WirtschaftsWoche Online: Herr Wolff, in den vergangenen zehn Jahren sind Hartz-IV-Empfängern insgesamt rund zwei Milliarden Euro aufgrund von Sanktionen gestrichen worden. Ist das ein Erfolg – oder ein Armutszeugnis?
Joachim Wolff: Zunächst einmal: Fordern und Fördern müssen in einem System wie Hartz IV immer zusammengedacht werden. Wer Geld der Steuerzahler erhält, hat im Gegenzug gewisse Pflichten zu erfüllen. Würden Pflichtverletzungen folgenlos bleiben, würde die deutsche Grundsicherung nicht mehr funktionieren. Schon die Existenz der Strafen kann disziplinierend wirken. Die entscheidende Frage ist eher: Wie müssten die Sanktionen aussehen, damit sie wirken - kaum wünschenswerte Nebenwirkungen aber vermieden werden?
Sie haben in diesem Jahr eine Studie zum Thema Sanktionen veröffentlicht. Wie fällt ihr konkretes Urteil über den bestehenden Strafkatalog dann aus?
Sanktionen wirken. Die Betroffenen suchen und finden danach in der Tat schneller einen Job, und zwar auch bei einer Kürzung um zehn Prozent. Je massiver die Arbeitslosengeld-II-Leistungen (ALG II) gekappt werden, desto gravierender können jedoch die negativen Folgen sein.
Das müssen Sie ausführen.
Soweit es sich nicht um Meldeversäumnisse handelt, führt schon die erste Sanktion für unter 25-Jährige zur vollständigen Streichung der Regelleistung - und eine wiederholte Sanktion zur vollständigen Streichung der gesamten ALG-II-Leistungen für drei Monate. Das kann dann in Einzelfällen zur Obdachlosigkeit führen. Oder die betroffenen Hartz-IV-Empfänger melden sich ab und entziehen sich damit dem Arbeitsmarkt und den Jobcentern.
Zur Person
Joachim Wolff ist Leiter des Forschungsbereichs Grundsicherung und Aktivierung beim Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg.
Was passiert dann?
Vielleicht arbeiten sie dann schwarz, vielleicht fängt die Familie sie auf - darüber können wir angesichts der Datenlage leider eher nur mutmaßen. Was wir aber wissen ist: Sie fallen dann auch aus der Förderung für einen regulären Job heraus. Wenn das Fordern aber dazu führt, dass das Fördern unterbleibt, ist das sicher nicht Sinn und Zweck der Hartz-Reformen.
Was würden Sie konkret an Änderungen vorschlagen?
Sanktionen müssen erhalten bleiben. Aber die Kürzungen sollten für Jüngere niedriger ausfallen als heute und bei wiederholten Sanktionen nicht so massiv ansteigen. Gegebenenfalls könnte man dafür geringere Sanktionen über einen längeren Zeitraum durchziehen. So würden Pflichtverletzungen nicht folgenlos bleiben, aber existenzielle Nöte könnten verhindert werden.