Knauß kontert Jenseits von guter und böser Handelspolitik

Der Ökonom David Ricardo (1772-1823) Quelle: Getty Images

Deutschland hat mehrheitlich ein Interesse an niedrigen Handelsbarrieren. Aber die moralisierende Empörung über Trumps Interessenpolitik ist fehl am Platz. Freihandel ist kein Selbstzweck.

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Das Wort „Protektionismus“ hat einen üblen Klang, obwohl seine Bedeutung – vom lateinischen „protectio“, also „Schutz“ – eigentlich positiv ist. Das liegt vermutlich auch daran, dass es oft in einem Atemzug mit dem martialischen Wort „Handelskrieg“ genannt wird. In der friedliebenden europäischen und erst recht in der deutschen Öffentlichkeit hat es der Protektionismus ganz besonders schwer, da er mit (Wirtschafts-)Nationalismus verbunden wird, der moralisch delegitimiert ist. Hier muss daher niemand mehr allzu große Überzeugungsarbeit leisten, dass das, was Donald Trumps Regierung in den USA vorhat, zu verurteilen ist.  

Der Gegenbegriff – Freihandel – hat dagegen, zumindest unter ökonomisch halbwegs gebildeten Menschen einen eindeutig positiven Ruf. Wenn es um ihn geht, werden auch eiskalte Geschäftsleute und rationale Ökonomen zu Sängern eines alten Hoheliedes. Dessen Komponist ist David Ricardo (1772-1823). Seine These – Handel, auch grenzüberschreitender, erzeugt Wohlfahrtsgewinne für beide Seiten – ist zentraler Bestandteil des Kanons, der jedem Studenten der Wirtschaftswissenschaften eingebimst wird.

Protektionismus wird von Ökonomen mit Vokabeln wie „Rückschritt“ oder „Schaden“ verbunden, während der Abbau von Zöllen fast immer positiv konnotiert ist. Aber nur selten wird genauer begründet, für wen genau dies denn positiv oder schädlich ist. Meist wird implizit eben einfach die Allgemeingültigkeit von Ricardos These vorausgesetzt und ein überpersönliches „Deutschland“ oder „Europa“ oder „die Wirtschaft“ oder gar „alle“ als nutznießende Kategorie gesetzt.

Aber natürlich profitieren im wirklichen Leben nicht unbedingt alle vom freien Handel, auch nicht alle Deutschen. Zumindest nicht gleichermaßen. Aktuelle Ökonomen-Äußerungen wie „In einem Handelskrieg verlieren alle und niemand gewinnt“ (Emily Blanchard) oder „Damit beginnt ein Handelskonflikt, der nur Verlierer kennt“ (Gabriel Felbermayr) sind allenfalls zutreffend, wenn man die BIP-Wachstumsraten der gesamten Volkswirtschaften betrachtet. Aber innerhalb der betroffenen Länder gibt es natürlich immer Globalisierungs-, also Freihandelsverlierer und damit auch potentielle Handelskriegsgewinner. Im aktuellen Fall sind es amerikanische Stahl- und Aluminiumproduzenten und deren Arbeiter.

Bestimmte Interessen profitieren immer von protektionistischen Maßnahmen – sonst gäbe es sie schließlich nicht. Die Frage ist nur, ob diese Interessen dominieren (sollten) über die Interessen der potenziellen Verlierer im handelskriegführenden Land. Den über Trump empörten Europäern sei in Erinnerung gerufen, dass auch die EU nicht völlig frei von Protektionismus ist. Ein Beispiel: Da die EU zwar keinen Importzoll auf ungeröstete, aber 7 bis 9 Prozent auf geröstete Kaffeebohnen erhebt, kann in Deutschland und Italien die Kaffeerösterei-Szene erblühen. Mit dem Resultat, dass 34 Prozent der weltweiten Kaffee-Export-Erlöse in der EU verdient werden und nur 6 Prozent davon in den afrikanischen Kaffee-Anbauländern. Bei Kakao, Tabak, Baumwolle ist es ähnlich, auch bei Metall-Erzen: Zollschranken helfen der europäischen Industrie dabei, die aufwendigen Veredelungsprozesse in den eigenen Ländern zu halten und erschweren den Rohstoffexportländern, eigene Verarbeitungsindustrien aufzubauen. Natürlich spielen da auch andere Aspekte – technologisches Know-How nicht zuletzt – eine Rolle. Dennoch: Auch die EU „protegiert“ heimische Wirtschaftszweige durch Zollschranken – wenn auch sehr viel weniger entschlossen und offen als die USA und China. 

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