SPD-Kandidat greift Merkel an Steinbrück fordert „Beinfreiheit“ für den Nahkampf

Er ist der Außenseiter, aber er geht aufs Ganze: Steinbrück will als Kanzlerkandidat Schwarz-gelb aus dem Sattel heben und mit Rot-grün eine Wende der Politik herbeiführen. Die Themen dafür hat er bereits identifiziert.

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Wenn Peer Steinbrück Klartext spricht
Die Grünen stoßen mit ihrer Idee eines fleischlosen Tags in den Kantinen auf Widerspruch. Auch SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hatte sich im Zuge eines Wahlkampfauftritts im BR-Fernsehen von seinem Wunschpartner Grüne mit dem ironischen Satz distanziert: "Die haben noch nicht mitgekriegt, dass es jetzt um die Wurst geht." Quelle: dpa
Zurück aus dem Urlaub gab Steinbrück der „Süddeutschen Zeitung“ Mitte August 2012 ein ausführliches Interview. Thema Nummer 1 war selbstverständlich die Euro-Krise. Zu dem Vorstoß von SPD-Chef Sigmar Gabriel, dass die Euro-Länder auf längere Sicht gemeinsam für ihre Schulden haften sollten, sagte Steinbrück: „Wenn Europa die richtige Antwort auf die Katastrophen des 20. Jahrhunderts ist, und wenn Europa die richtige Antworten auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts ist, dann wird sich dieses Europa einig aufstellen müssen.“ Quelle: rtr
Wenig später greift Steinbrück in dem Interview die Regierungskoalition an: „Wir sind im Zeitalter der Rettungsschirme längst in einer Haftungsgemeinschaft, an der die verbalen Kraftprotze von Union und Liberalen mitgewirkt haben. Umso dümmlicher sind die Vorwürfe von FDP und CSU, die SPD plädiere für einen ,Schuldensozialismus’.“ Quelle: dapd
Mit seinen 65 Lenzen sieht Peer Steinbrück in seinem Alter kein Hindernis für eine Kanzlerkandidatur. „Erfahrung und ein gutes Rüstzeug sind vielleicht mehr denn je nachgefragte Qualitäten. Offensichtlich erscheine ich vielen noch nicht als politisches Auslaufmodell“, sagte er Ende Juli der Zeitung „Bild am Sonntag“. Quelle: rtr
Auf dem SPD-Parteitag in Berlin Äußerte sich Peer Steinbrück zu den Steuersenkungsplänen der schwarz-gelben Regierung: „Diese sind nichts anderes als ein Pausentee für die FDP auf der Wegstrecke zur nächsten Wahl – manche sagen Abführtee. Ich nehme an, dass sich Wolfgang Schäuble jeden Tag in der Adventszeit eine, vielleicht zwei Kerzen ins Fenster stellt, damit die SPD im Bundesrat diesen Schwachsinn verhindert“. Quelle: rtr
Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach Steinbrück ab, die europäische Geschichte zu verstehen. Sie habe keinen Zugang zur „europäischen Story“, sagte er auf dem Parteitag im Dezember 2011 in Berlin. Mit Blick auf Merkels Studium ätzte er: „Europa ist nicht Physik“. Quelle: rtr
Steinbrück über die FDP und ihren neuen Vorsitzenden Philipp Rösler ("Bild" vom 26.09.2011): "Eine Primanerriege, Leichtgewichte wohin man blickt. Bei manchem Interview von FDP-Chef Rösler denke ich: Das ist eine alte Loriot-Aufnahme. Diese Unbedarftheit und Naivität – Entschuldigung, wir reden hier vom deutschen Wirtschaftsminister und Vizekanzler." Quelle: rtr

Erst am Montag wird Peer Steinbrück formell zum Kanzlerkandidaten der SPD gekürt, doch gleich nach seiner verfrühten Kür am Freitag startete der Ex-Finanzminister in den Wahlkampf. Aber bevor er Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) aus dem Sattel stoßen kann muss er die eigene Partei hinter sich bekommen. Verklausuliert, aber unmissverständlich forderte Steinbrück beim Parteitag der NRW-SPD in Münster daher die Richtlinienkompetenz ein: "Das Programm muss zum Kandidaten passen, der Kandidat zum Programm. Ihr müsst dem Kandidaten an der einen oder anderen Stelle auch etwas Beinfreiheit einräumen."

Beim linken SPD-Parteiflügel traf Steinbrück, der die ungeliebte Rente mit 67 als Minister durchgedrückt hat, jedoch nach wir vor auf große Skepsis. In Münster mahnte er daher zu Geschlossenheit im Wahlkampf. "Ich werbe für euer Vertrauen, meines habt ihr", sagte er. Um Kanzler werden zu können, müsse er nicht nur die 500.000 SPD-Mitglieder überzeugen, sondern auch 62 Millionen Wähler erreichen.

