UN-Konferenz in Glasgow So stark würde ungebremster Klimawandel Chinas Wirtschaft schaden

Bei der Klimakonferenz in Glasgow wurden noch nicht die entscheidenden Hürden genommen, um das 1,5 Grad-Ziel zu erreichen. Quelle: REUTERS

Rückversicherer beziffern die wirtschaftlichen Schäden bei verschiedenen Stufen der Erderwärmung. Geht es bis 2050 weiter wie bisher, gehen 18 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung verloren.

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Letzter Tag nach zwei Wochen Uno-Klimakonferenz im schottischen Glasgow: Den Verhandlungsteams aus mehr als 190 Ländern liegt ein Vertragsentwurf für die COP26 vor, der einlösen soll, was vor sechs Jahren beim UN-Gipfel in Paris vereinbart wurde. Die Erderwärmung soll unter zwei Grad bleiben, besser bei 1,5 Grad Celsius, im Vergleich zu vor der Industrialisierung. 

Dazu müssen noch konkrete Regeln vereinbart werden, die alle Länder einhalten müssen, und Maßstäbe, damit Anstrengungen transparent und vergleichbar werden. Die entscheidenden Hürden sind noch nicht genommen, auch jene nicht, die einen Preis je Tonne Treibhausgas zum effizienten wie länderübergreifenden Mittel in der Klimakrise machen würde.

Darüber täuschen auch die jüngsten Ankündigungen in Glasgow nicht hinweg: Verbrennerverbote in vielen Ländern innerhalb weniger Jahre, keine Investments vieler Regierungen mehr in die Kohleverstromung oder Geld für Aufforstung weltweit sowie Unterstützung reicher Länder für ärmere, die von der Erwärmung getroffen werden.  

von Cordula Tutt, Christian Ramthun, Julian Heißler, Maxim Kireev, Jörn Petring

Die Erderwärmung könnte also trotz warmer Worte und guter Absichten höher ausfallen als in Paris anvisiert. Nach allgemein gestützter Klima-Prognose könnte mit deutlich mehr Anstrengung in der Folge von Glasgow noch irgendwie das Ziel zwei Grad plus eingehalten werden. Doch die konkreten Schritte, die jedes Land einhalten muss, sind noch nicht festgezurrt. 

Das Zwei-Grad-Ziel bedeutet nach Rechnung von Rückversicherern, die weltweit die Entwicklung aufmerksam verfolgen, bereits einen Verlust der weltweiten Wirtschaftsleistung im Vergleich zur Welt ohne Klimawandel von elf Prozent. Steigt die Temperatur geringfügig mehr um 2,6 Grad Celsius, wäre es nach Zahlen des Branchenriesen Swiss Re ein Minus von 14 Prozent. Würde die Welt wider Erwarten noch die Ziele von Paris mit 1,5 Grad bis unter zwei Grad Erderwärmung einhalten, läge der Verlust beim weltweiten Bruttoinlandsprodukt (BIP) nur bei vier Prozent bis 2050. Die Schweizer Rückversicherung hat dagegen auch das Szenario gesetzt, was Weiter-So bis 2050 bedeuten würde: etwa 18 Prozent Minus bei der Wirtschaftsleistung weltweit.

Die Schweizer, die für Versicherungen die Absicherung übernehmen, wenn diese etwa besonders große Schäden aus Flut, Unwetter, Dürre oder Waldbränden zu verkraften haben, gehören neben dem deutschen Unternehmen Münchener Rück (Munich Re) zu den größten der Branche.

Munich Re hat zur Uno-Konferenz ebenfalls neue Zahlen veröffentlicht, die eigentlich mehr Engagement aller Regierungen und Verhandlungsteams in Schottland hervorrufen müssten. Der Klimawandel sei zumindest teilweise verantwortlich für das Ausmaß der Flut im Juli 2021, die enorme Schäden und Verwüstung in Zentraleuropa angerichtet habe.



Der Münchener Rückversicherer schätzte die Verluste durch das Hochwasser auf 46 Milliarden Euro – „es war die kostspieligste Naturkatastrophe in der modernen europäischen Geschichte“, hieß es bei Munich Re vor wenigen Tagen. „Von diesen Verlusten waren mehr als neun Milliarden Euro versichert.“ Nach solchen Erfahrungen dürften sich mehr Hausbesitzer und Kommunen als bisher versichern.

