Zwei Jahre nach der Annexion Ernüchterung auf der Krim

Alles sollte besser werden: Nach der Krim-Annexion machte Kremlchef Putin den Bewohnern große Versprechen. Doch das Gegenteil passiert: Die wirtschaftliche Lage der meisten hat sich verschlechtert.

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Auf der von Russland annektierten Halbinsel stehen Plattenbauten. Kremlchef Putin versprach, umgerechnet knapp zehn Milliarden Euro in die Krim investieren – noch ist davon nichts zu spüren. Quelle: dpa

Armjansk Nach der Annexion der Krim hat der russische Präsident Wladimir Putin den zwei Millionen Bewohnern ein besseres Leben versprochen. Doch rund zwei Jahre später lassen die rosigen Zeiten noch immer auf sich warten. Ernüchterung macht sich auch bei Jewgeni breit. Er ist einer der 22.500 Einwohner der Stadt Armjansk im äußersten Norden der Halbinsel, einer vom Titan- und Stahlbau geprägten Region.

„Wir haben uns Russland angeschlossen, doch die Russen scheren sich einen Dreck um uns“, sagt Jewgeni, der aus Angst vor seinem Chef seinen Nachnamen nicht preisgeben will. „Die Leute sind naiv. Sie dachten, wenn wir Teil Russlands werden, wird alles hier russisch. Doch nur die Preise sind auf russisches Niveau gestiegen, unsere Löhne sind gleich geblieben. Das ist das große Problem.“

Ich kann nur Essen kaufen, Klamotten sind schon schwierig“, sagt Jewgenis Kollege Pawel, der für seine Arbeit in der Titan-Fabrik des ukrainischen Oligarchen Dmitro Firtasch 17.000 Rubel (rund 235 Euro) im Monat bekommt. Das entspricht nur etwa der Hälfte des monatlichen Durchschnittseinkommens in Russland. „In der Ukraine wäre das genug, weil die Preise niedriger sind“, beschwert sich Pawel.

In Moskau weiß man um die missliche Lage in Armjansk. Um die Verbraucherpreise zu senken, baut Russland derzeit eine Brücke, die als direkte Versorgungsstrecke zwischen dem russischen Festland und der Halbinsel dienen soll. Doch bis diese von den ersten Lastwagen genutzt werden kann, wird es wohl noch Jahre dauern.

680 Milliarden Rubel (9,4 Milliarden Euro) will Russland offiziellen Angaben zufolge bis 2020 auf der Krim investieren. Wegen des niedrigen Ölpreises und der internationalen Sanktionen infolge der Annexion hat der Rubel jedoch rund die Hälfte seines Werts zum Dollar verloren. Die erhoffte Erhöhung von Renten und Beamtenbezügen blieb aus. Auch angekündigte Projekte zur Ankurbelung der Wirtschaft sind noch nicht angelaufen.

Stattdessen geriet die Region um Armjansk zuletzt in den Fokus, da dort nach russischen Angaben ein Angriff durch ukrainische Spezialtruppen vereitelt wurde. Die ukrainische Regierung hatte die Anschuldigungen als falsch zurückgewiesen und die Armee in höchste Gefechtsbereitschaft versetzt.

In Armjansk haben die Menschen mit ganz anderen Problemen zu kämpfen, die hinter den Schlagzeilen über das Kräftemessen der Staaten zu verschwinden drohen. Bei einem Besuch der Krim im Mai dieses Jahres wurde der russische Ministerpräsident Dmitri Medwedew vor laufenden Kameras von einer verzweifelten Pensionärin angesprochen: „Mit der Rente kann man nicht überleben, die Preise sind verrückt“, klagte sie. Die Antwort Medwedews verbreitete sich im Internet wie ein Lauffeuer: „Wir haben einfach kein Geld. Halten Sie durch.“

Mit ihren Hotels entlang der malerischen Küste am Schwarzen Meer zog die Krim zuletzt sechs Millionen Touristen pro Jahr an, viele von ihnen Ukrainer, die mit dem Zug anreisen konnten. Seit der Annexion der Halbinsel sind die Besucherzahlen massiv eingebrochen. Ukrainische Touristen bleiben fern und russische Urlauber, die mit dem Flugzeug anreisen müssen, können den Rückgang nicht kompensieren.

„Als wir noch zur Ukraine gehörten, kamen viel mehr Leute“, sagt ein Kellner des Restaurants „Europa“ im beliebten Strandort Jewpatorija. „Man konnte sich kaum einen Weg durch die Menschenmenge bahnen.“ Jetzt lässt der junge Mann den Blick sorgenvoll über die fast leere Terrasse des Lokals schweifen.

Auch Natalia, ebenfalls Kellnerin in einem Restaurant in Jewpatorija bemerkt die negativen Folgen der Annexion. "Die Leute geben weniger Geld aus. Sie bestellen kaum etwas und wir bekommen weniger Trinkgeld", erzählt sie. „Viele Russen sind schockiert von den hohen Preisen. Wir sind ja selbst schockiert.“

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