Mal ist er 38 Zentimeter hoch, mal 55, dann wieder 76 oder gar 96 Zentimeter: der Bahnsteig an Haltestellen der Deutschen Bahn. Dem Bundesverkehrsministerium ist so viel Vielfalt im Verkehr ein Dorn im Auge.
„Da man bei den Bahnsteigen von einer langen Nutzungsdauer nach einem Umbau auszugehen hat“, schrieb Staatssekretär Enak Ferlemann gerade an die Verkehrsbehörden der Länder, „soll für die Bahnsteige der Strecken der Eisenbahnen des Bundes zukünftig noch stringenter die Regelbahnsteighöhe von 0,76 Metern eingehalten werden.“
Doch gegen die Einheitshöhe regt sich Widerstand aus den Ländern. Deren Regionalzüge halten überwiegend an Stationen mit deutlich niedrigeren Bahnsteigkanten. Viele von ihnen sind nur 55 Zentimeter hoch. Zwar können die allermeisten Züge auch an höheren Bahnsteigen halten. Doch oft bieten sie dann keine Barrierefreiheit, sind also etwa für Behinderte oder alte Menschen kaum benutzbar.
Wo der Nahverkehr 2017 teurer wird
Durchschnittliche Preiserhöhung: 1,9 Prozent
Einzelfahrt: 2,90 Euro statt 2,80 Euro (in Frankfurt), 2,80 Euro statt 2,75 Euro (in Wiesbaden und Mainz)
Tageskarte: unverändert
Kinderticket: unverändert
Quelle: Unternehmen
Durchschnittliche Preiserhöhung: 2,3 Prozent
Einzelfahrt und 4er-Ticket: im Kurzstreckenbereich unverändert, ansonsten 10 Cent mehr
Kinderticket: unverändert
Preisstufe C und D: Preise steigen "leicht überdurchschnittlich"
Quelle: Unternehmen
Durchschnittliche Preiserhöhung: 1,9 Prozent
Einzel- und Zeitkarten: Künftig nimmt der Preis sukzessiv mit jedem Kilometer zu. So kosten 15 Kilometer ab Dezember 2016 4,10 Euro - der Preis für 16 Kilometer beträgt weiterhin 4,50 Euro. Bislang zahlten Kunden für 15 Kilometer Fahrtstrecke 3,80 Euro, ab 16 Kilometer waren es 4,50 Euro.
Schöne-Wochenende-Ticket: unverändert
Quer-durchs-Land-Ticket: unverändert
Quelle: Unternehmen
Durchschnittliche Preiserhöhung: 2,9 Prozent
Einzelfahrt: 2,80 Euro statt 2,70 Euro (eine Zone), Kurzstrecke unverändert 1,40 Euro
Tageskarte: je nach Zonen- und Personenanzahl zwischen 2,3 und 3,5 Prozent teurer
Kinderticket: 1,40 Euro statt 1,30 Euro
Quelle: Unternehmen
Durchschnittliche Preiserhöhung: 1,4 Prozent
Quelle: Unternehmen
Durchschnittliche Preiserhöhung: 1,7 Prozent
Einzelfahrt: 2,75 Euro statt 2,70 Euro
4er-Ticket: 2,50 Euro statt 2,45 Euro
Monatskarte: 63,50 statt 62 Euro
Kinderticket: unverändert
Beispielspreise für die Preisstufe I der Stadt Bremen, in anderen Städten variieren die Preise
Quelle: Unternehmen
Durchschnittliche Preiserhöhung: 1,4 Prozent
Kurzstrecke: 1,60 Euro statt 1,50 Euro
Tageskarte: unverändert
Kinderticket: unverändert
Quelle: Unternehmen
Durchschnittliche Preiserhöhung: 0,56 Prozent
Einzelfahrt: 2,80 Euro statt 2,70 Euro (Fahrausweis AB), Kurzstrecke unverändert
Tageskarte ABC: 7,70 Euro statt 7,60 Euro
Beispielpreise für Berlin, Preise können in Brandenburg variieren
Quelle: Unternehmen
Der Einheitsdrang des Bundes sorgt daher bei Thomas Geyer vom Zweckverband Schienenpersonennahverkehr Rheinland-Pfalz Nord für „Unverständnis“. Über die Bahnsteighöhe gebe es „abgestimmte Festlegungen“ mit der Deutschen Bahn, sagt er. Geyer ist Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft Schienenpersonennahverkehr (BAG SPNV) und damit Sprecher aller Organisationen, die den Nahverkehr in Deutschland für 8,5 Milliarden Euro pro Jahr bestellen. „Diese Festlegungen müssen weiter Bestand haben.“
Tatsächlich widerspricht der Bund mit dem Vorstoß gegen das bisherige „Bahnsteighöhenkonzept“ der Deutschen Bahn, das 2011 „verbindlich im DB Regelwerk“ eingeführt wurde, wie es in einem Fachartikel heißt. Zwar definiert das ausgeklügelte Konzept des Staatskonzerns 76 Zentimeter als „Regelhöhe für den Neu- und Umbau“, doch „begründete Abweichungen“ seien zulässig. Dies gelte vor allem dann, wenn durch die 55 Zentimeter „möglichst viele Reisende ein niveaugleicher Einstieg möglich ist“.
