Dabei weiß die SPD, wie es besser geht. Als Sigmar Gabriel vor sieben Jahren Vorsitzender der Sozialdemokraten wurde, regte er eine Urwahl für künftige SPD-Kanzlerkandidaten an. Das wäre der richtige Weg gewesen. Die Grünen haben sich für dieses Verfahren entschieden. Sicher, das war ein langer Prozess und hat auch Verlierer produziert. Aber die Partei hat diskutiert und um die besten Ideen gestritten. Noch zahlt sich das in den Umfragen für die Grünen nicht aus, weil viele inhaltliche Streitigkeiten noch nicht abgeräumt sind. Aber die Partei hat partizipiert und geht mit großer Geschlossenheit in den Wahlkampf.
Die Wechsel an der SPD-Spitze
Der Saarländer entreißt im November 1995 dem glücklosen Rudolf Scharping den Vorsitz in einer Kampfabstimmung. Nach dem SPD-Sieg bei der Bundestagswahl 1998 verschärfen sich die Gegensätze zu Bundeskanzler Gerhard Schröder, dem Lafontaine als Kanzlerkandidat weichen musste. Außerdem ist von Differenzen in der Steuerpolitik die Rede. 2005 tritt Lafontaine aus der SPD aus. Heute ist er bei der Konkurrenz-Partei Die Linke.
Der SPD-Kanzler übernimmt im März 1999 von Lafontaine den Parteivorsitz. Schröders einschneidende Sozial- und Wirtschaftsreformen („Agenda 2010“) stoßen insbesondere beim linken Flügel und den Gewerkschaften auf Kritik. Unter ihm verliert die Partei mehr als 140.000 Mitglieder, mehrfach gibt es zweistellige Verluste bei Landtagswahlen.
Auf Schröder folgt im März 2004 der damalige Fraktionsvorsitzende Müntefering. Doch auch er kann weder Mitgliederschwund noch Wahlniederlagen stoppen. Als die Parteilinken seinen Vorschlag für den Posten des Generalsekretärs verwerfen, gibt er auf.
Der Ministerpräsident von Brandenburg setzt ab November 2005 auf klassische SPD-Positionen. Bei seinem Start gilt der Müntefering-Nachfolger als Hoffnungsträger. Bevor Platzeck Wegmarken setzen kann, tritt er völlig überraschend nach 146 Tagen aus gesundheitlichen Gründen zurück.
Im Mai 2006 übernimmt der rheinland-pfälzische Ministerpräsident. Beck will mit der Abkehr von Teilen der Agenda-Politik das Profil der Partei wieder schärfen. Das ungeklärte Verhältnis zur Linkspartei und sein Zögern in der Frage der Kanzlerkandidatur beschleunigen seinen Abgang. Beck begründet seinen Rückzug mit internen Intrigen. Sein Nachfolger wird im Oktober 2008 Müntefering - zum zweiten Mal.
Nach der Niederlage bei der Bundestagswahl 2009 und dem schlechtesten SPD-Ergebnis seit 1949 übernimmt der Umweltminister im November 2009 den Parteivorsitz. Zur Bundestagswahl 2013 lässt Gabriel dem ehemaligen Finanzminister Peer Steinbrück die Kanzlerkandidatur. Trotz des zweitschlechtesten Wahlergebnisses wackelt Gabriels Stuhl nicht.
Ein Blick in die Vereinigten Staaten vor acht Jahren ist zudem Beleg genug, wie sehr Urwahlen eine Partei vitalisieren können. Barack Obama kam damals zum einen ins Amt, weil es eine Wechselstimmung gab. Zum anderen, weil er sich nach einem langen Vorwahlkampf gegen Hillary Clinton durchgesetzt hatte. Danach kannte jeder Demokrat Obama. Die Partei war ein eingeschworener Haufen geworden.
Die SPD hätte diesen Weg ebenfalls gehen können. Gabriel und Schulz hätten für sich in einem längeren innerparteilichen Wahlkampf werben können. Womöglich wäre auch jemand wie Heiko Maas, seit drei Jahren Bundesjustizminister, ins Rennen eingestiegen – oder Olaf Scholz, der Erste Bürgermeister von Hamburg. Die Chancen für Martin Schulz wären trotz der starken Konkurrenz groß gewesen. Nur dass der wahrscheinliche Kandidat Schulz am Ende noch stärker gewesen wäre, er hätte noch mehr Rückenwind gehabt. Die SPD ist jetzt schon berauscht. Hätte es eine Urwahl gegeben, wäre sie wohl mit nahezu unendlichem Selbstvertrauen in den Wahlkampf gegangen.
Die beiden Fälle Schulz und Steinmeier zeigen, dass es die berüchtigte Hinterzimmerpolitik noch immer gibt. Sie passt aber nicht mehr in die heutige Zeit. Künftig sollten die Parteien grundsätzlich auf Urwahlen setzen, um Spitzenkandidaten für den Wahlkampf zu finden. Und in Sachen Bundespräsidentenwahl zeigt unser Nachbar Österreich, wie es geht. Zwar hätte sich der Rechtspopulist Norbert Hofer in der Stichwahl beinahe gegen den Grünen Alexander van der Bellen durchgesetzt. Demokratie und Wahlen bedeuten eben immer ein Risiko. Am Ende entschieden sich die Österreicher aber für den grünen Kandidaten, der auch von Bürgerlichen, Sozialdemokraten und Liberalen unterstützt wurde. Es war ein wochenlanges Drama mit einer Stichwahl, die sogar wiederholt werden musste. Diese Wahl war anstrengend und nervenraubend – aber sie war urdemokratisch.
In Deutschland heißt es oft, dass eine solche Direktwahl unserem politischen System schaden würde. Schließlich gäbe es dann einen direkt gewählten Bundespräsidenten, der im Zweifel stärker demokratisch legitimiert wäre als der indirekt gewählte Kanzler. Was, wenn der Bundespräsident irgendwann die Richtlinienkompetenz für die Regierung beanspruchen würde, weil das Volk ihn dazu drängt? Zugegeben, das ist ein Risiko. Aber unser Grundgesetz regelt die Kompetenzen eindeutig. Und die Österreicher zeigen, dass ein solches Modell im Alltag funktioniert. Es gibt keine Argumente dagegen: Wir sollten mehr direkte Demokratie wagen.