Landtagswahlen Zugezogene prägen Wahlen in Bayern und Hessen

Die Grünenpolitiker Ludwig Hartmann, Katharina Schulze und Robert Habeck bei einer Wahlkampfveranstaltung in München Quelle: imago images

Die Wanderungsbewegungen aus Schrumpfregionen in die Boom-Städte Hessens und Bayerns verändern die Struktur der Wählerschaft in Bayern und Hessen. Das nutzt den Grünen und macht den Unionsparteien zu schaffen.

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„Laptop und Lederhose“ gilt nicht mehr. Der Spruch stammt aus den 1990er Jahren vom damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog, einem Niederbayern. Er sollte den geglückten Wandel des Freistaats vom armen Agrarland zum erfolgreichen Hightech-Standort beschreiben. Allen wirtschaftlichen Erfolgen zum Trotz, die die CSU für ihre Regierungen in Anspruch nimmt, scheint zur bayerischen Landtagswahl an diesem Wochenende nur noch „Laptop ODER Lederhose“ zu gelten. 

Die CSU steht schlecht da und schafft es nicht mehr, Eingesessene und gut ausgebildete Zuwanderer aus anderen Teilen der Republik unter ihrem Dach zu sammeln. Seit der Wahl 2003, als Ministerpräsident Edmund Stoiber noch rund 60 Prozent der Stimmen für die CSU holte, sind mehr 1,6 Millionen Menschen nach Bayern zugezogen. Vor allem der Arbeit wegen. Und diese eher gut Ausgebildeten können zwar mit Laptops einiges anfangen, sind aber der CSU, Lederhosen und überhaupt bayerischen Bräuchen weniger verbunden. 

Auch in Hessen machen sich mächtige Veränderungen bei der Landtagswahl bemerkbar. Auch hier wird ein Umsturz in Zeitlupe sichtbar, den die Mobilen ausgelöst haben. Die Binnenwanderer haben das Bundesland in der Mitte der Republik verändert wie kaum ein zweites: Hessen ist extrem vom Schrumpfen auf dem Land betroffen, spürt aber auch heftige Wachstumsschmerzen in den Großstädten, in die vor allem die Jungen zuhauf ziehen.

Beide Umwälzungen – die magnetische Kraft Bayerns und die wachsende Zweiteilung Hessens – machen sich nun bei den Wahlen bemerkbar. Die Union, die traditionell auf dem Land besser abschneidet, hat den Neubürgern und Stadtbewohnern, kein überzeugendes Angebot zu machen. Die daraus folgenden Schwäche der Volksparteien CDU und CSU wird die Bildung von Regierungen erschweren und Koalitionen verändern. Die SPD als die andere Volkspartei, die bei Städtern eigentlich besser punkten müsste, leidet derzeit vor allem an sich selbst und scheint mit ihren Ideen kaum mehr durchzudringen.

Vor der Landtagswahl in Bayern erreicht die CSU in den Umfragen nur noch 33 bis 35 Prozent Zustimmung. In Hessen schwächelt die CDU nach den Umfragen bei um die 30 Prozent.  

Keine Bindung an den Bayern-Mythos

 Nach der Bayern-Wahl an diesem Wochenende wird es aller Voraussicht nach Verhandlungen von zwei, vielleicht drei möglichen Koalitionspartnern geben. Dass die CSU so schwach ist, dass sie nicht mehr ohne Partner regieren kann, hängt auch an den Neu-Bayern. Viele Jüngere sind den Jobs hinterher nach Bayern gezogen, oft gut ausgebildete. Etliche kommen aus „Preußen“, aus den östlichen Ländern, viele haben keine konfessionelle Bindung, wie sie in Bayern noch prägt. Sie haben also weder den Bayern-Mythos verinnerlicht, den die CSU für sich zu vereinnahmen sucht, noch die kirchliche Bindung, die oft eine kulturelle Nähe zu den Christsozialen mit sich bringt. Die CSU ist also, überspitzt formuliert, Opfer eines wirtschaftspolitischen Erfolges, der die Zuwanderer angezogen hat. Leider hat sich die Partei selbst nicht modernisiert, wie sie es durchaus in der Wirtschaftspolitik geschafft hat.   

