Der Staat kann mit den großen Energiekonzernen einen milliardenschweren Pakt zur Entsorgung der atomaren Altlasten abschließen und dies auch per Vertrag endgültig besiegeln. Knapp ein Jahr nach der Grundsatzeinigung haben sich Bundesregierung und die vier Energieriesen Vattenfall, Eon, RWE und EnBW nun auf die Details für einen Vertrag zwischen Politik und Unternehmen verständigt.
Wie die Deutsche Presse-Agentur am Donnerstag aus Regierungskreisen in Berlin weiter erfuhr, lassen die Atom-Konzerne allerdings nicht - wie von der Politik bis zuletzt vehement angestrebt - alle noch anhängigen Klagen im Zusammenhang mit dem Atomausstieg fallen.
Anhängig bleibt der Streit um die Brennelemente-Steuer, die Ende 2016 ausgelaufen ist. Zudem hat der schwedische Staatskonzern Vattenfall vor einem Schiedsgericht in den USA auf 4,7 Milliarden Euro Entschädigung geklagt. Als Grund dafür, dass die Konzerne diese Klagen weiterhin nicht zurücknehmen wollen, gilt der sehr hohe Streitwert. Die Bundesregierung gibt sich aber optimistisch, „in den von der jetzigen Einigung nicht erfassten Verfahren“ zu siegen.
Wie im Ausland die Atommüll-Kosten gestemmt werden
Die Atomkommission der Bundesregierung hat sich auf einen Vorschlag verständigt, wie die Finanzierung der Atommüll-Altlasten gesichert werden kann. In praktisch keinem Land Europas gibt es dafür so wenige Vorschriften, was die Vorsorge für Abriss der Meiler und Lagerung des strahlenden Mülls betrifft. Zwar gelten die von den Unternehmen gebildeten rund 40 Milliarden Euro Rückstellungen im europäischen Vergleich als hoch. Doch sie sind allein unter Kontrolle der Firmen und zudem in Kraftwerken oder anderen Anlagen investiert.Andere Länder haben schon vor Jahren Strategien entwickelt, wie die zurückgestellten Mittel gesichert, flüssiggemacht und notfalls aufgestockt werden können.
Das Land hat die meisten Atomkraftwerke in Europa, die alle von der staatlich dominierten EDF betrieben werden. Der Konzern ist gesetzlich verpflichtet, für die Entsorgungskosten in einem zweckgebundenen Fonds zu sparen. Das Geld muss nach festgesetzten Kriterien vorsichtig angelegt werden, was von einer nationalen Kommission überwacht wird. Die Offenlegung geht über normale Auskunftspflichten von Firmen hinaus. EDF darf dabei nur mit einer Verzinsung des Kapitals kalkulieren, die sich an einer Reihe vom Staat vorgegebenen Parametern orientiert. Zuletzt setzte EDF 4,6 Prozent an, wofür der Konzern allerdings eine Ausnahmegenehmigung in Anspruch nehmen musste. Zum Vergleich: Die deutschen Versorger kalkulieren mit einer Verzinsung ihrer Rückstellungen in nahezu der gleichen Höhe.
Ein Fonds, der von der Regierung verwaltet wird, soll sowohl die Ausgaben für Abriss der Meiler als auch die langfristige Lagerung des Mülls finanzieren. In den Fonds eingezahlt wird eine Abgabe der AKW-Betreiber, die etwa zehn Prozent der Strom-Produktionskosten beträgt. Die genaue Höhe wird jedes Jahr neu festgelegt. Dazu kann ein Risikoaufschlag von bis zu zehn Prozent der Gesamtsumme verlangt werden, um unerwartete Kostensteigerungen bei der Müll-Entsorgung abzufangen. Das Geld wird nach festgelegten Kriterien überwiegend in Staatsanleihen angelegt. Je nachdem, wie hoch die Rendite des Fonds in einem Jahr ausfällt, werden die Gebühren für den Müll erhöht oder gesenkt. Die Betreiber können sich bis zu 75 Prozent des Geldes aus dem Fonds zurückleihen, allerdings nur mit ausreichenden Sicherheiten. Geht ein Betreiber Pleite, muss der Steuerzahler allerdings für ihn einspringen.
Auch hier soll ein unabhängiger Fonds sowohl die Abrisskosten als auch die Mülllagerung finanzieren. Alle drei Jahre legen die Betreiber Kostenschätzungen vor, nach denen sich dann die Einzahlungen in den Fonds richten. Dazu wird für jedes einzelne Kraftwerk eine unterschiedliche Gebühr erhoben. Die Mittel im Fonds bleiben auf die einzelnen Betreiber aufgeteilt, eine Gesamthaftung gibt es nicht. Investieren darf der Fonds nur in risikoarme schwedische Anleihen und Festgeldanlagen. Sollten die Summen nicht ausreichen, müssen die Betreiber nachschießen. Der Staat darf auch einen Risikoaufschlag erheben, um sich gegen Pleitegefahr eines Betreibers abzusichern, hat das aber bislang nicht getan.
