Vorbild für Deutschland? Warum Justin Trudeaus Staatshaushalt als „feministisch“ bezeichnet wird

Das neue Budget der kanadischen Regierung legt ein starkes Augenmerk auf Gleichberechtigung von Frauen und ihre Förderung in der Wirtschaft.

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Ottawa Die Regierung des kanadischen Premierministers Justin Trudeau setzt in ihrem neuen Staatshaushalt stark auf Gleichberechtigung und stärkere Förderung von Frauen in der Arbeits- und Berufswelt als Motor für Wirtschaftswachstum. Mit diesem „feministischen Budget“ bleibt der Regierungschef seiner politischen Linie als selbsterklärter Feminist treu.

„Wir glauben, Kanadas künftiger Erfolg beruht darauf, dass sichergestellt ist, dass alle Kanadier eine Möglichkeit haben zu arbeiten und durch diese Arbeit einen guten Lebensunterhalt zu verdienen“, sagte der kanadische Finanzminister Bill Morneau, als er am Dienstag im Parlament das dritte Budget der seit Ende 2015 amtierenden liberalen Regierung vorlegte. „Und dies schließt Kanadas talentierte, ambitionierte und hart arbeitende Frauen ein.“

In den vergangenen vier Jahrzehnten habe die Zunahme des Anteils der Frauen an den Erwerbstätigen etwa ein Drittel des Zuwachses beim Bruttoinlandsprodukt ausgemacht. Aber immer noch verdienten Frauen weniger als Männer und viele Barrieren hielten Frauen vom Eintritt in die Arbeitswelt ab. „Das ist nicht richtig. Und das ist auch nicht sehr klug“, sagte der Minister.

Morneau geht davon aus, dass Kanadas Wirtschaft bis 2026 einen Schub von etwa 150 Milliarden Dollar (etwa 100 Milliarden Euro) erhalten würde, wenn diese Lücken geschlossen würden. Der Budgetentwurf 2018 sieht unter anderem eine Ausweitung des Elternurlaubs von derzeit 36 auf 41 Wochen vor.

Dies soll 1,2 Milliarden Dollar (800 Millionen Euro) über fünf Jahre kosten. Für Arbeitnehmer in Bundesunternehmen wird gesetzlich die schrittweise Überwindung von Einkommensunterschieden eingeführt. Die Regierung erwarte, dass alle Unternehmer dem folgten, sagte Morneau.

40.000 neue Plätze für Kinderbetreuung sollen geschaffen werden. Die Trudeau-Regierung reagiert auch auf die Me-too-Bewegung und stellt 86 Millionen Dollar für den Kampf gegen Gewalt gegen Frauen bereit. Zudem führt die Regierung eine „Gender-basierte Analyse“ (Gender-based Analysis) ihrer Entscheidungen ein: Künftig sollen alle Budgetmaßnahmen der Regierung daraufhin überprüft werden, ob sie dem Ziel der Gleichberechtigung und der stärkeren Teilnahme von Frauen in Wirtschaft und Gesellschaft dienen.

„Ein ziemlich feministisches Budget“

Damit steht der Staatshaushalt 2018/2019 unter dem Motto „Gleichberechtigung und Wachstum“. Das Budget sei zwar keine Lösung für alle Probleme, es könne aber die Basis sein für gleiche Wettbewerbsvoraussetzungen für Männer und Frauen, sagte Judith Taylor, Soziologieprofessorin an der Universität von Toronto. „Das ist ein ziemlich feministisches Budget.“ Mehrere kanadische Medien sprechen ebenfalls von einem „feministischen Staatshaushalt“.

Trudeau nimmt für seine Politik ein anhaltendes Defizit von 18 Milliarden Dollar (12 Milliarden Euro) in Kauf. Dadurch beläuft sich die Staatsverschuldung auf 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Damit hat sich Trudeau von seinem Wahlkampfversprechen, bis zur Wahl Ende 2019 wieder ein ausgeglichenes Budget zu haben völlig verabschiedet.

In Kanada mit seinen etwa 36,8 Millionen Menschen sind etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung Frauen. Ihr Anteil liegt bei 50,4 Prozent. Während der Anteil der Männer über 25 Jahren an der erwerbstätigen Bevölkerung aber bei 71,2 Prozent liegt, sind es bei den Frauen nur 61,3 Prozent.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) hatte im September 2013 in seiner Studie „Frauen, Arbeit und Wirtschaft: Makroökonomische Gewinne durch Gleichberechtigung“ darauf hingewiesen, dass Frauen zwar etwas mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung stellen, „ihr Anteil an der gemessenen wirtschaftlichen Aktivität, Wachstum und Wohlstand aber weit unter ihrem Potenzial liegt, mit ernsten makroökonomischen Folgen“.

In einigen Regionen betrage der Verlust für das Bruttoinlandsprodukt aufgrund der „geschlechtsspezifischen Lücken auf dem Arbeitsmarkt“ – also der mangelhaften Beteiligung von Frauen an der Arbeitswelt und ihrem geringeren Einkommen – bis zu 34 Prozent. Das sei vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern der Fall, treffe aber auch auf industrialisierte Länder zu. Die stärkere Einbeziehung von Frauen könne helfen, den in der Zukunft in einigen Ländern drohenden Arbeitskräftemangel zu mildern. Im vergangenen Jahr hieß es in einem Arbeitspapier des IWF über Kanada, „Frauen sind der Schlüssel für künftiges Wachstum“. In Kanada würde vor allem die Einbeziehung gut ausgebildeter Frauen in die Arbeitswelt Produktivität und Wachstum fördern.

Würde die gegenwärtige Lücke zwischen Frauen und Männern bei der Erwerbstätigkeit mit hohem Bildungsgrad – der IWF gibt sie mit sieben Prozent an – geschlossen, so wäre das Bruttoinlandsprodukt heute etwa vier Prozent höher.

Trudeaus Wahlsieg im Herbst 2015 beruhte auch auf dem starken Zuspruch, den er von Wählerinnen erhielt. Im Herbst 2019 muss er sich erneut Wahlen stellen. Nach einigen Fehltritten in den vergangenen Monaten hat der Regierungschef, der im Ausland weiterhin äußerst populär ist, in Kanada selbst Einbußen bei der Zustimmungsrate hinnehmen müssen. Das neue Budget und das folgende im Wahlkampfjahr 2019 sollen dazu beitragen, seine Wähler- und Wählerinnenbasis zu stärken. 

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