In den Städten haben viele Neubürger zudem zu kämpfen mit knappem Wohnraum, mit Verkehrskollaps und hohen Lebenshaltungskosten. Und hier scheint die CSU weniger Angebote zu machen als andere. Das Lebensgefühl der Städter treffen ohnehin die Grünen besser, die wegen des Umweltschutzes gewählt werden und weil sie eine liberale Gesellschaft fordern. Die aber auch den Spagat schaffen, ihre Wähler nicht zu maßregeln, weil deren Alltag zwischen Flugreise, SUV und Feinkostladen eigentlich nicht allzu ökologisch daherkommt.

Von der harschen CSU-Debatte um Geflüchtete und andere Zuwanderer haben sich viele Neu-Bayern in den Städten zudem von der Partei abgewandt, auch wenn sie die Wirtschaftspolitik und andere Angebote noch ganz gut fanden. Und auf dem Land schafft es die ehemalige Staatspartei CSU schwer, in der Flüchtlingspolitik gegen die immer extremere, rechtsgerichtete AfD zu punkten.

Mainhattan und Hessisch Sibirien

Die bisherige schwarz-grüne Regierung in Wiesbaden wirkt zwar wie eine ganz brauchbare Verbindung zwischen eher konservativ-ländlich geprägter CDU und liberal-städtischen Grünen. Doch profitieren können nun zur anstehenden Landtagswahl in Hessen eher die Grünen, die Volkspartei CDU sackt ab. Und auch das hat viel mit den Bevölkerungsbewegungen zu tun. „Hessisch-Sibirien" nennen die Südhessen die nördlichen Landstriche. Aber nicht nur im Vogelsbergskreis und in der Wetterau schrumpft die Bevölkerung und die Jungen sind weg. Das gilt auch für den Odenwald. Dagegen platzen die Städte im Rhein-Main-Ballungsgebiet aus den Nähten, sind für Normalverdiener kaum noch erschwinglich.

Auf dem Land fühlen sich viele allein gelassen und vermissen Ideen bei der CDU. Aus der Not hat sich in Hessen bereits eine neue Gemeinde aus vier bisherigen ländlichen Kommunen gegründet. Die Gemeinde Oberzent wird nun effizienter verwaltet und bekommt mehr Geld vom Land zugewiesen. Doch die Bevölkerung empfindet solche Schritte eher als Aufschub im Schrumpfen, denn als Umkehrschwung. Zur Landtagswahl hat sich in Hessen ein Aktionsbündnis Ländlicher Raum vorgestellt, das vor allem Einfluss gegen ein „Weiter So!“ in der Landespolitik und auf dem Land nehmen will. All das lässt ahnen, dass die traditionellen CDU-Wähler auf dem Land nicht ganz zufrieden sind. Immerhin zählen  2,5 Millionen der sechs Millionen Bewohner in Hessen zum Landvolk jenseits der Städte und Städtchen. 

Die Wählerinnen wandern ab

Schließlich macht noch eine weitere Gruppe der Union zu schaffen, die früher treu zu CDU und CSU standen, die aber heute wechselfreudiger ist. Frauen ziehen häufiger noch als Männer der Arbeit hinterher in die Städte. Oft sind die jungen Frauen besser ausgebildet als die Männer, häufiger haben sie städtische Berufe. Und die mobilen Frauen in den Städten wählen seltener als noch die Frauen aus ihrer Müttergeneration die Union, die beim Personal auch heute noch eher gesetztere Herren nach vorne lässt. Alarmstimmung müsste zum Beispiel eine Umfrage des Insa-Institutes bei der CSU auslösen. Danach würden am Sonntag 33,5 Prozent der Männer die CSU wählen - aber nur noch 32,4 Prozent der Frauen. In früheren Landtagswahlen hat die CSU immer mehr Stimmen der Frauen erhalten, die ihr nun davonlaufen. Die Grünen sind der Hauptprofiteur: „20,7 Prozent der Wählerinnen würden ihre Stimme für die Grünen abgeben, aber nur 15,6 Prozent der Männern”, sagt Insa-Chef Hermann Binkert.

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