Ein neues, bedrohlicheres und offenbar noch schwieriger zu packendes Phänomen ist die internationale Steuergestaltung à la Apple und Google. Deshalb schlug Schäuble zusammen mit seinem britischen Amtskollegen George Osborne im vorigen Herbst Alarm. Seither berät die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) über das Problem von Steuererosion und Gewinnverlagerungen. Bis zu einer Billion Euro Steuern würden den Finanzbehörden weltweit pro Jahr entgehen, heißt es.
Der OECD-Bericht „Addressing Base Erosion and Profit Shifting“ (BEPS) zeigt auf, wie sehr das Internet die territorialen Staaten bedroht. Amazon oder Google brauchen gar keine steuerpflichtigen Betriebsstätten in Ländern wie Deutschland zu errichten, sie kommunizieren mit ihren Kunden online und für den Fiskus unerreichbar. Wer hierzulande trotzdem Filialen errichtet, kann seine Gewinne – wie Ikea oder Starbucks – mittels hoher Lizenzgebühren kleinrechnen und beispielsweise in die Niederlande transferieren, wo Lizenzgewinne nicht besteuert werden.
Nun sollen drei Arbeitsgruppen bei der OECD bis Juni Handlungsempfehlungen erarbeiten. Mitte April wollen sich die Mitglieder zu einer zweitägigen Klausurtagung in Paris treffen. „Cluster 1“ beschäftigt sich mit der Aushöhlung der Steuerbemessungsgrundlagen, Vorsitzender ist der Deutsche Martin Kreienbaum. Der Leiter der Unterabteilung IV B (Internationales Steuerrecht) im Bundesfinanzministerium weiß um die Sensibilität seiner Mission. „Nur ein gegenseitiges Grundverständnis hilft uns weiter“, sagt Kreienbaum diplomatisch. Mit anderen Worten: Schnelle Lösungen sind nicht zu erwarten.
Schon die Frage, was schädlicher Steuerwettbewerb überhaupt ist, wird von den einzelnen Ländern höchst unterschiedlich gesehen. Jede fiskalische Finesse hat schließlich ihre besondere Berechtigung, und ihre Beurteilung hängt vom jeweiligen Standpunkt des Betrachters ab:
- Belgien akzeptiert den Abzug von Eigenkapitalzinsen vom zu versteuernden Gewinn, Deutschland lässt dagegen nur einen Fremdkapitalabzug zu. Belgien argumentiert damit, Eigenkapital mit Fremdkapital steuerlich gleichzusetzen und damit Unternehmen in ihrer Substanz zu stärken. Das sehen übrigens die Wirtschaftsweisen in Deutschland ganz genauso, doch der Bundesfinanzminister fürchtet hier Steuerausfälle in Milliardenhöhe.
- Dass in den Niederlanden Lizenzeinnahmen praktisch nicht besteuert werden, gilt dort als Förderung von Forschung und Entwicklung. Deutsche Kritik kontern die Niederländer, Berlin betreibe selbst eine projektgebundene Forschungsförderung.
- Deutschland bietet seit der Unternehmensteuerreform 2008 die Möglichkeit, Betriebsvermögen erbschaftsteuerfrei zu schenken oder zu vererben. Die Verschonungsregel soll Familienunternehmen beim Übergang von einer Generation auf die nächste nicht schwächen. Über eine sogenannte Cash-GmbH lässt sich aber auch privates Geld-, Immobilien- oder Aktienvermögen am Finanzamt vorbeischleusen.
Nationale Regeln, die bei isolierter Beurteilung bieder und harmlos erscheinen, bekommen durch die zunehmende internationale Vernetzung eine potenzierende Wirkung. Wie ausgefuchst Steuergestalter dabei vorgehen, hat der Experte Reimar Pinkernell von der Bonner Kanzlei Flick Gocke Schaumburg anhand des Beispiels von Google nachverfolgt (siehe Grafik).
In Deutschland ist der Internet-Riese lediglich mit einer kleinen Servicefirma vertreten. Die schätzungsweise drei Milliarden Euro Anzeigenumsatz hierzulande wickelt der Konzern über eine irische Gesellschaft ab. Die deutschen Finanzämter bekommen damit nur die steuermindernden Betriebsausgaben von Googles deutschen Werbekunden zu sehen, nichts aber vom milliardenschweren Gewinn. Der kalifornische Konzern verschiebt seine Gewinne mithilfe von Double-Irish- und Dutch-Sandwich-Konstruktionen, so der Steuerberaterjargon, nahezu steuerfrei in die Karibik. Google-Verwaltungsratschef Eric Schmidt sagt dazu, man nutze nur die legalen Möglichkeiten geschickt aus: „It’s called capitalism. We are proudly capitalistic.“