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Quelle: dpa

Es ist Zeit für eine Straßen-Revolution

Beat Balzli
Beat Balzli Ehem. Chefredakteur WirtschaftsWoche Zur Kolumnen-Übersicht: Balzli direkt

Diskussionen um Dieselverbote und Nachrüstungen führen zu nichts. Das Verkehrsproblem löst nur ein Marktpreis – für jeden gefahrenen Kilometer.

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Der Skandal ist schon längst zur Routine geworden. Dieselgate gehört inzwischen beinahe so selbstverständlich zum Alltag der Deutschen wie der Wetterbericht. Manipulationsvorwürfe verkommen zum Grundrauschen einer Autorepublik. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht wieder irgendein Modell wegen irgendeiner Abschaltvorrichtung aus dem Verkehr gezogen wird. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht irgendein Politiker oder Richter über Fahrverbote, Nachrüstungen oder kostenlosen Nahverkehr sinniert.

Doch langsam dämmert allen, dass in diesem Flickwerk kein Segen steckt.

Es fehlt ein Gesamtkonzept für die umweltschonende Mobilität von morgen, blockiert von allen möglichen Lobbygruppen. Die unheilige Allianz zwischen Politik und Industrie machte nicht nur die Einhaltung von Grenzwerten zu Fake News, sondern verhinderte damit indirekt auch das Denken des ganz großen Wurfs – der radikalsten Utopie, die es im privaten Straßenverkehr geben kann: das flächendeckende Road Pricing, den Marktpreis für jeden gefahrenen Kilometer.

Über den Maut-Wahnsinn von CSU-Karoträger Alexander Dobrindt lacht zwar immer noch das halbe Land. Aber die Idee einer Straßenbenutzungsgebühr geht wenigstens vom Prinzip her ein bisschen in die richtige Richtung: Das Auto deckt die von ihm verursachten Kosten nicht. Vor allem für die Schäden aus Lärm und Abgasen zahlen andere. Autofahren ist hierzulande schlicht zu günstig. In einer Marktwirtschaft erstaunt das. Jeder kennt eigentlich das Verursacherprinzip. Wer als Kind seinen Fußball in die Scheibe des Nachbarn kickt und dabei erwischt wird, hat ein Problem. Er muss die Kosten übernehmen, respektive seine Eltern werden das für ihn tun. Keiner käme auf die Idee, den Schaden nicht zu decken. Und jeder weiß auch, dass knappe Güter teurer sind.

Der letzte Platz im Flugzeug kostet nun mal mehr, als wenn alles noch frei ist. Ganz anders beim Autofahren. Man steckt in engen Straßenschluchten im Stau, bläst Anwohnern Lärm und Abgase in die Wohnungen – und zahlt nichts. In Wirklichkeit ist alles ein bisschen komplizierter als in diesem Vergleich, aber grundsätzlich brauchen gefahrene Kilometer einen Preis – je nach Tageszeit, Verkehrsaufkommen, Route und Fahrzeugtyp. Wem dann die Rushhour in der Stadt zu teuer ist, fährt später los, außenrum oder nimmt die S-Bahn. Selbstverständlich müssen kluge Kompensationen etwa in der Steuerrechnung dafür sorgen, dass sich Stadtfahrten künftig nicht nur Superreiche leisten können und der Durchschnittspendler auf der Strecke bleibt.

Über Road Pricing diskutieren Ökonomen übrigens schon seit Jahrzehnten. Aber erst heute bietet die Digitalisierung die Chance, solch eine Utopie zumindest in Ansätzen umzusetzen und neue Finanzierungsquellen zu erschließen. Im Ausland sammeln damit bereits mehrere Großstädte Erfahrungen. Es ist jetzt auch in Deutschland höchste Zeit für eine Straßen-Revolution.

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