Wirtschaftspolitik Der "AfD-Effekt" setzt Parteien unter Druck

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Die AfD wird den Bundestag polarisieren

Dadurch entstand das, was Hensel den „AfD-Effekt“ nennt: die Verschiebung roter Linien in der politischen Kultur. Und ein inhaltlicher Sprung nach rechts. Viele Positionen der AfD, die vor wenigen Jahren noch zum rechten Rand des Parteienspektrums gehörten, finden sich nun bei der CSU, CDU oder auch der Linkspartei wieder. „Die AfD trägt Begriffe und Positionen ins Parlament, die es dort vorher nicht gab“, sagt Hensel. „Und in einigen Fällen orientieren sich die anderen Parteien auch inhaltlich daran.“

Hensel ist überzeugt, dass die AfD diesen Effekt auch im Bundestag erzielen will. Zuerst werde sich die inhaltliche Debatte vermutlich deutlich polarisieren. Dann komme es auf die Reaktion der etablierten Parteien an. „Wenn die auf formale Ausgrenzung setzen, bieten sie der AfD immer auch Möglichkeiten, sich als Opfer zu inszenieren.“ Besser wäre ein inhaltlicher Schlagabtausch. „Wir müssen aber auch abwarten, ob Alice Weidel oder Alexander Gauland so eine große Fraktion überhaupt zusammen halten können.“

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Falls das gelingt, könnte der AfD-Effekt auch auf die Wirtschaftspolitik übergreifen – und dort eine überdrehte Debatte voller realitätsferner Forderungen auslösen. Tobias Hentze forscht am Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) über Öffentliche Finanzen, Sozialsysteme und Verteilungspolitik. Er hat das Wahlprogramm der AfD hinsichtlich der Wirtschaftspolitik analysiert und findet es vor allem eins: teuer. „Da soll für jeden etwas dabei sein“, sagt er.

Die AfD fordere vieles: die Entlastung der Familien durch Familiensplitting, eine drastische Absenkung der Mehrwertsteuer, einen höheren Grundfreibetrag, die Abschaffung der kalten Progression, Bezuschussung der Rente durch Steuermittel. Das alles summiere sich auf mindestens 100 Milliarden Euro. Dazu kämen Mehrausgaben für die Pflege und Bildung. „Wie man das alles bezahlen soll, ist aber völlig unklar.“

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In der Summe seien diese Forderungen vollkommen unrealistisch, sagt Hentze. Die meisten hätten für sich genommen aber durchaus ihre Berechtigung. So stoße ein höherer Grundfreibetrag bei vielen Parteien auf Zustimmung. Die Rente durch Steuerzuschüsse zu stabilisieren fordere auch die SPD. Und für den Schuldenabbau setze sich Wolfgang Schäuble seit Jahren ein.

„Wenn es die AfD geschickt anstellt und sich auf ein paar wirtschaftspolitische Forderungen konzentriert, kann sie die etablierten Parteien damit in Bedrängnis bringen“, sagt Hentze. Wenn die Partei jedoch weiter auf alle Pauschalforderungen aus dem Wahlprogramm bestehe, bleibe sie unglaubwürdig. „Der Bürger hat schon ein Gespür dafür, was finanzierbar ist und was nicht“, sagt Hentze. „Die Leute erkennen schnell, wenn man ihnen etwas vormachen will.“

Deutschland wählt: Am 24. September 2017 findet die Wahl zum 19. Deutschen Bundestag statt. Der Wahl-O-Mat kann helfen, die Partei zu finden, die Ihre Interessen am besten vertreten.
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