
WirtschaftsWoche: Herr Minister, vier Monate sind die ersten Fipronil-Meldungen nun her. Wie ist der aktuelle Stand bei dem Skandal?
Christian Meyer: Es ist davon auszugehen, dass nach Deutschland rund 100 Millionen belastete Eier gelangt sind. Allein in Niedersachsen gab es bislang 18 sogenannte stille Rückrufe. Es wurden große Mengen verarbeitete Eiprodukte gesperrt. 25 von 28 EU-Staaten sind betroffen, insgesamt rund 30 Millionen Eier in Deutschland wurden vernichtet. Es kam zu riesigen wirtschaftlichen Schäden und einem enormen Vertrauensverlust bei den Verbrauchern. Lebensmittel sind ein großes, europaweites Geschäft, deshalb ist eine schärfere Kontrolle notwendig. Man wird sowas nie verhindern können, aber man kann es besser machen.
Zur Person
Christian Meyer (42) ist seit 1994 Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen. Bis 2002 studierte er Volkswirtschaftslehre, Öffentliches Recht, Politik- und Medienwissenschaften an der Universität Göttingen mit dem Abschluss Diplomsozialwirt. Seit 2008 war Christian Meyer Abgeordneter im Niedersächsischen Landtag und bis Februar 2013 stellvertretender Vorsitzender und Sprecher für Landwirtschaft, Verbraucherschutz, Naturschutz und Tierschutz. Seit Anfang 2013 ist Christian Meyer niedersächsischer Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.
Klingt nicht so, als sei das Krisenmanagement ideal gelaufen.
Es gab viele Schwierigkeiten. Da hat der Bundesminister wochenlang nicht reagiert und sprach von regionalem Geschehen. Es war sehr schwierig, mit dem Berliner Landwirtschaftsministerium zusammenzuarbeiten. Wir in Niedersachsen haben uns beispielsweise sehr früh entschlossen, betroffene Eier-Codes zu veröffentlichen, auch aus den Niederlanden. Das Bundesministerium hat sich dagegen gesträubt. Da gab es viele Unstimmigkeiten in den Bund-Länder-Telefonkonferenzen. Berlin sieht ja bis heute keine Gesundheitsgefahr, wir schon, zumindest bei Kindern. Die Bundes-Institute sind sich indes bis dato immer noch nicht einig. Deshalb hat Niedersachsen eine Null-Toleranz-Strategie verfolgt. Der Vorwurf des Bundes, Niedersachsen habe die Aufklärung des Skandals verschleppt, läuft daher vollkommen ins Leere. Das Gegenteil ist der Fall: Von Anfang an hat bundesweit eine koordinierende Hand gefehlt. Wir Länder fühlten uns da vom Bund ziemlich im Stich gelassen.
Was war das Problem?
Der Streit um die verarbeitete Eiprodukte wie Eierlikör, Kuchen oder Nudeln zeigt die Schwierigkeiten ganz gut. Es gibt eine europaweite Grenze, ab der Eier nicht mehr als verkehrsfähig gelten. Diese liegt bei 0,005 Milligramm Fipronil pro Kilogramm Ei. Wir interpretieren das so, dass diese Grenze sowohl für rohe Eier, als auch für in Produkten steckende verarbeitete Eier gilt. Deshalb will Niedersachsen alle Ei-Produkte gleich behandeln und hat auch Waren und Betriebe gesperrt. Die Nahrungsmittelkonzerne sahen das anders, beschwerten sich in Berlin – und bekamen vom Landwirtschaftsministerium dort eine Einschätzung, dass die EU-Grenze nur für rohe, nicht aber für verarbeitete Eier gelten solle, obwohl das Läusegift sich durch Verarbeitung nicht abbaut.
Welchen Sinn hat das?
Laut Bundesagrarministerium kann man ein zu hoch mit Fipronil belastetes Ei soweit verarbeiten und verdünnen, bis im Endprodukt der EU-Grenzwert nicht mehr überschritten wird. In der Lesart des Bundes kann ich also aus einem fünfmal zu hoch belasteten faulen Ei, das für sich genommen nicht verkehrsfähig ist, einfach einen Kuchen backen mit einem Eianteil unter einem Fünftel und diesen dann ganz legal verkaufen.
Warum sieht Berlin das anders als sie?
Aus meiner Sicht drängt sich doch sehr der Eindruck auf, dass es sich um eine Gefälligkeit für einzelne Wirtschaftsunternehmen handelt. Denn schließlich erspart ja ein solches Vorgehen den großen Lebensmittel-Produzenten, Millionen Eier und Ei-Produkte zu vernichten. Ich gehe von mindestens 100 Millionen Eiern aus, die allein in Deutschland belastet sind. Die Unternehmen machen da politisch richtig Druck. Auf Grundlage der Einschätzung aus Berlin, die aus niedersächsischer Sicht rechtswidrig ist, drohten uns nun große namhafte Hersteller, deren Produkte gesperrt worden sind, gar mit Klagen.