Unabhängigkeitskonflikt Katalonien droht erneut Chaos

Nach dem Wahlsieg der Separatisten fordert der abgesetzte katalanische Regierungschef Puigdemont ein Treffen mit dem spanischen Premier Rajoy. Der will zwar reden, sieht Puigdemont aber nicht als Gesprächspartner.

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Barcelona Das Leben in Barcelona unterscheidet sich am Tag nach der wichtigen Richtungswahl auf den ersten Blick nicht vom Alltag. Es gibt weder Jubelfeiern noch Demonstrationen. Vor dem Regierungssitz an der Placa St. Jaume hält ein Sicherheitsmann Wache, der Eingang ist wie in den vergangenen turbulenten Wochen mit Gittern abgeriegelt, aber der Platz liegt ruhig und leer in der Morgensonne.

Trotzdem haben sich gegenüber dem Regierungssitz rund ein Dutzend Kamerateams aus aller Welt postiert: Sie kommen aus Tschechien, Vietnam, den USA oder dem spanischen Baskenland. Der Grund für das weltweite Interesse an dieser Regionalwahl ist ihre große Bedeutung für den Zusammenhalt Spaniens und für ähnliche Unabhängigkeitsbestrebungen in weiteren europäischen Ländern. Überall in der Stadt sind Reporter mit Kameras und Mikrofonen zu sehen – sie wollen von den Katalanen wissen, was sie von dem Ergebnis halten.

Dieses Ergebnis hat die schlimmsten Befürchtungen bestätigt: Die drei Parteien, die eine Trennung Kataloniens von Spanien fordern und das Land mit einem illegalen Referendum in eine tiefe Krise gestürzt haben, haben erneut die Mehrheit im Parlament gewonnen. Gleichzeitig ist die mit Abstand stärkste Partei aber die der liberalen Ciudadanos, der vehementesten Gegner der Separatisten.

„Das ist eine totale Scheiße“, sagt der junge Christian Ruiz. „Das wird unsere Gesellschaft noch weiter spalten. Uns ging es hier gut, aber die Separatisten behaupten, als eigener Staat wäre alles noch besser – und wir sehen ja, was sie angerichtet haben.“ Seit dem Referendum am 1. Oktober haben 3000 Unternehmen ihren Sitz aus Katalonien weg verlegt, die Touristenzahlen sinken wegen der zahlreichen Demonstrationen, und Bars wie Restaurants in der Region setzen weniger um.

Der Senior Luis Ponsa hat dagegen für das Wahlbündnis des abgesetzten katalanischen Regierungschefs Carles Puigdemont gestimmt. „Das Ergebnis ist ein Erfolg und hat uns der Unabhängigkeit ein Stück näher gebracht“, sagt er. Allerdings fordert er von der neuen Regierung jetzt einen Dialog statt einer Konfrontation.

Das verspricht auch Puigdemont. Von seinem selbst gewählten Brüsseler Exil aus schlug er ein Treffen mit dem spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy vor. „Es müssen jetzt politische Lösungen gefunden werden. Und ich habe keinerlei Probleme damit, mit Herrn Rajoy darüber zu reden.“ In der Vergangenheit scheiterte der Dialog, den die Separatisten immer wieder forderten daran, dass sie allein über ein Unabhängigkeitsreferendum reden wollen. Das kam und kommt wohl auch heute für Madrid nicht in Frage.

Puigdemont ließ wenig Zweifel daran, dass er weiter am Ziel der Unabhängigkeit festhält.

Rajoy „muss jetzt die Realität akzeptieren“, sagte er. Der ehemalige Regierungschef hatte die Regionalwahl zu einem legalen Unabhängigkeitsreferendum umdefiniert und wertet die erneute Mehrheit für die Separatisten als Beweis dafür, dass die Katalanen die Unabhängigkeit fordern. Das stimmt aber nicht ganz: Die Separatisten haben nur 47,5 Prozent der Stimmen gewonnen und damit erneut weniger als die Hälfte der Gesellschaft auf ihrer Seite. Das spanische Wahlrecht bevorzugt aber ländliche Regionen, in denen die Separatisten besonders stark sind, so dass es dennoch wieder für eine Mehrheit der Parlamentssitze reicht.

Rajoy versicherte am Freitagmittag, dass er bereit sei für „Kooperation, konstruktiven und realistischen Dialog, immer innerhalb der bestehenden Gesetze“. Gleichzeitig wurde im Gespräch mit Journalisten klar, dass er Puigdemont nicht als seinen Gesprächspartner ansieht. Nach einem Treffen befragt, antwortete er zunächst, sein natürliches Gegenüber sei Ciudadanos-Chefin Inés Arrimadas, die die Wahl gewonnen hat. Auf Nachfrage erklärte er, er werde mit dem neuen Regierungschef reden, der ordnungsgemäß vereidigt worden ist.

Das aber könnte für Puigdemont schwierig sein: Er müsste dafür in das Parlament nach Barcelona kommen, doch in Spanien liegt ein Haftbefehl gegen ihn vor. Das Hin und Her an Tag eins nach der Wahl lässt nicht darauf hoffen, dass eine einvernehmliche Lösung in Sicht ist. Das Land beendet das Jahr mit düsteren Aussichten für 2018.

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