Stephans Spitzen

Die Lust des Westens an der Unterwerfung

Seite 2/2

Vorzug der Unterwerfung

Brillant ausgedacht. „Antiislamisch“ ist daran rein gar nichts. Denn Houellebecq karikiert nicht vor allem einen Islam, der endlich klug geworden wäre und nicht mit Gewalt, sondern sanfter Überredung siegt. Vor allem porträtiert er eine ermüdete und erschöpfte Gesellschaft, die den Vorzug der Unterwerfung entdeckt: endlich nicht mehr selbst denken, endlich nicht mehr selbst entscheiden müssen. Frauen wird der Spagat zwischen Kindern, Küche und Karriere erspart. Männer dürfen endlich wieder Patriarch sein.

Für den Helden der Geschichte, einen Beziehungsflüchtigen, der das Ersterben der Sexualität in der Zweisamkeit fürchtet, die ideale Lösung. Die ideale Lösung, möchte man meinen, für alle erbärmlichen Wichte, die sich an antisemitischen Ausbrüchen von Muslimen nicht stören und denen Freiheitsrechte etwa der Frauen und Homosexuellen nur dann wichtig sind, wenn der Zeitgeist es will. Die fallen bereitwillig um, wenn der Wind sich dreht.

"Unterwerfung" ist Literatur

Klar, „Unterwerfung“ ist Literatur, auch wenn der Roman streckenweise im Gewand eines politisch-philosophischen Essays daherkommt, was deutschen Lesern, die mit den französischen Debatten nicht vertraut sind, die Lektüre erschweren könnte. Bis auf ein paar „Stellen“ ist das Buch auch nicht sonderlich pornografisch. Wer schamrot bei der Lektüre werden könnte, ist der abgeklärte Metropolenbewohner, egal ob männlich oder weiblich, der schon bei dem Vorschlag einer Debatte über deutsche „Leitkultur“ gewohnheitsmäßig abwinkt.

Doch wer weder Religion noch Familie oder „Sippe“ (wozu Houellebecqs Held die Juden beglückwünscht) hat und vor allem keine Werte kennt, die verteidigungswürdig sein könnten, ist allen Ideologien und Ideologemen unterlegen – und schneller, als man denkt, erlegen. Das Versprechen, die Leere zu füllen, kann von allen Seiten kommen, so wie auch der Säbelzahntiger in der menschlichen Geschichte seine Opfer nicht immer von rechts anspringt.

Persiflage auf eine intellektuelle Kultur, der alles gleich und gleichgültig ist

Noch am ehesten darf sich eine Linke kritisiert fühlen, die derart auf ihr antifaschistisches Muster fixiert ist – der Feind steht stets rechts und im Zweifelsfall im Westen –, dass sie andere Gefahren nicht mehr erkennt. Der Filmemacher Samuel Schirmbeck beschrieb diese „Frankfurter Nordend-Linke“ in einem ebenso wütenden wie tieftraurigen Essay am Montag in der FAZ und attestiert ihr klammheimliche Freude an der „rasenden Regression des Islam“. Ich erinnere mich noch gut an Debatten in der linken Szene in Frankfurt nach dem Sturz des Schah in Persien: manch eine fand sogar Geschmack an der Burka als Gegengift zu Konsumismus und Konkurrenz unter Frauen.

Was lehrt uns das? „Unterwerfung“ hat keine Lehre. Es empfiehlt auch nicht, zum Katholizismus zu konvertieren. Es ist vor allem eine Persiflage auf eine intellektuelle Kultur, der alles gleich und gleichgültig ist – und auf den Masochismus des Westens, der alle anderen, „exotischen“ Kulturen stets der eigenen vorzieht. Wahrscheinlich hat die Unterwerfung längst begonnen.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%