Die Eckpunkte des SPD-Rentenkonzepts

Der Parteivorstand kommt am Montag zusammen, um den 65-jährigen Ex-Finanzminister auf Vorschlag von Parteichef Sigmar Gabriel als Herausforderer von Merkel bei der Bundestagswahl 2013 zu nominieren. Als Wahlziel gab Steinbrück bei seiner Rede in Münster eine rot-grüne Koalition aus; "Wir setzen eindeutig auf Sieg und nicht auf Platz." Ein Bündnis mit der Linkspartei oder mit den Piraten schloss er definitiv aus. Eine große Koalition schloss er nicht aus - allerdings nicht mit ihm selbst: für ein Ministeramt unter Merkel stehe er nicht zur Verfügung.

Wie das Einkommen das Wahlverhalten bestimmt
Die Anhänger dieser Partei würde wahrscheinlich diese Wahlkabinen nicht betreten - es ist die Partei der Nichtwähler. 18,5 Prozent der Nichtwähler verdienen weniger als 1.000 Euro pro Monat. Auch in der Einkommensgruppen über 2.500 pro Monat finden sich immer noch 26 Prozent der Nichtwählerpartei.Quelle: Abteilung Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie der Universität Leipzig Quelle: REUTERS
Die Linkspartei kommt nicht richtig bei den Armen an. Lediglich 6,8 Prozent ihrer Wähler verdienen weniger als 1.000 Euro - 30,8 Prozent der Linke-Wähler stehen hingegen mehr als 2.500 Euro zur Verfügung. Quelle: dpa
Anders als die Vermutung nahe legt, befindet sich auch die SPD bei den Personen, die weniger als 1.000 Euro verdient, klar in der Minderheit. Nur 6,1 Prozent der SPD-Wähler kommen aus dieser Schicht, während bei den Personen mit einem Einkommen von mehr als 2.500 Euro bereits 31,3-Prozent der Wähler stammt. Quelle: AP
Die Piratenpartei hat eine breite Basis an Anhängern. Sie überholt alle etablierten Parteien im Spektrum der Personen, die weniger als 1.000 Euro verdienen: Sie finden hier 10,8 Prozent ihrer Wähler. Und bei den großen Einkommen über 2.500 Euro vereinen die Freibeuter gleich 31,8 Prozent ihrer Wählerschaft. Quelle: dpa
Untentschlossene Wähler stammen zu 32,9 Prozent aus der Einkommensgruppe über 2.500 Euro. Sie sind auch in der Gruppe unter 1.000 Euro mit 11,4 Prozent vertreten. Quelle: ZB
31,8 Prozent der Wähler, die ihr Stimme der CDU/CSU geben, verdienen mehr als 2.500 Prozent. In der Einkommensgruppe von unter 1.000 Euro sind lediglich nur 5,7 Prozent der Wähler. Quelle: dpa/dpaweb
Gut in den allen Einkommensgruppen vertreten: Die Rechtsparteien. 15,8 Prozent ihrer Wähler verdienen weniger als 1.000 Euro; 35 Prozent mehr als 2.500 Euro. Quelle: dapd

Allerdings gibt es für eine rot-grüne Koalition nach den aktuellen Umfragen derzeit ebenso wenig eine Mehrheit wie für eine Wiederauflage von Schwarz-Gelb. Im Emnid-Sonntagstrend für "Bild am Sonntag" trennen SPD (27 Prozent) und Union (37 Prozent) zehn Prozentpunkte. Rot-Grün käme zusammen nur auf 40 Prozent; die aktuelle Regierungskoalition trotz der Schwäche der FDP (fünf Prozent) hingegen auf 42 Prozent. Die Linkspartei erreicht demnach acht Prozent, die Piraten sechs.

Steinbrücks Positionen

Bei diesen Zahlen bleibt einem Kanzler Steinbrück nur eine einzige Möglichkeit: Eine Ampelkoalition aus SPD, FDP und Grünen. Genau das brachte der Schleswig-Holsteiner Wolfgang Kubicki (FDP), ein Studienkollege von Steinbrück, am Wochenende ins Gespräch.

„Die schlechteste Regierung seit 1949“

Die größten europäischen Banken
Banco Santander Quelle: REUTERS
UBS Quelle: REUTERS
Lloyds Banking Quelle: dapd
ING Quelle: dapd
Société Générale Quelle: dpa
Royal Bank of Scotland Quelle: dapd
Crédit Agricole Quelle: dpa

Bei seinem ersten Wahlkampfauftritt nach der Entscheidung der Troika für die Kanzlerkandidatur zeigte sich Steinbrück in Münster kämpferisch und rief zur Geschlossenheit auf: "Diese Bundestagswahl ist nur durch die Mobilisierung der Anhänger zu gewinnen." Großen Beifall erhielt er vor allem dann, wenn er die Bundesregierung frontal angriff. "Schwarz-Gelb kann nicht regieren - so einfach ist das. Die Vorstellung ist die schlechteste eines Bundeskabinetts seit 1949", klagte er. "Es wird diese Bundesregierung in zwölf Monaten nicht mehr geben."

