Und ein europäischer Mindestlohn wäre die Lösung?
Ein Mindestlohn von zehn Euro in Deutschland würde zumindest etwas ausgleichen. Auf europäischer Ebene wäre ein genereller Mindestlohn in Höhe von 60 Prozent des Durchschnittslohns sinnvoll. Höhere Löhne in Deutschland hätten auch einen weiteren Vorteil.
Nämlich?
Zum einen würde endlich auch wieder der Wohlstand derer steigen, die den ganzen Reichtum erarbeiten. Zugleich würden dann auch wieder mehr Produkte nachgefragt, damit stiegen auch die Importe und das würde die Exportüberschüsse reduzieren. Ein Land, das es nicht schafft, die Exportüberschüsse auszugleichen, also die Binnennachfrage so zu steigern, dass die Handelsbilanz nicht extrem überschüssig ist, macht genauso viel falsch wie eins, das ständig Defizite aufweist.
Die schwedischen Linken fordern eine maximale Arbeitszeit von sechs Stunden pro Tag. Sind Sie dafür?
Wir hatten ja schon mal in einigen Branchen eine 35-Stunden-Woche, so absurd ist der Vorschlag gar nicht. Kurzfristig ist das sicher nicht umsetzbar, aber natürlich sollten wir Arbeit besser verteilen. Im Durchschnitt, wenn wir die geleisteten Arbeitsstunden durch die Zahl der Erwerbstätigen teilen, haben wir aktuell in Deutschland die 30-Stunden-Woche. Die Arbeit ist nur sehr ungleich verteilt. Einige arbeiten sich kaputt, andere können von ihrem Mini-Job nicht leben. Das sollte man ändern.
In der Theorie hört sich das gut an. Aber in der Realität sind Leute unterschiedlich qualifiziert.
Dann muss man mehr qualifizierte Leute ausbilden. Auch ein Spitzenchirurg, der zu viele OPs am Tag macht, bekommt irgendwann zittrige Hände.
Also in Zukunft nur noch 30 Stunden pro Woche? Ich wäre schon froh, wenn der Trend zu immer längeren Arbeitszeiten und ständiger Verfügbarkeit gestoppt würde. Und es umgekehrt auch nicht mehr so viele unfreiwillige Teilzeit- und Mini-Jobs gäbe. Jeder sollte die Chance auf einen Vollzeitjob haben, von dem er gut leben kann und der noch genügend Raum für Familie und Privatleben lässt.
Am 25. Mai ist Europawahl. Fühlen Sie sich eigentlich als Deutsche oder Europäerin?
Das kann man doch gar nicht trennen. Ich liebe Goethe genauso wie Balzac oder Tolstoi. Ich wohne fünf Minuten von der französischen Grenze entfernt. Mein Baguette hole ich mir oft in Frankreich. Heute wenden sich allerdings viele Menschen von Europa ab, weil sie die Brüsseler Institutionen mit Lobbyismus und Interessenpolitik zugunsten von Banken und Konzernen verbinden. Weil sie immer wieder erleben, dass Entscheidungen der europäischen Ebene für sie Verschlechterungen ihres Lebensstandards bedeuten. Europa war schon einmal sehr viel geeinter. Heute ist es tief gespalten, und die Ablehnung wächst.
Für Sie ist das Schlimmste der Euro-Krise noch nicht vorbei?
Natürlich nicht. Es wurde doch keine der Ursachen behoben. Man hat nur mit viel Geld Zeit gekauft und den Banken und Hedgefonds unter die Arme gegriffen. Griechenland und Portugal konnten doch nur deshalb wieder Staatsanleihen emittieren, weil die geballte Macht der Rettungspakete dahinter steht. Dazu gibt es das Versprechen von Herrn Draghi, die Kurse zu sichern. Aber realwirtschaftlich geht es den Ländern unverändert miserabel, die Arbeitslosigkeit ist hoch, da gibt es keinen Aufschwung…
Griechenland wächst wieder….
Um 0,6 Prozent. Nach einem Einbruch von 30 Prozent der Wirtschaftsleistung!
Italien hat gut 20 Prozent seiner Industrieproduktion verloren und ist heute auf dem Niveau der Achtzigerjahre. Solange die Politik der Austerität und der brachialen Kürzungsprogramme fortgesetzt wird, kann sich die Situation auch nicht verbessern. Die Ungleichgewichte sind heute eher noch größer als zu Beginn der Krise. Und die Staatsschulden auch.
Und Eurobonds wären eine Lösung?
Nein. Die EZB sollte die Staaten in einem begrenzten Maße direkt finanzieren, statt die Banken mit billigem Geld zu mästen.
Das heißt, die EZB darf die Notenpresse anschmeißen?
Die läuft doch längst auf Hochtouren. Wenn man den Staaten das Geld direkt gibt, brauch man viel weniger. Die Staatsfinanzierung sollte von den Launen der Kapitalmärkte unabhängig werden. Deshalb sehen wir auch Eurobonds kritisch. Zum einen ist eine Haftungsunion ohne Aufgabe der nationalen Haushaltssouveränität kaum machbar. Damit würde aber ein Kernelement der Demokratie verloren gehen. Außerdem kann man auch Eurobonds nur über das Kartell der Investmentbanken platzieren, die damit die Macht über den Ausgabekurs haben. Ich finde Instrumente wie die früheren Bundesschatzbriefe viel sinnvoller, also Papiere, in die Sparer direkt investieren und die nie Gefahr laufen, Spielball der Spekulation zu werden.