Konjunktur Duisburg: Besichtigung eines Industrie-Stillstands

30.000 Kurzarbeiter im Industriekonzern ThyssenKrupp - eine Schreckensmeldung, die noch vor wenigen Wochen undenkbar erschien. Und nun ist sie wieder da - die Krise. Sie kommt mit voller Wucht und schlimmer als in den vergangenen sechzig Jahren.

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ThyssenKrupp-Stahlwerke in Quelle: AP

Kein Dreivierteljahr ist es her, dass Zeitungen fast schon euphorisch die Wiederkehr der 50-er Jahre des vergangenen Jahrhunderts feierten. "Öfen glühen wie in alten Zeiten" hieß es. Es wurde sogar ein neuer Hochofen bei ThyssenKrupp in Betrieb genommen. "Der neue Koloss belegt den Boom der Traditionsindustrie" und fast blind vor Freude schrieb einer: "Vorbei sind die Zeiten, in denen das Ruhrgebiet unter der Stahlkrise litt und Hochöfen geschlossen wurden." Vor sieben Monaten konnte man diese Zeilen lesen.

Die Worte von ThyssenKrupp-Chef Ekkehard Schulz am vergangenen Freitag im 20. Stock der Düsseldorfer Konzernzentrale klangen dagegen wie ein Hammerschlag: "In den letzten drei Monaten hat sich die deutsche Rohstahlproduktion Monat für Monat um 33 Prozent gegenüber dem Vorjahr reduziert." Der Schwund fällt damit wesentlich höher aus als in den Krisenjahren Anfang der neunziger Jahre. Damals habe der Rückgang der Produktion nur zehn Prozent betragen. Die Zahl der Stahlarbeiter wurde um 30 Prozent, von 94.000 auf 60.000 reduziert, sagte der Hütteningenieur mit auffällig scharfen Rückblick in die Vergangenheit. Damit drängte sich unter den Zuhörern eine schreckliche Analogie auf. Wird der Rückgang im Verhältnis genauso drastisch ausfallen?

Die Belegschaft der insgesamt 50.000 Stahlarbeiter würde dann rechnerisch um 90 Prozent fallen, doch das konnte Schulz nicht gemeint haben. Sein Vergleich war unglücklich, später korrigierte er sich - "bei weitem" nicht so schlimm müsste die Reaktion heute aussehen, weil die Stahlindustrie effizienter geworden sei. Aber immerhin: Fiele der Einschnitt bei den Stahlarbeitsplätze genauso hart aus wie vor 15 Jahren, müssten 15.000 Stahlwerker gehen - die Hälfte des heutigen Kurzarbeiterheers.

Kulisse für Horst Schimanski

Düstere Aussichten für Duisburg: Ein Hochofen von fünf im Stamm-Stahlwerk in Bruckhausen wurde stillgelegt. Das Herunterfahren eines Hochofens hat im Ruhrgebiet fast schon eine symbolische Bedeutung. Die toten Hochöfen im Stadtteil Meiderich werden heute bunt angestrahlt, unter ihnen finden im Sommer klassische Konzerte statt. Man kann sie besteigen und tief in ihr Inneres schauen. Oder sie dienten als Grusel-Kulisse für Ruhrgebiets-Tatort-Folgen mit Götz George als Horst Schimanski.

Irgendwann in den 1980-er Jahre wurden auch sie "anblasfähig" ausgeschaltet. Anblasfähig heißt im Hüttenjargon, sie werden so heruntergefahren, dass sie jederzeit wieder in Betrieb genommen werden können. Dafür wird immer für ein wenig Restwärme gesorgt.

Doch irgendwann lohnt sich diese künstliche Beatmung nicht mehr. Sie wird ganz ausgeschaltet, der Hochhofen erkaltet und seine Umwandlung in eine Konzerttheater-Kulisse wird unabwendbar. Doch ThyssenKrupp-Steel beteuert, der ausgeschaltete Hochofen könne jederzeit wieder angefahren werden.

Etwas weiter gleicht eine Straßenbahnfahrt durch die Duisburger Kaiser-Wilhelm-Straße - an der das Stahlwerk liegt - einer markerschütternden Tour mit einer Geisterbahn. Die früheren Wohnhäuser gegenüber dem ThyssenKrupp-Stammwerk sind größtenteils verlassen. Hier soll irgendwann eine neue Stahlstadt gebaut werden, die den Besucher aus aller Welt den Stolz der Stahlarbeiter demonstriert - ein Stolz, der von der Krise gerade wieder kräftig angefressen wird.

Industriedenkmal von Quelle: gms

In Duisburg säumen noch die grauen, fast schwarzen Häuser mit ihren leerstehenden Wohnungen das fast fünf Kilometer lange Geländes des Stahlwerks, in dem 20.000 Arbeiter beschäftigt sind. 191 Häuser sollen demnächst abgerissen werden und ein Grüngürtel angelegt werden. Stahl soll so zum Lifestyleprodukt mutieren, das sich harmonisch ins Grün und nicht in ein Elendsquartier einfügt. Das war eines Idee der vergangenen zwei Jahre, eine Idee des Booms, in der auch die Stahlwerke in Brasilien und USA geplant wurden, die heute zum Verkauf stehen.

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