Die Gesetze sind für Genz wie Noten: notwendige Grundlage seiner ganz eigenen Interpretation. Seine Haltung ist hart und herzlich, er umarmt und fordert ein. Mitfühlendes Herz, Sinn fürs Pragmatische und eine für den öffentlichen Dienst eher unübliche Schlitzohrigkeit sind bei ihm eine wirkungsvolle Verbindung eingegangen. So ausgestattet führt er den Kampf gegen seinen größten Gegner: die Routine.
Früher waren die Kunden des Mannheimer Jobcenters nach Nachnamen auf die Mitarbeiter verteilt, A bis E oder M bis O, so weit, so üblich. Nur hatte dies den Nachteil, dass der Blick blind war für die sozialen und räumlichen Verbindungen. Oder um es mit Genz zu sagen: „Wir haben nicht mitgekriegt, wenn in manchen Mietshäusern oder bestimmten Straßenzügen kaum einer arbeiten ging.“
Heute sortieren sich die Mannheimer Jobcenter-Mitarbeiter nicht mehr nach dem Alphabet, sondern nach Adressen. Die Arbeitslosen kennen sich schließlich, sie bilden ein Milieu – und das sollen Genz’ Mitarbeiter versuchen aufzubrechen. Heute erzielen sie in Mannheim auch deshalb bessere Resultate als in anderen Jobcentern, weil alle registrierten Kunden einer Gegend gleichzeitig zu einer Förderung vermittelt werden. Und nicht wie früher Müller im Februar und Schulze im August.
Für die ganz harten Fälle zieht das Jobcenter dann noch ein anderes Register. Alle Langzeitarbeitslosen in Mannheim jenseits der 50 erhalten einmal im Jahr eine Gratis-Einladung zu einem eigens für sie organisierten Konzert. Viele sind ewig nicht mehr ausgegangen, nun spielt einen Abend lang Klaus Lage und Band für sie oder Heinz Rudolf Kunze oder Julia Neigel. Nur für sie. „Starke Musik für starke Menschen“ heißt das Programm: Seelentröstung vom Amt, kostenlose Zuwendungs- und Zuversichts-Infusion.
Herr Genz, Ihr Konzert-Engagement in allen Ehren. Aber hilft das den Betroffenen wirklich?
Hermann Genz: Hier geht es zunächst einmal um eine Botschaft, die unbezahlbar ist: Ihr seid etwas wert. Üblicherweise schauen Vermittler viel zu sehr nur auf das, was Arbeitslose nicht können, und versuchen dann, mit viel Geld Defizite zu beheben. Wäre es nicht besser, sich auf die vorhandenen Kenntnisse und Leidenschaften zu stürzen, die fast jeder hat?
Passiert das denn nicht?
Viel zu selten. Ich illustriere das gerne an mir selbst: Das Häuschen ist noch nicht abbezahlt, also habe ich Schulden. Ich trinke gerne ein Glas Rotwein, und mein Rücken zwickt. Der Jüngste bin ich auch nicht mehr. Also komme ich in wenigen Sekunden gleich auf mehrere Vermittlungshemmnisse. Wenn Sie mir noch ein paar Minuten geben, werden es noch mehr. Auf dem Papier bin ich also ein hoffnungsloser Fall. Trotzdem halte ich mich noch für ziemlich leistungsfähig. Mit dieser Denke kommen wir künftig nicht weiter.
Individuelle Beratung, enge Betreuung – das würde jeder unterschreiben. Aber lautet die Wahrheit nicht: Das ist bei mehreren Millionen Hartz-IV-Empfängern schlicht nicht zu leisten?
Ich hatte vor vielen Jahren mein Erweckungserlebnis, als ich in den Niederlanden an einer Exkursion teilnahm. Da saß ein stotternder, verunsicherter Kunde, und sein Job-Berater stellte ihm auch noch ganz merkwürdige Fragen. Eine davon lautete: „Feuer oder Wasser?“ Ganz eindeutig zog er Wasser vor, wie sich sofort herausstellte. Die beiden fingen an, darüber zu reden. Der Mann wurde in den folgenden Minuten immer ruhiger und entspannter.
Aber bekam er am Ende tatsächlich auch einen Job?
Ja. In einer Auto-Waschanlage. Da habe ich kapiert, was passgenaue Vermittlung heißt.