Tauchsieder

Angst vor China?

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Von Konfuzius bis Xi

Alle anderen greifen gleich zu der Länderkunde des alten Asienexperten Oskar Weggel; die fünfte Auflage mit dem schlichten Titel „China“ stammt aus dem Jahr 2002 und ist aus guten Gründen noch erhältlich: ein Buch, das die Grundwerte des chinesischen Gesellschaftssystems skizziert, das viele tausend Jahre älter ist als die Kommunistische Partei - und das den Vorzug hat, bei westlichen Lesern laufend Selbstbefragungen zu provozieren. Man lernt mit Weggel das traditionell engmaschige Netz der Beziehungen und zellular wirkenden Dorfstrukturen in China kennen, den Geist der Tradition und Einpassung, auch das Konzept einer Erziehung, die dauernde Ehrfurcht vor dem Hergebrachten vermittelt - und natürlich die Kernelemente der konfuzianischen Tugendlehre: Achtung vor den Vätern, respektvolle Höflichkeit, ergebenes So-Sein-Sollen.

Bezeichnenderweise handelt es sich ja auch bei der chinesischen Philosophie vor allem um eine Weisheitslehre: „Das Erlernte immer wieder einzuüben, ist die höchste Freude“, so Konfuzius. Darüber kann man sich lustig machen, wie schon Johann Gottfried Herder, der sich China als „balsamierte Mumie, mit Hieroglyphen bemalt“, vorstellte - oder wie Leopold Ranke, der von einem „Volk des ewigen Stillstands“ sprach. Warum? Nun, etwa weil in China Handwerk erst im Traditionszitat zu Kunst avanciert, nirgends so deutlich wie in der Kalligraphie: Lässt sich ein größerer Unterschied zum westlichen Verständnis von Kunst als Schöpferakt eines (einzelnen) Genies denken?

Wer anschließend wissen will, wie vor dem kulturhistorischen Hintergrund das schmeichelnde (Selbst-)Bild einer chinesisch geprägten Weltordnung aussieht, muss zum neuen Buch von Zhao Tingyang greifen, Professor für Philosophie an der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften in Peking - laut Verlagslyrik einer der „bedeutendsten chinesischen Philosophen der Gegenwart“. Man muss Zhao wirklich dankbar sein für die Offenheit, mit der er die chinesische Antike hagiographiert und exemplifiziert - sie uns als Referenz und Leitstern einer modernen „Pax Sinica“ vor Augen führt: als Beispiel für eine Weltinnenpolitik der Kooperation und Koexistenz, geprägt von einem gütigen Hegemon, dessen unwiderstehliche Anziehungskraft sich allein seiner Systemüberlegenheit verdankt. So verklärt und nationalgeschichtsstolz jedenfalls und aller kaderkommunistischen Realität enthoben wie in „Alles unter dem Himmel“ (Suhrkamp Verlag, 2020, 22 Euro) bekommt man das chinesische Harmonieideal „tianxia“ nicht alle Tage serviert.

Man hat sich unter „tianxia“, so der Globalhistoriker Jürgen Osterhammel, weniger eine „greifbare Ordnung“, vielmehr „ein Lebensgefühl hierarchischer Geborgenheit“ vorzustellen. Theoretisch. Und idealhistorisch. Aber lebenspraktisch? Und realpolitisch? Wohl eher ein Lebensgefühl, das von der KP Chinas in Form von Win-win-Konstellationen produziert wird - Win-Win-Konstellationen, die sich Zhao zufolge am besten in hierarchischen Verhältnissen und Tributbeziehungen realisieren lassen. Für den inferioren Rest der Welt geht es dann vor allem darum, die Autorität des „tianxia“-Inhabers im Wege der freiwilligen Unterwerfung anzuerkennen, seine kulturellen Vorzüge assimilierend zu genießen, seiner politischen Meisterschaft Gehorsam zu bezeigen - sich in den „Mahlstrom“ seiner segensreichen Zentripetalkräfte ziehen zu lassen.

China versteht das als faires Angebot - als weltpolitischen Masterplan für die „Schicksalsgemeinschaft der Menschheit“ (Präsident Xi). Das Ziel, so Zhao: das „konfuzianische Optimum“ allseitiger Nutzenmaximierung, die „Inklusion der Welt“, die Überwindung westlicher Herr- und Knecht-Beziehungen: zum Wohle des Weltklimas und Weltfriedens. Zhao ist so etwas wie der philosophische Weichzeichner dieses politischen Programms. Er entwirft in scharfer Abgrenzung zu westlichen Werten (Konkurrenz, Individualität, Menschenrechte) das Paradox einer totalen Weltinnenpolitik zum Wohle des größten denkbaren Kollektivs: der Menschheit eben. Er sagt nicht, China sei der natürliche Inhaber des „tianxia“. Aber welches Land könnte er sonst meinen? Das Buch ist, gelesen als Dokument geisteswissenschaftlicher Auto-Propaganda, nicht weniger als eine Offenbarung.

Und verlangt ein Gegengift: Clive Hamilton und Mareike Ohlberg haben mit „Die lautlose Eroberung“ (DVA-Verlag, 2020, 26 Euro) ein materialreiches Kompendium der Weltordnungsansprüche Chinas vorgelegt - und der antidemokratischen Machtmittel, derer sich die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) dabei bedient. Hamilton und Ohlberg verstehen „China“ dabei (aus guten Gründen) als „von der KPCh beherrschte politische Einheit“; sie zeichnen detailliert nach, wie die Partei „westliche Demokratien unterwandert“ und gehen schonungslos mit westlichen Politikern, Diplomaten und Managern ins Gericht, die sie zu politischen Lobbyisten Pekings zählen. Dabei schießen sie zuweilen über das Ziel hinaus. Man kann etwa, ja muss Altkanzler Helmut Schmidt mit Blick auf China für sein dauerndes Herrscherlob kritisieren. Aber ein willfähriges Sprachrohr chinesischer Interessen war er deshalb noch lange nicht. Und was heißt, Stichwort Hongkong, „lautlose Eroberung“? Egal: Neben den aktuellen China-Büchern und zumal als Parallellektüre zu Parag Khannas „Unsere asiatische Zukunft“ (Rowohlt, 2019, 24 Euro), in dem das „Reich der Mitte“ als rein defensiver Welthegemon und neutraler Wohlstandsmotor einen allzu freundlichen Auftritt hat, gehört das Buch von Hamilton und Ohlberg - nein: nicht auf den Nachttisch. Dafür sind die Belege für die Übergriffigkeit der KPCh und die Willfährigkeit westlicher Politiker, Diplomaten und Manager dann doch zu beunruhigend.

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