Freytags-Frage

Was bedeutet die Corona-Pandemie für die Gesellschaft?

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Nicht nur eine große Herausforderung, sondern auch eine Chance

Drittens geht natürlich viel dadurch verloren, dass persönliche Treffen nicht mehr stattfinden. Das betrifft sowohl private Treffen in Kleingruppen als auch Großveranstaltungen. Gemeinschaftserlebnisse im Theater, bei Konzerten oder bei Sportveranstaltungen bleiben aus. Volksfeste, die für viele wichtige Anlässe sind, Freunde zu treffen, wurden oder werden noch abgesagt. Wichtige berufliche Gespräche, Sitzungen und Verhandlungen fallen aus; das Berufsleben wird dadurch deutlich schwieriger.
Viertens werden die Kommunikationswege sich gerade deswegen ändern, vor allem wenn die geforderte soziale Distanz flächendeckend umgesetzt wird. Noch scheinen es zwar nicht alle begriffen zu haben, wie wichtig es ist, Distanz zu wahren. Aber in wenigen Tagen werden persönliche Treffen auf das Nötigste beschränkt sein. Dann wird sehr viel mehr digital kommuniziert und gearbeitet. Universitäten arbeiten mit Hochdruck daran, die Lehrveranstaltungen virtuell anzubieten; auch Prüfungen werden vermutlich zunehmend virtuell abgehalten. Auch Kunst und Kultur werden sich sicherlich verstärkt virtueller Kommunikationswege bedienen; so kann man erstens das Bedürfnis nach Zerstreuung bedienen und zweitens Einkommen generieren. Sitzungen, sogar Messen kann man virtuell abhalten. Hier sind etliche Innovationen zu erwarten.
Die spannende Frage wird sein, was nach Überwindung der Krise passiert. Ist die Steigerung der Solidarität und des gegenseitigen Vertrauens in der Gesellschaft, sofern sie tatsächlich eintreten wird, dauerhaft? Können neu geschaffene virtuelle Kontakte in die reale Welt übertragen werden? Werden Verhaltensmuster, die durch die Krise unterbunden werden (der Clubabend am Freitag mit den Freunden, der Spieleabend, das gemeinsame Theaterabo, der regelmäßige Besuch des Fußballspiels) wieder aufgenommen, oder sind die Menschen dann weitergezogen?

Es wird auch interessant sein, zu beobachten, wie gerade die Entwicklung hin zu virtuellen Beziehungen sich langfristig auf die Gesellschaft auswirkt, wenn die Krise einmal überwunden ist. Wird die Ausbildung auch danach stärker virtuell stattfinden? Oder kommen wieder alle in die Hörsäle, als wäre nichts geschehen? Werden Sitzungen nun weitaus häufiger als zuvor auf elektronischen Plattformen abgehalten?

Unabhängig von den Antworten auf diese Fragen besteht eine große Chance, dass sich die Gesellschaft auf dem Weg zu einer tieferen Digitalisierung weiterentwickelt. Davon abgesehen werden die Menschen sich auch nach der Krise wieder treffen wollen; ihre Begeisterung für Kunst, Kultur und Sport dürfte ungebrochen sein. Vielleicht sieht der eine oder andere die Welt im Anschluss etwas anders und bewertet die Dinge differenzierter. Als Beispiel mag hier das Verhalten mancher Stadionbesucher gegenüber Dietmar Hopp gelten, der gerade deutlich gemacht hat, wie man als wohlhabender Mensch Solidarität üben kann, als er ein unmoralisches Angebot der US-Regierung, seine Anteile am Biotech-Unternehmen Curevac, kurz und bündig ablehnte und auch im Profifußball für Solidarität plädierte (anders als Vertreter des Arbeitervereins BVB 09).

Viele Fragen wirft die Pandemie auf, manche weitaus dringlicher als die hier gestellten, vor allem in der kurzen Frist. Dennoch ist jede Krise nicht nur eine große Herausforderung, sondern auch eine Chance, Dinge zu verbessern. Man darf also hoffen, dass das Verhältnis der Bürger zur Politik und der Bürger untereinander sich durch die Krise eher verbessert als verschlechtert. Das macht Mut.

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