Weltwirtschaftsforum in Davos Die politische Rezession

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Die Warnungen der IWF-Chefin

Christine Lagarde etwa, Chefin des Internationalen Währungsfonds, hat sie erkannt. Sie hatte zwar blendende Wachstumszahlen für die Weltwirtschaft der nächsten zwei Jahre zu verkünden. Sagte aber auch: „Wir müssen jetzt, wo die Sonne scheint, das Dach reparieren.“ Und nannte auch gleich, wo das Dach löchrig ist: Wachsende Ungleichheit, fehlende Anschlussmöglichkeiten für Normalbürger an den technologischen Fortschritt, fortgesetzte Steuerflucht der Superreichen. Allein: Keiner der Staats- und Regierungschefs aus Europa wollte auf die Fragen der IWF-Chefin in Davos konkrete Antworten geben.

Und das verunsichert die Wirtschaftsführer in der Tat. Sie merken, das sagen sie mehr oder weniger offen, wie das Politische immer stärker in ihr Geschäft drängt. Und merken gleichzeitig auch, dass wegen ausbleibender Lösungen daraus immer größere Risiken erwachsen. 82 Prozent der 1900 von der Unternehmensberatung PWC befragten Top-Manager sagen, sie leben und leiden in und unter einer zersplitterten Welt.

Urs Rohner, Vorsitzender des Credit Suisse Research Institute und Präsident des Verwaltungsrats der Credit Suisse Group, sagt: „ Die internationalen Märkte haben sich einzelnen geopolitischen Ereignissen gegenüber als relativ robust erwiesen, die Folgen des sich ändernden politischen Ökosystems dürften in Zukunft jedoch beträchtlich sein.“ Und auch Nariman Behrahvesh, Chefökonom des Analysehauses IHS, sagt: „Die guten Aussichten für die Weltwirtschaft haben nur Bestand, wenn die Politik nicht stört.“ Dass sie das nicht tut, glaubt er allerdings nicht. „Wir erleben gerade, wie politische Unsicherheit ins Ökonomische reicht, ohne konkret etwas zu bewegen“, sagt er.

Beispiel Ungleichheit

Kein, wirklich kein Wort fiel auf dem Weltwirtschaftsforum häufiger als „Ungleichheit“. Außer vielleicht „Trump“. May sprach davon, es dürfe „niemand zurückgelassen werden“. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte, „es reicht nicht, wenn nur 20 Prozent von einer Entwicklung wie der digitalen Revolution etwas haben.“ Und Frankreichs Präsident Macron forderte gar einen „Pakt der Inklusion“ für Europa. Was aber heißt das?

„Dieses Thema“, sagt Ökonomie-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz, „existiert seit Jahren in Davos. Und es ändert sich nichts.“ Dabei wäre es aus Sicht des Amerikaners ganz einfach: „Am einfachsten wäre es schonmal, Steuervermeidung zu bekämpfen. Das hätte sehr schnell sehr gute Effekte.“ Aber nicht mal die europäischen Regierungschefs forderten das. Wie auch, nachdem sie in der gleichen Woche einige besonders üble Steueroasen still und heimlich wieder von einer schwarzen Liste der EU genommen hatten.

Beispiel Globalisierung

„Das Vereinigte Königreich war bisher der wichtigste Anwalt des freien Handels und wird es immer bleiben“, sagte May in einem der pathetischeren Teile ihrer Rede. Und wollte damit eine klare Botschaft an Trump schicken, dass er mit seiner Anti-Freihandels-Rhetorik selbst unter Angelsachsen keine Verbündeten finde. Und ähnlich wie May machten es Merkel, Macron und Gentiloni.

Merkel ging weit in die Geschichte zurück, um ihren Punkt zu machen. Die Welt sei im 20. Jahrhundert in große Krisen geschlittert, als der Egoismus der Nationen überhand nahm. „Und zum Glück“, sagt Merkel, „haben wir uns auf dem Höhepunkt der Finanzkrise 2007 und 2008 entschieden, eine multilaterale Antwort zu suchen und die G20 gegründet. Wir haben versucht, globale Kooperationen voranzubringen, und multilaterale Organisationen zu stärken.“ Und das wolle man nicht aufgeben.

So sahen es auch Macron und Gentiloni. „Es ist nachvollziehbar, wenn Politiker die Interessen ihrer Länder vertreten. Aber es gibt Grenzen. Und diese Grenzen werden durch internationale Regeln gesetzt“, sagt Gentiloni. Und Macron geht sogar noch einen Schritt weiter: „Schaffen wir es, einen neuen globalen Vertrag zu erschaffen und zwar nicht nur zwischen Regierungen, sondern einen, dem sich Unternehmen und Banken und alle unterordnen? Wenn nicht all diese verstehen, dass sie Teil einer gemeinsamen Lösung für die Welt sind, wird es nicht funktionieren.“ Ein freier, fairer Handel sei dafür die Grundvorraussetzung.

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