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Quelle: REUTERS

Greenwashing-Vorwürfe: ESG ist das Dieselgate der Fonds und Banken

Hauke Reimer
Hauke Reimer Stellvertretender Chefredakteur WirtschaftsWoche

Mit Putins Angriff auf die Ukraine wurde das Konzept zur Bewertung nachhaltiger Anlagen demaskiert: als schwerfällig, willkürlich, realitätsfern.

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Die Finanzbranche schlittert in eine Vertrauenskrise, vergleichbar mit dem Dieselgate der Autoindustrie – so wie von Starfondsmanager Bert Flossbach schon vor drei Jahren befürchtet. Es geht um ESG, das System, das klären soll, wie ökologisch (environmental), sozial (social) und führungstechnisch fortschrittlich (governance) ein Konzern oder Staat ist. Das Problem reicht weit hinaus über Greenwashing, jenen Vorwurf, dass schmutzige Finanzprodukte einfach als sauber deklariert werden – weswegen die Deutsche-Bank-Tochter DWS und andere jetzt Ärger mit der Aufsicht haben.

Auch wenn nicht betrogen wurde, können Anleger nicht darauf vertrauen, dass ein Rating tatsächlich die Nachhaltigkeit eines Investments abbildet. Erschreckend klar wurde dies nach Russlands Angriff auf die Ukraine. Bis zum 24. Februar schienen die ESG-Agenturen bei Wladimir Putin, der die Krim annektiert und Oppositionelle umgebracht hatte, beide Augen zuzudrücken. Das Gleiche gilt für russische Rohstoffkonzerne. ESG-Anbieter MSCI etwa hatte an Russland die mittelprächtige Note BBB vergeben, so wie an den braven Autozulieferer Continental. Putin konnte sogar grüne Bonds ausgeben. Vier Tage nachdem seine Panzer über die Grenze gerollt waren, rutschte Russland auf B, die Stufe von VW, erst eine Woche später dann die schlechteste Note.

Für ihre Ethikratings haben die Anbieter komplexe Punktsysteme ersonnen. In sich mögen die stimmig sein. Nur: Wann immer versucht wird, die von unzähligen Faktoren bestimmte Realität in Modelle zu quetschen, kommt es zu absurden Ergebnissen. Gazprom (bis März noch BB, wie Bayer) fand sich deshalb in Ökofonds. Und Elon Musk versteht nicht, warum sein E-Auto-Bauer Tesla heruntergestuft wurde. Was wiegt schwerer? Teslas CO2-Bilanz oder dass im Board Musks Bruder und nur eine Frau sitzen? Wo beginnt Willkür, wie wichtig ist Political Correctness?

Für Willkür spricht, dass die Modelle, wenn die Welt sich ändert, auch gedreht werden: Rüstungsaktien, gerade noch passé, werden wieder geduldet, ebenso Ölwerte, sogar Kohle: Man braucht sie leider. Die Ratinganbieter sind oft die gleichen, die vor 2008 auf Schrottpapiere AAA-Siegel pappten. In der Finanzkrise erwiesen sich die Papiere als wertlos. Wer hofft, alles werde besser, wenn Politiker Nachhaltigkeit definieren, wird enttäuscht: Das EU-Regelwerk, die Taxonomie, ist ein von widerstreitenden nationalen Interessen geprägtes Bürokratiemonster. Es hilft nichts: Was ethisch vertretbar ist, muss jeder selbst entscheiden – kein Rating nimmt ihm das ab.

Lesen Sie auch: Wie ESG-konform sind die Fonds der DWS wirklich?

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