Steinbrücks Vorschläge zur Bändigung der Finanzmärkte (2012)

In der Euro-Krise attackierte Steinbrück Kanzlerin Merkel. Sie müsse den Deutschen "endlich die Wahrheit sagen", sagte Steinbrück der "Welt am Sonntag". Griechenland werde sich noch sieben bis acht Jahre lang kein Geld am Kapitalmarkt leihen könne. "So lange werden wir helfen müssen."

Die Griechen müssten zu ihren Verpflichtungen stehen, "aber wir sollten ihnen mehr Zeit geben", verlangte Steinbrück. Er schloss nicht aus, einem weiteren Hilfspaket zuzustimmen: "Ob die SPD im Bundestag einem dritten Hilfspaket für Athen zustimmen würde, kommt auf die Bedingungen an."

Strikt wandte sich Merkels Herausforderer gegen einen Euro-Austritt Athens: "Wir sollten allen, die martialisch den Rauswurf Griechenlands aus der Euro-Zone fordern, deutlich sagen: Ihr wisst nicht, wovon ihr redet! Die politischen und ökonomischen Erschütterungen wären verheerend."
Mit seinen Griechenland-Ideen löste Steinbrück sofort Widerspruch aus. Unions-Chefhaushälter Norbert Barthle kritisierte, schon jetzt über ein drittes Hilfsprogramm für Griechenland zu reden. Aber auch der Ökonomund IMK-Chef Gustav Horn kritisierte Steinbrück: "Er hat noch nicht die grundlegende Funktion von Zentralbanken auch für die Rettung Griechenlands verstanden. Nur wenn die EZB die Zinsen für Griechenland und die anderen Krisenländern niedrig hält, haben diese und der Euro insgesamt eine Chance gegen die Panik -und Spekulationswellen der Finanzmärkte" schreibt Horn auf seiner Facebook-Pinwand.

Für gesetzlichen Mindestlohn und gleiche Bezahlung

Germany's former Finance Minister Peer Steinbrueck Quelle: REUTERS

Für Deutschland forderte Steinbrück einen gesetzlichen Mindestlohn und eine gleiche Bezahlung von Stammbelegschaft und Leiharbeitern sowie von Frauen und Männern.

Zusammen mit Steinbrücks formeller Nominierung will Parteichef Sigmar Gabriel am Montag auch einen Vorschlag machen, wie der Streit über eine Absenkung des Rentenniveaus auf 43 Prozent gelöst werden kann. Vertreter der Parteilinken wie Hessens SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel mahnten dazu, sich Zeit zu nehmen. Es müsse nicht schon am Montag eine Entscheidung fallen, sagte er der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Mehrere SPD-Linke verlangen ein Einfrieren des Rentenniveaus bei derzeit etwa 50 Prozent.

Reaktionen auf die Nominierung Steinbrücks

Der im Seeheimer Kreis organisierte rechte Flügel der SPD mahnte beim Rentenniveau zur Gelassenheit. "Schwerpunktmäßig muss man sich darum kümmern, dass die Renten für den einzelnen höher sind", sagte Seeheimer-Sprecher Johannes Kahrs zu Reuters. "Die Frage, ob man 43 oder 45 Prozent von viel hat oder 50 Prozent von wenig, ist nicht der Maßstab."

Kahrs zeigte sich überzeugt, dass Steinbrück keinen Flügelstreit in der Partei befürchten muss: "Er ist in der Lage, sehr vernünftig mit der Parteilinken zusammenzuarbeiten und auch Dinge mit denen zu erarbeiten, in denen die Linke schwerpunktmäßig kompetent ist." Schäfer-Gümbel verwies darauf, dass Steinbrück auf allen Feldern Initiativen anstoßen könne. Entschieden werde aber in den Parteigremien.

Der SPD-Kanzlerkandidat bedauerte auch sein Verhalten in der sogenannten Schach-Affäre. Steinbrück hatte 2006 als Finanzminister bei mehreren bundeseigenen Firmen um Millionenspenden für ein privates Schachturnier geworben. "Damals habe ich das nicht als ehrenrührig oder dubios empfunden.

Aus heutiger Sicht ist für mich klar: Ich würde es nicht wieder machen", sagte er der "Welt am Sonntag". Bei ihm habe das allerdings nichts mit Vorteilsgewährung oder Vorteilsannahme zu tun gehabt.

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