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Quelle: AP

Olaf Scholz hat die Zinswende verschlumpft

Hauke Reimer
Hauke Reimer Stellvertretender Chefredakteur WirtschaftsWoche

Was jeder Bauherr hinbekommt, hat der Kanzler als Finanzminister nicht geschafft: günstige Kreditzinsen für längere Zeit festzumachen.

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Es ist eine dreiste Verdrehung: Die Europäische Zentralbank (EZB) müsse eingreifen, wenn Renditen von Staatsanleihen sich von den „Fundamentaldaten“ entfernen, sagt EZB-Vizepräsident Luis de Guindos. Als habe nicht gerade die EZB über Jahre die Renditen der Anleihen hoch verschuldeter Staaten gedrückt, weg von fundamentalen Daten, die normalerweise den Zins bestimmen: Staatsverschuldung und das Risiko einer Staatspleite. Mit einem obskuren „Anti-Fragmentierungs-Instrument“ will die EZB jetzt Bundesanleihen gegen solche der Mittelmeerstaaten austauschen. Damit wird sie die Zinsen, die Finanzminister Christian Lindner für deutsche Staatsschulden bezahlen muss, höher schrauben, als fundamental angemessen wäre.

So verzerrt sie den Markt, verschleppt den Kampf gegen Inflation und belastet den Bundeshaushalt. Neue Schulden werden teurer, kosten Milliarden, die an anderer Stelle fehlen – und das in Zeiten, in denen in der Ampel kaum Sparwille erkennbar ist. So wie die Bundesregierung es versäumt hat, mit einem ausgewogenen Mix der Energiequellen die Versorgung zu sichern, hat sie bei den Staatsschulden geschlampt: Der Bund hat die Jahre, in denen er Geld obendrauf bekam, wenn er Schuldpapiere verkaufte, nicht genutzt, sich günstige Zinsen für lange zu sichern.

Der damalige Finanzminister Olaf Scholz handelte wie ein Hauskäufer, der vor Kurzem noch einen 20-Jahres-Kredit für 1,2 Prozent hätte festmachen können, aber lieber für fünf Jahre zu 0,8 Prozent abschloss. Heute müsste der Hausbesitzer das Dreifache zahlen. Der Bund verkürzte die Kreditlaufzeit sogar noch: Ende 2021 lag sie im Schnitt bei nur sechs Jahren. Kein Fünftel der enormen Schulden der Coronajahre wurde über zehn oder mehr Jahre finanziert.

Scholz war fein raus: Die Zinsausgaben viertelten sich, zudem konnte der Bund Aufgeld kassieren, wenn er Papiere zu Kursen über 100 Prozent ausgab. Zwölf Milliarden Euro kamen so allein 2020 zusammen. Den Stress hat jetzt Lindner, der auslaufende günstige Anleihen durch teuer verzinste ersetzen muss. Andere waren klüger, haben den Niedrigzins genutzt, um Schulden zu strecken: Großbritannien liegt heute bei über 14 Jahren Restlaufzeit, die Schweiz bei zehn Jahren, Spanien und Frankreich verlängerten auf acht, Italien auf gut sieben Jahre.

Zinsen vorhersagen kann niemand, aber Risiken streuen – und das hat Scholz versäumt. Kluge Haushaltspolitik sieht anders aus.

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