Falsche Anreize Zu wenig Organspender: Das schlagen Ökonomen vor

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„Eine Spende ist ein Geschenk und muss ein Geschenk bleiben“

Allerdings haben sich weltweit erst drei Staaten für ein solches System entschieden: Israel, Chile und Singapur. Zu groß ist die Angst vor Missbrauch, zu laut auch sind die Mahnungen von Ethikern. Der von der Bundesregierung eingesetzte Ethikrat etwa lehnt Prioritätsregeln wegen eines „Gerechtigkeitsproblems“ ab: Wer sich zum potenziellen Organspender erkläre, so das Argument, könne davon kurz vor seinem Tod wieder zurücktreten und „hätte zeitlebens die Option gehabt, bei eigener Bedürftigkeit bevorzugt ein Organ zu erhalten“.

Das Thema ist also ethisch heikel – erst recht, wenn die Frage gestellt wird, ob zwischen Spender und Empfänger Geld fließen darf, ob also zum Beispiel der Empfänger die Beerdigungskosten des Spenders übernehmen sollte. Damit ließe sich womöglich die Zustimmung knickriger Anverwandter zur Organentnahme erkaufen, eine moralisch schwer erträgliche Vorstellung. Andererseits: Darf man aus übergeordneten ethischen Erwägungen heraus verhindern, dass ein Schwerkranker ein Spenderorgan erhält, das sein Leben rettet?

„Eine Spende ist ein Geschenk und muss ein Geschenk bleiben. Daher sind finanzielle Anreize der falsche Weg“, sagt Axel Rahmel, Medizinischer Vorstand der DSO. Darüber gebe es einen weltweiten Konsens. Auch der Ethikrat warnt vor einer „Kommerzialisierung des menschlichen Körpers“.

Genau darin freilich sehen einzelne Ökonomen wie der 2015 verstorbene Gesundheitsökonom Peter Oberender von der Universität Bayreuth eine Chance. Sie fordern, den Handel mit Organen zu legalisieren, ihn als Markt zu betrachten, bei dem Angebot und Nachfrage über den Preis ins Gleichgewicht kommen. Den Vorwurf, dies sei ethisch unvertretbar, konterte Oberender mit dem Hinweis, der illegale Organhandel sei in vielen Entwicklungs- und Schwellenländern längst Realität – und für „Verkäufer“ ohne adäquate medizinische Versorgung lebensgefährlich. Sei das Verfahren transparent, entstehe eine „Win-win-Situation“, so Oberender: Die Organgeber erhielten einen fairen Preis und medizinische Versorgung, zugleich könne vielen Menschen dank des zusätzlichen „Angebots“ das Leben gerettet werden.

Allerdings dürfte selbst ein legaler Organhandel vor allem eine Richtung kennen – von armen Staaten weg in reiche. Weniger konfliktträchtig als ein solcher Gesundheitsimperialismus ist daher eine andere Möglichkeit, die Zahl der Organspender zu erhöhen. In einer Reihe von Staaten, etwa in Frankreich, Polen, Portugal, Österreich und der Schweiz, ist man automatisch potenzieller Organspender – es sei denn, man widerspricht. Vergangenen Dienstag verabschiedete auch das niederländische Parlament mit knapper Mehrheit ein entsprechendes Gesetz.

Ein solcher Umgang mit Organspenden lehnt sich an das verhaltensökonomische Konzept des „Nudging“ an. Dabei versucht der Staat, durch gezieltes „framing“ eines Themas seine Bürger in eine gewünschte Richtung zu „stupsen“, ohne sie ihrer Wahlfreiheit zu berauben. Derartige staatliche Bevormundung mag nicht jeder. Empirische Studien zeigen aber, dass in wirtschaftlich vergleichbaren Staaten, die auf die Widerspruchslösung setzen, die Spenderraten höher sind als bei der deutschen Zustimmungsregel.

Auch institutionell und organisatorisch lassen sich bei der Organspende noch Effizienzpotenziale heben. Jährlich gibt es rund 60.000 Hirntote in Deutschland, bei denen eine Organentnahme juristisch erlaubt wäre. Doch nicht immer klappt das Zusammenspiel zwischen den rund 1300 zur Organentnahme zugelassenen Krankenhäusern, den Transplantationskliniken und der DSO, die das Verfahren koordiniert und begleitet. „Es werden zu wenig potenzielle Spender von den Krankenhäusern gemeldet, weil dies für sie mit hohem Aufwand verbunden ist“, kritisiert Ökonomin Herr. Zudem werde „nirgendwo erfasst, ob und wie viele Menschen einen Organspendeausweis im Portemonnaie herumtragen“. Nötig sei daher ein zentrales Organspender-Register.

Zwar schreibt das deutsche Transplantationsgesetz vor, dass jedes Entnahmekrankenhaus einen Transplantationsbeauftragten benennen muss; für dessen Arbeit erhalten die Kliniken insgesamt 18 Millionen Euro im Jahr. Im hektischen Alltag auf den Intensivstationen scheinen viele diesen Nebenjob aber nicht übermäßig intensiv ausfüllen zu können. „Die Transplantationsbeauftragten sollten in notwendigem Umfang freigestellt werden“, fordert daher DSO-Vorstand Rahmel. In Bayern ist das seit 2017 gängige Praxis – und die Zahl der Organspender seitdem um 18 Prozent gestiegen. Laut Rahmel ließe sich die Zahl der Spender um die Hälfte erhöhen, wenn „am Lebensende vor dem Abbruch der Behandlung generell an das Thema Organspende gedacht und mit den Angehörigen besprochen würde“.

Angelika Breuer, die Frau mit dem fremden Herzen, bedarf solcher Appelle nicht mehr. Sie trägt seit vielen Jahren selbst einen Organspendeausweis im Portemonnaie. „Auf diese Weise“, sagt sie, „kann ich vielleicht irgendwann die Hilfe, die mir zuteil wurde, für einen anderen Menschen leisten.“

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