Die Bundesregierung schlägt sehr wolkig Alarm in diesen Tagen, prophezeit pathetisch ungefähr „historische Herausforderungen“ (Kanzler Olaf Scholz) und „dramatische Monate“ (SPD-Chef Lars Klingbeil). Wirtschaftsminister Robert Habeck warnt sogar vor einem „Lehman-Moment“ für den deutschen Gasmarkt. Und natürlich ist jetzt viel von einem „Modell Lufthansa“ die Rede, um Uniper zu retten, den größten Importeur von russischem Erdgas.
Der Hintergrund: Kreml-Potentat Wladimir Putin hat dem Unternehmen den Gashahn (fast) zugedreht, Uniper muss kurzfristig und teuer Ersatzmengen am Spotmarkt kaufen, kann die Preise wegen bestehender Verträge mit Versorgern (etwa Stadtwerken) aber nicht weitergeben – und ruft nun nach eiliger Hilfe vom Staat. Bereits am Freitag soll ein frisches Gesetz der Staatsbeteiligung den Weg ebnen.
Die Chefin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft, Kerstin Andreae, begrüßt das Vorgehen: „Es ist absolut richtig, dass die Bundesregierung ganz vorne in der Lieferkette ansetzt und die Importeure unterstützt“, sagt Andreae, andernfalls bestünde das Risiko von Domino- und Kaskadeneffekten, von kollabierenden Stadtwerken und privatinsolventen Verbrauchern – das ist es wohl, was Habeck mit „Lehman-Moment“ meint.
Wie der Staat Uniper retten könnte
Die Rettungsaktion für Uniper könnte dem Beispiel des Falles Lufthansa folgen, die vor zwei Jahren wegen des Geschäftseinbruchs in der Coronapandemie mit öffentlichen Milliardenhilfen vor der Pleite bewahrt werden musste.
Im März 2020 wurde zur Stützung von Unternehmen in der Corona-Krise der Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) aufgelegt. Er konnte mit einer Mittelausstattung von 600 Milliarden Euro verschiedene Instrumente einsetzen: Zur Abwehr akuter Liquiditätsnöte stellte die staatliche Förderbank Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) Darlehen oder Kreditgarantien zur Verfügung.
Die Lufthansa oder der Reisekonzern TUI nutzten vor allem Stille Einlagen des WSF. Das ist eine Form von verzinstem Eigenkapital, bei dem der Geldgeber anders als ein Aktionär kein Stimmrecht hat. Der Zins belief sich bei der Lufthansa eingangs auf vier Prozent und wäre bei langjähriger Nutzung bis 2027 auf 9,5 Prozent gestiegen. Im Fall der Airline beteiligte sich der Staat außerdem direkt über den Erwerb eines Aktienpakets von 20 Prozent. Es machte den Staat zum Hauptaktionär, der zwei Vertreter des Aufsichtsrates stellen durfte.
In der damals regierenden großen Koalition war umstritten, wie viel Einfluss der Staat auf die Lufthansa nehmen sollte. Die SPD wollte über das Aktienpaket Mitsprache und Kontrolle sicherstellen angesichts des hohen Finanzhilfevolumens von bis zu neun Milliarden Euro. Die Unionsparteien CDU/CSU wollten dem Konzern nicht ins Geschäft reinreden und waren daher für Stille Einlagen. Die Lufthansa-Aktionäre mussten den Plan auf einer außerordentlichen Hauptversammlung absegnen.
Da es sich um Staatsbeihilfen handelte, die dem Unternehmen keinen Vorteil gegenüber nicht staatlich gestützten Konkurrenten verschaffen soll, musste die EU-Kommission das Rettungspaket prüfen und genehmigen. Unfaire Vorteile des subventionierten Unternehmens werden über Auflagen unterbunden. So durfte die Lufthansa keine Firmen übernehmen oder Unternehmensteile quer subventionieren, so lange nicht 75 Prozent der Hilfen zurückgezahlt waren. Auch sollen Aktionäre und Manager vom Geld des Steuerzahlers nicht profitieren – deshalb dürfen Dividenden sowie Bonuszahlungen und andere variable Vergütungen erst wieder fließen, wenn das gesamte Rettungspaket zurückgezahlt ist. Die Vergütung der Lufthansa-Vorstände hat sich so mehr als halbiert.
Schon im November 2020 konnte die Lufthansa wieder Mittel privater Geldgeber am Kapitalmarkt aufnehmen und schrittweise die Kredite und Stillen Einlagen tilgen. Der WSF ist derzeit noch mit rund 14 Prozent an der Lufthansa beteiligt. Diesen Anteil muss er bis Oktober 2023 verkaufen.
Doch der Rekurs auf die Finanzkrise ist so irreführend wie der Verweis auf das „Modell Lufthansa“. Die nicht verhinderte „Lehman“-Pleite löste die Finanzkrise nicht (nur) aus, sondern entdeckte der Wirtschaftswelt (auch) den Abgrund einer dysfunktionalen Finanzbranche, die die Risiken ihres Tuns systematisch verschleierte und erfolgreich darauf spekulierte, ihre Verluste zu sozialisieren. Davon kann bei Uniper nicht die Rede sein. Das Unternehmen ist vielmehr ein spätes Opfer regierungsamtlicher Spekulationen auf billiges Russlandgas. Und hat daher alle Hilfe des Staates verdient.
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Aber ist die Hilfe auch sinnvoll? Die „Rettung der Lufthansa“ war eine Reaktion des Staates auf einen Zusammenbruch der Nachfrage: Niemand wollte, durfte, konnte in den ersten Coronamonaten mehr fliegen. Dagegen haben wir es bei Uniper mit einem Zusammenbruch des Angebots zu tun: Gas wird immer knapper und teurer.
Es ist deshalb höchst riskant, das Problem „von vorne“ zu adressieren. Die Preissignale können auf diese Weise nicht ihre volle Wirkung entfalten – und es ist wahrscheinlich, dass die jetzt eingesetzten Staatsmilliarden für die Importeure am langen Ende weder vorne (bei Uniper et al) noch hinten (bei den Verbrauchern) reichen werden.
Besser wäre es, wenn die Bundesregierung das Gasproblem andersherum adressierte – und Importeuren wie Versorgern erlaubte, die Preise bis zum Endkunden durchzureichen. Der Preisschock wäre groß. Der Energiespareffekt maximal.
Die Regierung wäre gezwungen, soziale Härten gezielt zu adressieren (etwa nach Einkommen gestaffelte Sparprämien, Entlastungen, Direktzahlungen) statt zum Beispiel unsinnige Tankrabatte durchzuwinken. Und die Unternehmen könnten wirtschaften wie bisher, unbehelligt vom Staat. Es wäre eine „historische Herausforderung“, fürwahr. Wie schade, dass die Regierung sie sich – und uns – nicht zutraut.
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