Genau das ist der Punkt, auf den Geyer aufmerksam macht. Viele Ländern haben Züge angeschafft, die mit der Bahnsteigkante perfekt korrespondieren. Eine neue Ausrichtung könnte die wirtschaftlichen Planungen der Unternehmen kaputt machen. Außerdem hält auch die Europäische Union Bahnsteige mit einer Höhe von 55 und 76 Zentimeter grundsätzlich für förderungswürdig.
So wird der ÖPNV finanziert
Unterschieden wird dabei grundsätzlich zwischen Schienenpersonennahverkehr (SPNV), also den von den Eisenbahnunternehmen wie der Deutschen Bahn befahrenen Strecken. Und dem Straßenpersonennahverkehr (ÖSPV) zu dem neben den Buslinien auch die Straßen- und U-Bahnen zählen. Die Übersicht zeigt die wichtigsten Bausteine.
Quelle: Arbeitskreis Innovative Verkehrspolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung
Der direkte Beitrag der Bürger ist der größte Baustein bei der Finanzierung des ÖPNV. Das meiste Geld wird dabei direkt über den Fahrkartenverkauf eingenommen. Hinzu kommen Erträge aus Werbe- und Pachteinnahmen. Der so eingenommen Betrag deckt oft aber nicht annähernd die tatsächlichen Kosten.
Viele ÖPNV-Nutzer zahlen für ihre Fahrkarte nicht den vollen Preis. Dazu zählen unter anderem Schüler, Studenten und Besitzer von Sozialtickets. Die Differenz übernimmt die öffentliche Hand.
Zusätzlich zu anderen Subventionen wir der ÖPNV auch steuerrechtlich begünstigt. So entfällt beispielsweise die Umsatzsteuer für Verkehrsverträge. Weil im Querverbund nichtversteuerte Gewinne aus lukrativen kommunalen Versorgungsunternehmen in den defizitären ÖPNV geschoben werden können, sparen die Kommunen so Steuern.
Für den Erhalt und Ausbau des Schienenpersonennahverkehrs ist bislang der Bund in zentraler Verantwortung. Er investiert in die Infrastruktur der Deutschen Bahn. Vielfach müssen sich jedoch auch die Länder und Kommunen an den Ausbaukosten beteiligen.
Das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz war über Jahrzehnte das wichtigste Fördermittel für den öffentlichen Straßenverkehr. Doch es wurde 2006 abgeschafft und durch das Entflechtungsgesetz abgelöst, das seinerseits 2019 ausläuft. Bereits 2014 läuft eine Zweckbindung für den Verkehr in Gemeinden aus.
Seit der Bahnreform haben die Länder die Verkehrsverbünde oder andere Aufgabenträgerorganisationen über Verkehrsverträge mit dem Betrieb des Schienenverkehrs beauftragt. Dafür erhalten die Länder vom Bund über das Regionalisierungsgesetz einen Teil der Mineralölsteuereinnahmen. Dazu kommen noch die Trassenpreise, die die Unternehmen für die Nutzung der Schienen verlangen.
Der ÖPNV auf der Straße, also Busse, Straßen- und U-Bahnen, ist Aufgabe der Kommune. Je nach Finanzsituation der Kommune schwankt auch die Unterstützung und das Angebot.
Nahverkehrsmann Geyer hofft daher auf ein Einlenken des Bundes. Doch sehr groß sind seine Hoffnungen nicht, denn schon in jüngster Vergangenheit hätte es „unsinnige Regelwerksänderungen“ gegeben: So sollen in Zukunft alle Bahnsteige an Strecken, die mit 200 km/h befahren werden können, grundsätzlich mit Bahnsteigen mit einer Höhe von 76 cm ausgestattet werden, „egal welches Fahrzeugmaterial dort eingesetzt wird“, so Geyer. Andere Länder wie Frankreich, Österreich und die Schweiz würden das ganz anders sehen. Sie hielten an einer einheitlich niedrigeren Höhe von 55 Zentimetern fest, so Geyer.