Das Land unterscheidet zwischen einem AKW-Stilllegungs- und einem Entsorgungsfonds. Beide Fonds stehen unter staatlicher Kontrolle. Die Verwalter entscheiden über Höhe der Beiträge sowie über die Anlagepolitik. Zuletzt wurde eine Sonderzahlung als Risikoaufschlag beschlossen. Alle fünf Jahre werden die erwarteten Entsorgungskosten neu berechnet und die Jahresbeiträge der Versorger angepasst. Sollten die Fondsanteile eines Versorger für die Altlasten nicht ausreichen und dieser nicht zahlungsfähig sein, müssen andere Betreiber bis zu einer Belastungsgrenze mithaften. Danach muss der Steuerzahler einspringen.
Die Koalitionsfraktionen von Union und SPD sowie die Grünen im Bundestag hatten die Bundesregierung aufgefordert, sich in den Verhandlungen mit den Energiekonzernen für die Rücknahme aller Klagen der Versorger einzusetzen. Dies ist nun nicht gelungen. Mehrere andere Klagen gegen den Staat lassen die Stromriesen dagegen - wie zuvor von ihnen angekündigt - fallen.
Vor knapp einem Jahr hatte sich eine von der Regierung eingesetzte Expertenkommission mit den Konzernen auf einen Vorschlag für den Entsorgungspakt verständigt. Die Bundesregierung hatte diesen übernommen, Bundestag und Bundesrat haben das Gesetz gebilligt. Es sieht vor, dass der Staat den Konzernen die Verantwortung für die Zwischen- und Endlagerung des Atommülls abnimmt.
Dafür sollen die Stromkonzerne rund 23,55 Milliarden Euro bar einschließlich eines Risikoaufschlags an einen staatlichen Fonds überweisen, der die Zwischen- und Endlagerung des Strahlenmülls managt. Dieses Endlager in Deutschland muss aber noch gefunden werden. Die Versorger sind verpflichtet, die Finanzmittel am 1. Juli 2017 in den Fonds einzuzahlen.
Die Unternehmen wiederum sind für Stilllegung, Abriss und Verpackung des Atommülls zuständig. Allein hier rechnen Experten mit Kosten von bis zu 60 Milliarden Euro. Das letzte Atomkraftwerk soll im Jahr 2022 vom Netz gehen. Die Versorger haben im Zuge der Energiewende mit erheblichen Problemen zu kämpfen.
Der endgültige Vertrag solle unmittelbar nach Inkrafttreten des entsprechenden Gesetzes unterzeichnet werden, hieß es. Zuvor müsse die EU-Kommission grünes Licht gebe. Die beihilfenrechtliche Genehmigung aus Brüssel werde im Frühjahr erwartet, hieß es.
Der Umgang mit der Liste der von den Konzernen zurückzunehmenden Klagen und Rechtsbehelfe war bis zuletzt umstritten. Die Bundesregierung hat nun den Angaben zufolge erreicht, dass die Konzerne „fast alle im Kernenergiebereich anhängigen Klagen und Widersprüche nunmehr zurücknehmen werden“. Zudem verzichteten die Unternehmen „von vornherein auf Rechtsbehelfe gegen das Gesetz zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung“. Daneben sehe der Vertrag Regelungen zur Beschäftigungssicherung vor.
Damit werde ein Ergebnis erreicht, das über die Empfehlungen der Regierungskommission hinausgehe, hieß es in Regierungskreisen. Auch werde ein hohes Maß an Rechtssicherheit und -frieden erreicht. Die Kommission habe nur die Erwartung geäußert, dass die „entsorgungsbezogenen Klagen“ zurückgenommen werden.
Die Betreiber verzichten auf Schadenersatzklagen für das kurzfristige Herunterfahren von Atomkraftwerken nach dem Reaktorunfall von Fukushima. Es geht ferner um Widersprüche gegen Zahlungsbescheide für das Atommülllager Gorleben und um Widersprüche gegen Vorausleistungs- und Abschlagbescheide für das Atomendlager Schacht Konrad. Auch Verfassungsbeschwerden und Klagen im Zusammenhang mit der standortnahen Zwischenlagerung von Wiederaufarbeitungsabfällen werden fallen gelassen.