
Nach der heftig kritisierten Rede des AfD-Politikers Björn Höcke zum Umgang mit dem Holocaust-Gedenken werden Forderungen laut, die Partei vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen. SPD-Chef Sigmar Gabriel erklärte am Donnerstag, der Rechtsstaat dürfe sich nicht an der Nase herumführen lassen. „Die AfD muss endlich vom Verfassungsschutz beobachtet werden.“ Die AfD habe die NPD „als Sammelbecken für rechtsradikale Hetzer endgültig abgelöst“, schrieb der Vizekanzler und Wirtschaftsminister auf Twitter.
Für eine Beobachtung plädierte auch SPD-Vize Ralf Stegner. „Herr Höcke ist ein Rechtsextremer, der die AfD zur Nachfolgepartei der NPD machen will“, sagte Stegner der Funke Mediengruppe (Freitag). Den Verfassungsschutz brachte auch Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) ins Spiel. „Der Verfassungsschutz muss ein scharfes Auge auf die AfD insgesamt und auf einzelne Personen aus der AfD haben“, sagte Strobl der „Rhein-Neckar-Zeitung“ (Donnerstag). „Wenn die Voraussetzungen für eine Beobachtung vorliegen, muss schnell gehandelt werden.“
Höcke hatte am Dienstagabend offensichtlich mit Blick auf das Holocaust-Mahnmal in Berlin in einer Rede in Dresden gesagt: „Wir Deutschen, also unser Volk, sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat“ - und damit für Empörung gesorgt. Der Thüringer Partei-und Fraktionschef der AfD wies später „bösartige und bewusst verleumdende Interpretationen“ seiner Rede zurück.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz wollte sich auf dpa-Anfrage zur Diskussion über eine Beobachtung der Rechtspopulisten nicht äußern. Das Thüringer Innenministerium reagierte zurückhaltend: An der bisherigen Beurteilung habe sich nach den Äußerungen Höckes in Dresden vorerst nichts geändert, sagte ein Ministeriumssprecher auf Anfrage in Erfurt. Die Meinungsbildung darüber sei aber noch nicht abgeschlossen. Thüringens Verfassungsschutz will nach einem Bericht der „tageszeitung“ die Höcke-Rede zumindest unter die Lupe nehme. „Wir prüfen die Rede und die Reaktionen darauf in der Partei“, sagte Behördenchef Stephan Kramer der Zeitung.
Gegen die Fassade des Ballhauses Watzke, in dem der AfD-Politiker geredet hatte, verübten Unbekannte einen Farbanschlag. Sie hätten in der Nacht zum Donnerstag knapp zwei Dutzend mit verschiedenen Farben gefüllte Kunststoffkugeln gegen die Fassade geworfen, sagte ein Polizeisprecher. Da ein politisches Motiv vermutet werde, habe der Staatsschutz die Ermittlungen übernommen.
Wie die etablierten Parteien mit der AfD umgehen
Als Spezialproblem der Union wird die AfD ausdrücklich nicht betrachtet. Aus Sicht von Kanzlerin Angela Merkel ist dem Protest die Spitze zu nehmen, indem man Probleme anspricht und zu lösen versucht. Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) beharrt darauf, die AfD zu ignorieren. Die CSU fährt einen eigenen Kurs. Mit scharfer Kritik an Merkels Kurs versucht Parteichef Horst Seehofer, eine dauerhafte AfD-Etablierung rechts von der Union zu verhindern.
Die SPD fordert, der Verfassungsschutz müsse die AfD beobachten. Als schräg empfanden es viele, dass in Mainz SPD-Ministerpräsidentin Malu Dreyer sich einem TV-Duell mit der AfD verweigerte - ihr SPD-Landeschef ging dann hin. Die AfD könnte auch der SPD kleinbürgerliche Anhänger abjagen, die denken, der Staat kümmere sich nur noch um Flüchtlinge. So fordert Parteichef Sigmar Gabriel ein Solidarpaket für sozial benachteiligte Bürger.
Die Grünen haben die geringsten politischen Schnittmengen mit der AfD und müssen von den etablierten Parteien wohl am wenigsten eine Abwanderung ihrer Wähler befürchten. Korrigiert wurde aber das Nein zu TV-Talkrunden mit der AfD. Die Rechtspopulisten haben laut Grünen-Chefin Simone Peter „eine Wucht erzeugt“, dass man sich mit der Partei „an einen Tisch setzen“ müsse.
Die Linke setzt auf klare Abgrenzung zur AfD. Durch die leichten Zugewinne bei den Kommunalwahlen in Hessen sieht sie diesen Kurs bestätigt. Union und SPD wirft die Linke dagegen vor, als Reaktion auf die AfD-Erfolge nach rechts zu driften. „Wir können durchaus von einer Polarisierung nach rechts reden“, sagt Parteichef Bernd Riexinger.
FDP-Chef Christian Lindner wollte die AfD lange ignorieren. Doch spätestens nach den Silvester-Übergriffen überwiegend ausländischer Täter auf Frauen in Köln und Hamburg, die auch die bürgerliche Mitte verunsicherten, war dieser Kurs nicht durchzuhalten. Lindner sieht die AfD aber nicht als direkte Konkurrenz: „Die Freien Demokraten sind unter allen Parteien der schärfste Kontrast zur AfD“.
Die Kritik am Thüringer AfD-Chef, der dem rechten Flügel der Partei angehört, hielt an. Nach Meinung des Zentralrats der Juden in Deutschland hat die AfD „mit diesen antisemitischen und in höchstem Maße menschenfeindlichen Worten ihr wahres Gesicht“ gezeigt. Die Evangelische Kirche in Deutschland erklärte, sie sei nicht zu offiziellen Gesprächen mit der AfD bereit. „Es gibt bestimmte Haltungen, die mit dem christlichen Glauben nicht vereinbar sind“, sagte der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm in München. Dazu gehörten Rassismus und Antisemitismus.
Das könne man zwar nicht an „den drei Buchstaben A-f-D“ festmachen. Schließlich schlössen sich Menschen auch aus Angst und Protest den Rechtspopulisten an - und die seien mit Gesprächen durchaus erreichbar. Aber: „Da gibt es richtige Nazis in der Partei“, sagte Bedford-Strohm.
Kritik kam erneut auch aus der AfD. Vize-Bundessprecherin Beatrix von Storch sagte der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Donnerstag) Höcke schade der Partei. „Im Wahljahr 2017 muss sich jeder Einzelne fragen, ob er lieber seinem Ego dient oder unserer Partei und unserem Land.“