Staatsverschuldung Warnung vor teuren Wahlversprechen

Der Staat sitzt auf einem Schuldenberg von 6,8 Billionen Euro, wenn man zur Staatsschuld auch die Leistungsversprechen der Sozialkassen addiert. Die Stiftung Marktwirtschaft warnt deshalb vor teuren Wahlgeschenken.

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Künftigen Generationen drohen hohe Mehrbelastungen. Quelle: dpa

Berlin Die Stiftung Marktwirtschaft warnt die politischen Parteien vor teuren Wahlversprechen, die künftige Generationen bezahlen müssten. So sei etwa die „doppelte Haltelinie“ bei Rentenniveau und -beitragssatz „lediglich eine populistische Idee, aber keine realistische Alternative“, sagte der Freiburger Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen, der im Vorstand der Stiftung sitzt, bei der Vorstellung seiner neuen „Generationenbilanz“. Allein das Rentenniveau auf dem heutigen Stand von 47,9 Prozent des Durchschnittseinkommens zu stabilisieren, würde zu langfristigen Mehrkosten von 1,6 Billionen Euro führen.

Raffelhüschen ist Direktor des Forschungszentrums Generationenverträge der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, das in regelmäßigen Abständen eine Generationenbilanz über das Schuldenrisiko des Staates vorlegt. Berücksichtigt wird dabei nicht nur die „explizite“, also offiziell ausgewiesene Staatsschuld von 71 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP).

Die Forscher beziehen vielmehr auch die „implizite“ oder versteckte Staatsverschuldung ein. Darunter verstehen sie alle staatlichen Leistungsversprechen, insbesondere der Sozialversicherungen, die durch das heutige Steuer- und Abgabenniveau noch nicht gedeckt sind. Sie belaufen sich derzeit auf 153 Prozent der Wirtschaftsleistung des zugrunde gelegten Basisjahres 2015 oder umgerechnet 4,6 Billionen Euro. Die offen ausgewiesene Staatsverschuldung macht also nur rund ein Drittel der gesamten „ehrlichen“ Schuldenlast aus.

Addiert man die „implizite“ und die „explizite“ Staatsschuld, ergibt sich somit eine „Nachhaltigkeitslücke“ von 224 Prozent des BIP. Das entspricht im zugrunde gelegten Basisjahr 6,8 Billionen Euro. Gemessen an der Wirtschaftsleistung ist die Lücke damit gegenüber dem Vorjahr leicht um sieben Prozentpunkte gesunken. Dies ist aus Sicht der Stiftung Marktwirtschaft durchaus erfreulich. Doch hätte der Schuldenabbau noch deutlicher ausfallen können, „wenn die hohen Steuer- und Beitragseinnahmen die Politik nicht zum Nichtstun ermuntert hätten“, kritisiert sie.

Wollte die Regierung die Finanzierung aller schon heute für die Zukunft gegebenen Leistungsversprechen sicher stellen, müsste sie entweder die Steuern und Sozialabgaben um 10,2 Prozent erhöhen oder die staatlichen Leistungen um 8,7 Prozent kürzen, haben Raffelhüschen und seine Forscherkollegen ausgerechnet.

Für das Wahljahr erwarten sie nun erst recht keine Trendwende beim Marsch in den Schuldenstaat. Die Freiburger Wissenschaftler haben errechnet, wie Wahlversprechen der Parteien künftige Generationen belasten würden. Eine absehbare Zinswende der Europäischen Zentralbank (EZB) könnte die Schuldenlast noch zusätzlich erhöhen.

Bei konstantem Beitragssatz von 18,7 Prozent würde eine Stabilisierung des Rentenniveaus auf dem heutigen Stand zukünftige Generationen mit zusätzlich 1,6 Billionen Euro belasten. Soll das Niveau gar – wie von der Linkspartei gefordert – auf 53 Prozent angehoben werden, entstünden langfristige Belastungen von bis zu 3,2 Billionen Euro.


Plädoyer für höheres Rentenalter

Wenn überhaupt, ließen sich zusätzliche Rentenversprechen nur mit einer Anhebung des Renteneintrittsalters finanzieren, ist die Stiftung überzeugt. Nach Raffelhüschens Berechnungen würde die „Nachhaltigkeitslücke“ auf knapp 208 Prozent des BIP sinken, wenn das Rentenalter ab 2030 schrittweise um einen Monat pro Jahr von 67 auf 70 Jahre erhöht wird.  In diesem Szenario würde der Rentenbeitrag bis 2054 auf 25 Prozent steigen, um dann bis 2080 auf 23,8 Prozent abzusinken. Das Rentenniveau würde bis 2060 auf 38,3 Prozent fallen und danach wieder auf 39,3 Prozent ansteigen.   

Nicht ganz so skeptisch wie den Rentenversprechen steht Raffelhüschen Plänen gegenüber, die Steuern zu senken und die Investitionen zu erhöhen: „Diese würden zwar isoliert betrachtet die Nachhaltigkeitslücke erhöhen, gingen aber mit positiven Leistungsanreizen einher und könnten bei intelligenter Ausgestaltung Wachstumseffekte generieren und den Wohlstand erhöhen.“ Steuersenkungen von 15 Milliarden Euro, wie sie die Union anpeilt, würden nachfolgende Generationen mit 660 Milliarden Euro belasten.

Allerdings seien mögliche positive Wachstumsimpulse durch die Steuersenkung hier nicht berücksichtigt, da sie nur schwer zu prognostizieren seien, räumen die Forscher ein. Ähnlich stark wie bei einer Steuersenkung um 15 Milliarden Euro würde die Nachhaltigkeitslücke wachsen, wenn der Bund seine Investitionsquote von heute 2,1 auf 2,5 Prozent des BIP erhöht.

Der Schuldenberg würde auch weiter wachsen, sollte die EZB die Zinswende einleiten. Sollte der Bund künftig wieder gut 14 Prozent seines Haushalts für Schuldzinsen aufbringen müssen – so wie in den Jahren vor der Finanzkrise – ist mit Mehrkosten von bis zu 1,4 Billionen Euro zu rechnen.

Die durch Spenden und Mitgliedbeiträge finanzierte Stiftung Marktwirtschaft setzt sich nach eigenen Angaben für eine Renaissance ordnungspolitischen Denkens in Deutschland und Europa ein. Ziele sind mehr Markt, mehr Eigeninitiative und mehr Freiheit im Wirtschaftsleben.  Das Instrument der Generationenbilanz ist nicht unumstritten. So erben nachrückende Generationen ja nicht nur einen Berg an Schulden, sondern auch einen Berg an öffentlichem Sach- und Humankapital wie zum Beispiel die Bildungs-, Gebäude-, Versorgungs- oder Verkehrsinfrastruktur. Diese Vermögenswerte sind den Schulden in einer gesamten Generationenbilanz gegenüberzustellen.

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