Woher kommt dann also der Regulierungseifer des Bundes? Geyer glaubt, dass der Bund versuche, durch die höheren Bahnsteige „das unberechtigte Queren der Gleise unterbinden zu können“.
Schlichtweg unvernünftig
In der Branche macht aber auch eine Erklärung die Runde: Bahn-Vorstand Ronald Pofalla – ehemaliger Chef des Bundeskanzleramtes und im Rennen um die Nachfolge von Exvorstandschef Rüdiger Grube – habe den Bund zu dem neuen Standard überredet. Für Fahrgäste eines ICEs der Deutschen Bahn sei der Einstieg vom höheren Bahnsteig nämlich bequemer.
Der Konzern bestätigt, dass 76 Zentimeter die optimale Bahnsteighöhe für den ICE seien. Die Fernzüge der Deutschen Bahn halten heute erst zu 70 Prozent an Stationen mit einer Bahnsteighöhe von 76 Zentimetern. Allerdings dementiert die Deutsche Bahn vehement, dass Pofalla seine Hand im Spiel habe. Die Initiative sei allein eine Entscheidung des Bundesverkehrsministeriums gewesen.
Die Deutsche Bahn würde damit auch ihre bisherigen Grundüberzeugungen über Bord werfen. 44 Prozent aller Reisenden steigen jeden Tag an einem Bahnsteig mit einer Höhe von 76 Zentimetern ein und aus. Die Bahnsteighöhe ist die dominierende Größe im deutschen Schienennetz. Für knapp jeden fünften Reisenden sind aber niedrigere Bahnsteige geläufig. Die S-Bahnsysteme nutzen zudem die Sondergröße 96 Zentimeter. Weil mehr als jeder zweite Reisende an einem niedrigeren oder höheren Bahnsteig aussteige, habe sich die Deutsche Bahn bislang gegen die „einheitliche Festlegung der Bahnsteigzielhöhen auf die dominierende Regelhöhe 76 Zentimeter“ ausgesprochen, heißt es in einem Fachartikel, auf den der Konzern verweist.
Wie die Deutsche Bahn 6,3 Milliarden Euro vergeudet
Umwandlung der Bundes- und der Reichsbahn in die Deutsche Bahn AG mit den Töchtern Fernverkehr, Regionalverkehr, Güterverkehr, Bahnhöfe und Netz.
Hartmut Mehdorn wird neuer Bahn-Chef.
Übernahme von Stinnes Logistik mit der Spedition Schenker. (Kosten: 2,5 Milliarden Euro)
Übernahme des US-Logistikdienstleisters Bax Global. (Kosten: Eine Milliarde Euro)
Ausgliederung des Beförderungs- und Transportgeschäfts in die DB Mobility Logistics AG mit dem Ziel des Börsengangs (wegen der Finanzkrise abgeblasen).
Rüdiger Grube wird neuer Bahn-Chef.
Übernahme des britischen Nahverkehrsanbieters Arriva. (Kosten: 2,8 Milliarden Euro)
Endgültiger Abschied vom Börsengang.
Schenker und Arriva sollen - zunächst in Teilen - wieder verkauft werden.
Der Höhenunterschied hat sich vor allem historisch so ergeben. Zu Beginn des Eisenbahnzeitalters baute man 38 Zentimeter hohe Bahnsteige. Vor allem in Ost-Deutschland hat der Staat in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg 55 Zentimeter hohe Bahnsteige gebaut, da die Deutsche Reichsbahn zuletzt Doppelstockwagen mit Niederflureinstieg eingesetzt hat. Grundsätzlich sind sich die Beteiligten zwar einig, dass eine Harmonisierung anzustreben sei, aber der Druck aus dem Bundesverkehrsministerium macht nun viele Nahverkehrsbehörden in den Ländern nervös.
Problematisch an den 76 Zentimetern ist aus Sicht der Nahverkehrsorganisationen nämlich auch die Tatsache, dass höhere Bahnsteige manchmal schlichtweg unvernünftig sind. So erfordert der Ansturm von Reisenden auf bestimmten Strecken den Kauf von Doppelstückzügen. Denn nur die können „die hohe Kapazitätsnachfrage“ gut bewältigen. Doch die sind ausgerichtet auf den stufenfreien Einstieg bei 55 Zentimetern.