Die Bundesregierung meldete dieser Tage nach Medienberichten Ansprüche auf Geld vom EU-Solidaritätsfonds an. Die Schäden nach der Flutkatastrophe vom Juli wurden demnach mit 29,2 Milliarden Euro angegeben. Diese Rekordsumme in einem Antrag auf Finanzhilfen sprengt aber wohl den Rahmen des Fonds. Damit liegt die Schadenssumme um ein Mehrfaches höher als bei den Flutkatastrophen 2002 und 2013.

Solche Entwicklungen, die doch mit internationalen Vereinbarungen gebremst oder abgemildert werden sollen, verfolgen die Versicherungsunternehmen genau. Werden mehr Versicherungen abgeschlossen, erhöht das erstmal die Einnahmen, potenziell steigen aber auch die Auszahlungen bei Schäden, besonders nach Naturkatastrophen. Auch die Rückversicherer passen die Prämien ihren Erwartungen möglichst präzise an. Sie haben großes Interesse an genauen Prognosen: Schätzen sie potenzielle Schäden aus dem Klimawandel für zu hoch ein, fällt ihre Versicherungsprämie vergleichsweise hoch aus – ihnen geht Geschäft verloren. Setzen sie die Risiken zu niedrig an, können sie die eigenen Verpflichtungen nicht ohne Verlust bedienen.

„Der Klimawandel ist langfristig die größte Gefahr für die Weltwirtschaft“, überschreibt die Swiss Re eine aktuelle Studie ihres Forschungsinstituts. Darin wurde untersucht, wie stark 48 Länder, die insgesamt 90 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung vereinen, von den Folgen des Klimawandels wirtschaftlich belastet würden. Mehr wetterbedingte Naturkatastrophen seien zu erwarten und die hätten teils erhebliche Einkommens- und Produktivitätsverluste zur Folge. So gehe durch steigenden Meeresspiegel potenziell Agrar- oder anderweitig nutzbares Land verloren, Hitze könne Ernteausfälle bedeuten und mehr.

China hat demnach eigentlich ein besonders großes Interesse, seine Emissionen und die Erwärmung zu bremsen. Nach den Swiss-Re-Zahlen könnte die Wirtschaft der Volksrepublik, weltweit der größte Emittent, bis 2050 um bis zu 24 Prozent schrumpfen. Die USA, Kanada und Großbritannien hätten jeweils ein Minus von etwa zehn Prozent zu verkraften. In der EU seien Einbußen zwischen sechs Prozent (Finnland) und 13 Prozent (Griechenland und Frankreich) wahrscheinlich.

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Geld gegen den Klimawandel ist günstiger eingesetzt als Geld zur Bewältigung der Folgen der Erwärmung, rechnen die Versicherer vor: Die Swiss-Re-Analyse kommt zum Ergebnis, wenn die jährlichen globalen Infrastrukturinvestitionen von 6,3 Billionen Dollar um nur zehn Prozent höher ausfielen, könnte der Anstieg der durchschnittlichen Temperatur noch auf unter zwei Grad Celsius begrenzt werden. Das sei nur ein Bruchteil des globalen BIP-Verlusts, der sonst drohe.

Gefragt sei eine ganze Palette an Maßnahmen. Nötig seien ein verbindlicher CO2-Preis für jede ausgestoßene Tonne Treibhausgas, aber auch das Zurückholen von CO2 aus der Atmosphäre. Grüne und nachhaltige Anlageformen müssten attraktiver werden für Investoren und privates Geld genutzt werden. Vor allem aber müssten die Staaten und Finanzinstitute regelmäßig offen legen, wie sie die Ziele des Pariser Abkommens und Netto-Null-Emissionen erreichen wollen.

Alle scheinen also zu wissen, was zu tun ist und wie hoch die Kosten des Nichtstuns sind. Da klingen Versicherungen in Sachen Klimaschutz ganz wie Nichtregierungsorganisationen. Die Verhandlungsteams in Glasgow sind zu Beginn des letzten Konferenztages noch nicht ganz so weit im Text.

Mehr zum Thema: Auf dem Klimagipfel in Glasgow haben sich mehr als 100 Staaten weniger Methanemissionen versprochen. Diese Technologien sollen im Kampf gegen das Klimagas die Waffen sein.

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