Guido Westerwelle Ein Politiker, der oft polarisierte

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Stunde des Triumpfs

Und dann, im dritten Versuch, 2009, gelang doch noch die Wunsch- Koalition mit der Union - mit einem Sensationsergebnis von 14,6 Prozent. Die Versprechen waren groß und die Erwartungen auch.

Doch in der Stunde des Triumphs machte Westerwelle einen seiner größeren Fehler: Er übernahm nicht das Finanz-, sondern das Außenministerium. Die Rechnung, damit auch die Beliebtheitswerte der Vorgänger zu übernehmen, ging nicht auf. Viele nahmen ihm den Wandel zum Diplomaten nie ab.

Nach anderthalb Jahren verlor auch die eigene Partei die Geduld. Westerwelle musste FDP-Vorsitz und Vizekanzlerposten abgeben. Gezwungenermaßen konzentrierte er sich aufs Auswärtige Amt, wo er sich zunehmend Respekt erarbeitete.

Sein vielleicht wichtigster Begriff: die „Kultur der militärischen Zurückhaltung“. In seiner umstrittensten Entscheidung - der deutschen Enthaltung zum Libyen-Einsatz im UN-Sicherheitsrat - sah er sich durch den Lauf der Dinge bestätigt. Trotzdem ist die deutsche Außenpolitik heute eine andere.

Alles in allem war Westerwelle in seinen vier Ministerjahren in mehr als 100 Ländern zu Besuch. Allzu oft bekam er nur Hotels und Außenministerien zu Gesicht. In manche Städte wollte er deshalb unbedingt zurück: nach Istanbul, Hongkong, Tel Aviv und unbedingt natürlich nach New York. Aus dem Wenigsten ist etwas geworden. Auch die Pläne für die „Westerwelle Foundation“ konnte er nie so richtig umsetzen.

Nach der dramatischen Niederlage bei der Bundestagswahl 2013 - die FDP kam nicht mal mehr ins Parlament - bekam er von vielen Außenministerkollegen auch Einladungen für die „Zeit danach“. Auf den letzten Dienstreisen ließ sich gut mit ihm über die Frage streiten, was solche Angebote wert sind. Er glaubte daran, dass sie ehrlich gemeint waren. Die Antwort erfuhr er nie so recht.

Auf den Tag genau ein halbes Jahr nach seinem letzten Tag als Minister bekam Westerwelle die Diagnose Leukämie. In der Öffentlichkeit trat er dann nur noch selten auf. Ausnahme waren ein paar Tage im vergangenen November, in denen er das Buch vorstellte, das er zusammen mit dem ehemaligen „Stern“-Chefredakteur Dominik Wichmann verfasst hatte.

Stichwort Leukämie

Westerwelle überall: Aufmacher der „Bild“-Zeitung, Titelbild des „Spiegels“, bei Günter Jauch in der Talkshow. Für kurze Zeit schien es wie früher - abgesehen davon, dass Westerwelle plötzlich auch Respekt und Mitgefühl von Leuten bekam, die ihm nie ihre Stimme gegeben hätten. Und dass es auf Fragen zur aktuellen Politik von ihm die Antwort kam: „Für mich ist das so weit weg. Und so lange her.“

Damals hofften viele, dass der Krebs besiegt war. Westerwelle selbst wusste, dass dem noch nicht so war. Am Freitag starb er nun, in der Uniklinik Köln, dort, wo er die Krebsbehandlung auch begonnen hatte. Ende November hatte er sich wieder zur stationären Behandlung dorthin begeben müssen. Begründet wurde dies offiziell mit einer „Medikamentenumstellung“. Aber manche ahnten schon, dass das keine gute Nachricht war.

Sein Wunsch, zuhause zu sterben - ohne Ärzte um sich herum, ohne Schläuche im Blick, ohne Notknopf über dem Bett -, ging also nicht in Erfüllung. In seinem Buch hatte er zum Moment seines Todes geschrieben: „Ich hielte es eher mit meiner Großmutter, die lieber im Meer vor Mallorca ertrunken als in einem deutschen Bett dahingesiecht wäre.“

Westerwelle hinterlässt seinen langjährigen Lebensgefährten Mronz, mit dem er auch fast auf den Tag fünfeinhalb Jahre verheiratet war. Ihm hatte er auch das Buch gewidmet. „Für Michael. Den Mann meiner zwei Leben.“ Kinder hatte er zu seinem Bedauern keine.

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