Ukraine-Krise Bei Merkel regiert das Prinzip Hoffnung

Keine Waffen, keine neuen Sanktionen, kein frisches Geld – die Kanzlerin lässt den ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko in Berlin abblitzen. Und klammert sich stoisch am Minsker Friedensabkommen fest, auch wenn es mehr als brüchig scheint.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Präsident der Ukraine, Petro Poroschenko Quelle: dpa

Über mangelnde Aufmerksamkeit seitens der Bundeskanzlerin kann sich der ukrainische Präsident Petro Poroschenko nicht beschweren. Der frühere Schokoladenfabrikant hat eigens nachgezählt: Seit seinem Amtsantritt im Juni 2014 notierte er 60 Telefonate und elf Treffen mit Angela Merkel (CDU) – allenfalls Kremlchef Wladimir Putin dürfte ihn in Sachen Telefon-Talk toppen, wobei die Deutsche die persönlichen Treffen mit dem chauvinistischen Russen bekanntlich auf ein Minimum reduziert.

Politisch scheint Poroschenko der Kanzlerin durchaus nah zu sein. Merkel sprach in Berlin von einer „intensiven, aber nicht kontroversen Diskussion“ mit dem Präsidenten über die Umsetzung des Mitte Februar in Minsk vereinbarten Friedensabkommens. Sie habe „großen Respekt“ für die Friedensbemühungen des Ukrainers. Russlands Annexion der Krim vor einem Jahr nannte sie erneut völkerrechtswidrig. Man werde den Vorgang „nicht vergessen werden, da dies die europäische Friedensordnung in Frage gestellt hat“. Priorität habe allerdings der Frieden in der Ost-Ukraine, wo nach UN-Angaben bereits mehr als 6000 Menschen gestorben sind und 1,8 Millionen in die Flucht getrieben wurden. Urheber allen Unheils nennt die Kanzlerin klar beim Namen: „Es war Russland, das der Ukraine die Kontrolle der Grenze entzogen hat.“

Die wirtschaftliche Bedeutung der Ukraine

Poroschenko gibt sich unterdessen Mühe, die Erwartungen der Deutschen zu erfüllen: Der Krieg dürfe kein Grund sein, Reformen zu verschleppen, so der ukrainische Präsident: „Wir führen parallel große Anstrengungen durch, um Reformen anzupacken“, was in Europa aber zu selten beachtet werde. Am Dienstag reise eine deutsche Delegation nach Kiew, um die Fortschritte zu begutachten. Die Bereitschaft zu Strukturreformen kommt gut an in Berlin, wo insbesondere das Haus von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hinter den Kulissen vor einem Versickern von Hilfsgeldern in der Ukraine warnt.

Im Vorfeld seines ersten offiziellen Staatsbesuchs hatte Petro Poroschenko nach deutscher Militärhilfe gerufen und schärfere Sanktionen gegen Russland gefordert – per Interview, wie üblich. Sicher hoffte er auch auf zusätzliche Finanzhilfen, die über die bilateral zugesagten 500 Millionen Euro hinausgehen. Doch des Gutwetters zum Trotz ließ die Kanzlerin den Ukrainer eiskalt abblitzen: Weder frisches Geld oder Waffen sagte die Regierung in Berlin zu. Noch ließ sich die Kanzlerin zu einem klaren Statement für schärfere Sanktionen verleiten, nicht einmal zu dessen Verlängerung. Nur im Fall des Angriffs der pro-russischen Separatisten auf die Hafenstadt Mariupol sei man „notfalls bereit zu neuen Sanktionen“, so Merkel nebulös, sofern sie unerlässlich seien. Am Freitag will ein EU-Gipfel über die Sanktionen gegen Russland beraten.

Merkel klammert sich an das Friedensabkommen von Minsk fest und hofft inständig, dass dieses letztlich doch noch eingehalten werde. Auch wenn sie selbst zugeben musste, dass es beim Abzug schwerer Waffen „erhebliche Lücken“ gebe und bei der Umsetzung noch „sehr sehr viel Arbeit vor uns liegt“. Immerhin seien die Kriegshandlungen abgekühlt. Poroschenko wurde deutlicher: „Wir müssen leider heute konstatieren, dass die von Russland unterstützten Kämpfer ihre Verpflichtungen nicht vollständig erfüllen.“ Das betreffe vor allem den Abzug schwerer Waffen und die Freilassung von Gefangenen. Die Ukraine habe sich dagegen an das Abkommen gehalten. Wie die Umsetzung gelingen soll, blieb während des Staatsbesuchs eine offene Frage.

Die Krim-Annexion ist für Moskau ein teurer Spaß

Petro Poroschenkos Berlin-Besuch fällt just auf den Jahrestag der Krim-Annexion. Die ukrainische Halbinsel hatten russische Truppen im März vor einem Jahr besetzt, wie Kremlchef Wladimir Putin selbst bestätigte. Am 16. März stimmten die 2,4 Millionen Krim-Bewohner in einem fragwürdigen Referendum ohne internationale Beobachter für den Anschluss an Russland. Poroschenkos Beteuerungen, die Krim werde eines Tages wieder Teil der Ukraine sein, sind eher rhetorisch. Faktisch ist die Halbinsel jetzt ein Teil Russlands – mit allen Folgen.

Für Moskau wird die Annexion zum teuren Spaß: Auf knapp eine halbe Milliarde Rubel pro Tag (rund sieben Millionen Euro) schätzt die Wirtschaftszeitung RBK Daily die Kosten für die Krim. Von knapp 1,8 Milliarden Euro, die für die Halbinsel und den Militärstützpunkt Sewastopol im Jahr 2014 aus den föderalen Budgets abgeflossen sind, fließen zwei Drittel in Sozialausgaben. Es folgen mit großem Abstand die Aufwendungen für Energie und andere Versorgungsleistungen – teils muss die Krim per Luftbrücke mit Frischwasser versorgt werden, da die Lieferwege aus der Ukraine mit dem Einmarsch russischer Truppen in das Land gekappt wurden.

Besonders teure Investitionen sind ins Budget noch gar nicht eingestellt. Dazu zählt vor allem eine 19 Kilometer lange Brücke über die Straße von Kertsch, welche die territorial nur mit der Ukraine verbundene Halbinsel ans russische Festland andocken soll. Das 3,5 Milliarden Euro teure Bauprojekt wird die Rechnung für die Krim-Annexion noch einmal deutlich opulenter machen – zumal Bauarbeiten in Russland wegen der hohen Korruption gern das Doppelte bis Dreifache kosten.

Aber sei’s drum: Für die Krim scheut Russland keine Kosten, auch wenn die russische Wirtschaftsleistung in diesem Jahr um vier, fünf Prozent einbrechen dürfte. Die Annexion der Halbinsel hat eine patriotische Funktion für die russische Bevölkerung, die in Zeiten schwächeren Wachstums hinter Wladimir Putin zusammenrückt als dem großen Restaurator russischer Großmacht.

In einer Dokumentation, die das staatlich gesteuerte Fernsehen am Vorabend des Jahrestags der Krim-Annexion ausstrahlte, luden Reporter die wirtschaftlich schwach entwickelte Halbinsel mit reichlich Pathos auf. Putin ließ sich gar zum Satz verleiten, er hätte zum „Schutz der Krim“ sogar Atomwaffen eingesetzt – wohlweislich ignorierend, dass niemand die Krim jemals bedroht hat. Vermutlich kommt eines Tages der Moment, da der russischen Führung die Kosten für den neuen Imperialismus um die Ohren fliegen.

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