Nach Aufnahmestopp für Ausländer Neue Regeln für die Tafeln?

In einer Krisensitzung berät die Essener Tafel über den heftig kritisierten Aufnahmestopp für Ausländer. Wie eine Lösung aussehen könnte.

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In den 13 Verteilstellen der Essener Tafel gehen die Lebensmittel jede Woche an rund 6000 Menschen. Quelle: dpa

Berlin Nach der massiven Kritik am vorübergehenden Aufnahmestopp der Essener Tafel für Ausländer fordert der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, Konsequenzen. Die Tafeln sollten sich „für derartige Krisensituationen andere Regeln geben, um den ordnungsgemäßen Ablauf sicherzustellen“, sagte Landsberg dem Handelsblatt. „Für die Tafeln muss der Grundsatz gelten, das für die Hilfe die Bedürftigkeit entscheidend ist und nicht die Herkunft.“

Richtig sei allerdings, „dass zum Beispiel Flüchtlinge, wenn sie in staatlichen Einrichtungen mit ausreichend Lebensmitteln versorgt werden, bei den Tafeln nicht zusätzlich berücksichtigt werden können“, betonte Landsberg. „Wer Tafeln nutzen darf, ist zumeist über Berechtigungsausweise geregelt.“

Der Vorstand der Essener Tafel berät an diesem Dienstag in einer Krisensitzung über die Lage. Beobachter gehen davon aus, dass der Vorstand am Mittag über alternative Möglichkeiten beraten wird, die Essensausgabe zu regulieren. Der Vereinsvorsitzende Jörg Sartor hatte zuvor erklärt, dass er seinen Rücktritt erwäge. Ein Haufen von Politikern haue auf seine Einrichtung ein, ohne sich zu informieren, sagte Sator der „Bild“-Zeitung.

Die Essener Tafel vergibt neue Berechtigungen zum Empfang von Lebensmitteln seit dem 10. Januar vorübergehend nur noch an Bürger mit deutschem Ausweis. Begründet wird dies mit einem angeblich zu hohen Anteil an Ausländern, weshalb sich etwa viele ältere Menschen nicht mehr wohlfühlten und das Hilfsangebot nicht mehr wahrnähmen.

Sozialverbände, Politiker verschiedener Parteien und auch Tafeln anderer Bundesländer kritisierten das Vorgehen als falsch. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) schaltet sich ein. „Da sollte man nicht solche Kategorisierungen vornehmen. Das ist nicht gut“, sagte Merkel in einem RTL-Interview. Aber die Entscheidung der Ehrenamtlichen in Esse, bis auf Weiteres nur noch Deutsche neu in ihre Kartei mit bedürftigen Menschen aufzunehmen, zeige auch „den Druck, den es gibt“, und wie viele Bedürftige auf Lebensmittelspenden angewiesen seien.

Landsberg zeigte auch Verständnis für das Vorgehen. In Essen habe man eine Regelung treffen wollen, um Auseinandersetzungen, zum Beispiel ein Vordrängeln bei der Essensausgabe, zu vermeiden. „Offenbar sind insbesondere ältere Personen und Alleinerziehende eher zurückgedrängt worden“, so Landsberg. Der Bundesverband der Tafeln habe daher richtig reagiert und darauf hingewiesen, „dass es andere Wege geben muss, um den ordnungsgemäßen Ablauf bei der Ausgabe der Lebensmittel zu organisieren“.

Landsberg warnte zugleich vor überzogener Kritik an den Tafeln. „Insgesamt sollte die Politik die guten und vernünftigen Einrichtungen der Tafeln unterstützen und nicht bei einzelnen Fehlern das System infrage stellen“, sagte er. „Hier funktioniert ehrenamtliches Engagement und viele Unternehmen, wie etwa Lebensmittelgeschäfte, unterstützen diese Struktur.“

Bundesweit gibt es 934 gemeinnützige Tafeln. Sie sammeln einwandfreie überschüssige Lebensmittel von Herstellern und Händlern und verteilen sie regelmäßig an bis zu 1,5 Millionen Bedürftige. Bei 40 Prozent der Einrichtungen sind Vereine die Träger, bei den übrigen stehen Organisationen wie Diakonie, Caritas, Rotes Kreuz oder AWO dahinter. Rund 60.000 Menschen engagieren sich ehrenamtlich bei den Tafeln. 

In den 13 Verteilstellen der Essener Tafel gehen die Lebensmittel jede Woche an rund 6000 Menschen. Die Tafel beliefert darüber hinaus nach eigenen Angaben knapp 110 soziale und karitative Einrichtungen wie Mittagstische in sozialen Brennpunkten oder Anlaufstellen für Obdachlose. 

Am Wochenende hatten Unbekannte Türen und Fahrzeuge des Essener Vereins mit Parolen wie „Nazis“ beschmiert. Die Polizei vermutet einen Zusammenhang mit der Debatte um den Aufnahmestopp. Daraufhin drohte der Vereinsvorsitzende Sartor mit Rücktritt. „Es hat mir hier immer Spaß gemacht. Aber ich habe keinen Bock mehr, man verliert einfach die Lust“, sagte er der „„Bild“-Zeitung. „Ich bin kurz davor, hinzuschmeißen.“

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