Tauchsieder

Ein Hoch auf Branson, Bezos, Musk!

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Wo ist das Problem?

Das Wunder des Kapitalismus, zumindest in den Verwöhnzonen der westlichen Welt, besteht schließlich seit mehr als 100 Jahren darin, dass sein Schwungrad nicht nur von Seiten des Angebots, der Produktion und des Profitstrebens ausbeuterischer Kapitaleigner angetrieben wird, sondern auch vonseiten des Konsums, der Nachfrage und des Freizeitverhaltens derer, die als Superreiche oder „abhängig Beschäftigte“ mehr oder weniger gutes Geld verdienen, um es anschließend zu verjubeln.

Eitelkeit? Ego? Verschwendung? Es soll Blechschlosser geben, die 15000 Euro für eine Hochzeit ausgeben, die sich sich eigentlich nicht leisten können, und Mittelmanagerinnen, die schon 30000 Euro für Coaches erübrigt haben, um sich im Glanz der Selbstannahme zu sonnen, ihr berufliches Ich surfe immer vor der Welle. Und? Einer wie Branson hebt halt lieber ganz buchstäblich ab – wo bitteschön liegt das Problem? Da entziehen sich also drei Großprofiteure des Kapitalismus endlich mal dem reinen Gewinnstreben und Nützlichkeitsdenken, bringen den homo oeconomicus in sich um Schweigen, vergeuden sich ans Romantische, Irrationale, Träumerische - und schon soll es wieder nicht recht sein?

Im Übrigen: Wer wollte ausgerechnet Elon Musk vorwerfen, er wüsste nichts Besseres mit seinem Leben anzufangen? Es sind schließlich nicht die retrospektiven Lebensentwürfe, naturkonservierenden Verhaltensweisen und konsumaversen Kulturkritiken der eigenen Tradition, die der Wachstumsstory grüner Anliegen seit zwei, drei Jahren ihren Drive verleihen, sondern lösungsorientierte Tüftler, Ingenieursgründer und Zukunftsfreunde à la Musk, die mit ihrer großspurigen Lust an der Verausgabung von (Geld- und Zeit-)Ressourcen zeigen, dass man Klimasorgen am besten tätig-entschlossen bewirtschaftet, um sie zu minimieren.



Tatsächlich ist es eine der schönsten Ironien der jüngeren Geschichte überhaupt: Die Grünen verdanken nicht nur den Kassandradiensten von Greta Thunbergs FFF-Bewegung und einer sich zunehmend aufdrängenden Macht des Faktischen (Extremwettereignisse), sondern auch einem Mindset der Verschwendung die Aussicht auf eine ökonomisch effiziente Bearbeitung des Klimawandels und des Artensterbens – und damit die Popularisierung ihrer Generalanliegen.

VW-Chef Herbert Diess ist in Deutschland ein Protagonist dieses neuen Wirtschaftsverständnisses aus dem Geist des Überschusses und der Verausgabung, des betriebswirtschaftlichen Eros und Exzesses; er war sich nicht zu schade, bei Musk in die Lehre zu gehen und hat verstanden, was Disruption bedeutet: Wenn ich auf meinem bisher erfolgreichen Geschäftsmodell beharre, gefährde ich dessen Zukunft; es geht jetzt darum, mein Geschäft während des laufenden Betriebs zu zerstören. Dazu bedarf es „einer ganz eigenen Kompetenz“, schreibt der Wirtschaftsphilosoph Wolf-Dieter Enkelmann – eine Kompetenz, „die durch die ökonomische Rationalität der Effizienzsteigerung und Profitmaximierung nicht gedeckt ist“. Und die statt dessen auf einen wie Georges Bataille zurückgreifen muss, auf einen Artisten des inspirierenden Widerspruchsdenkens - auf einen Surrealisten ganz am Rand der ökonomischen Theorie.

Bataille hat im Jahr 1933 über den „Begriff der Verausgabung“ geschrieben und in dem kurzen Text „das Prinzip des Verlustes“ als Primärenergie jeder wirtschaftenden Kultur gewürdigt: Luxus, Trauerzeremonien, Prachtbauten, Spiele, Kriege und Kulte, so Bataille, seien keinen Nützlichkeitserwägungen unterworfen, hätten ihre Basis im Verlust, „ihren Zweck in sich selbst“: Kulte verlangten „eine blutige Vergeudung von Menschen und Tieren“. Bei Wettkämpfen würden „in Form von Wetten werden irrsinnige Summen eingesetzt„. Im „Potlatsch“ indigener Kulturen stünden kostspielige Gaben und Geschenke am Anfang aller Ökonomie, und weil sie eine Verpflichtung zur Gegengabe einschlössen, so Bataille im Anschluss an Marcel Mauss, habe der Tauschprozess „seine Grundlage in einem Verschwendungsprozess, aus dem sich dann ein Erwerbsprozess entwickelt“.

Es ist hier nicht der Platz, die sprühenden Gedanken Batailles näher auszuführen – etwa dass die Reichen in der Bourgeoisie sich, anders als ihre aristokratischen Vorgänger, „durch die prinzipielle Weigerung“ auszeichnen, ihrer „Verpflichtung zur funktionellen Verausgabung“ ihrer Reichtümer noch nachzukommen - und statt dessen beschlossen hätten, sie „nur für sich selbst zu verschwenden“ (alle Kursivsetzungen von Bataille).

So etwas gehört in einer freien Gesellschaft natürlich diskutiert und kritisiert – so wie Bezos kritisiert gehört, weil er seine Mitarbeiter kurz hält, oder Musk, wenn er mal wieder bei Twitter durchdreht, oder Branson, wenn er in seinem Steuerparadies zum Smartphone greift, um den britischen Staat anzubetteln. Allein für die irrationale Verausgabung von Ressourcen, ihr Testosteron und ihre überschüssige Energie gehören die drei eher nicht kritisiert. Ihre Weltraumabenteurerei basiert womöglich auf einem Geschäftsmodell. Sie dient womöglich der Wissenschaft (jedenfalls im Falle von Musk).

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Und sie ist Ausdruck einer womöglich produktiven Vergeudung, die unser Wirtschaften in den nächsten Jahrzehnten prägen wird: Nicht nur Musk und Diess machen darauf die Probe aufs Exempel, sondern etwa auch Joe Biden und Ursula von der Leyen mit ihren milliardenschweren „Green New Deals“. Wessen Verschwendungen die Menschheit am Ende mehr bereichert haben werden? Das steht heute noch in den Sternen.

Mehr zum Thema: Jeff Bezos führt zusammen mit Elon Musk die Liste der reichsten Menschen der Welt an, Bill Gates landet auf Platz vier. Die drei Techunternehmer denken und handeln überraschend ähnlich. Fünf Erfolgsregeln, die auch anderen helfen, ihre Ziele zu erreichen.

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