ghuta diskutiert – die Regierung soll aber alle derartigen Bemühungen durchkreuzt haben.

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