Tabaksteuer Rettet Cannabis die E-Zigarette?

Ab Juli fällt auf E-Zigaretten eine neue Steuer an

Ab Juli schlägt der Fiskus bei E-Zigaretten mit einer hohen Tabaksteuer zu. Die Branche reagiert mit einer Verfassungsbeschwerde. Vielleicht aber hilft die Legalisierung von Haschisch – samt Harm-Reduction-Strategie bei der Tabaksteuer.

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Um zwölf Uhr mittags öffnet Tante Dampf. An der Rückwand des Ladens stapeln sich Liquid-Fläschchen wie in einer Nespresso-Boutique, die Seitenregale erinnern eher an einen Hörgeräteakustiker, nur dass hier handgroße Verdampfer, Mundstücke und Ersatzheizspulen ausliegen. Schlag zwölf sind bei Tante Dampf am Berliner Südstern alle vier Kassen belegt, die Kundschaft braucht Nachschub für ihre E-Zigaretten.

Ein Mittfünfziger, dunkelgraue Cargohose, Rucksack und Ohrstöpsel, kauft an diesem Junitag gleich 24 Nikotinshots und sechsmal Grüner-Tee-Mix à zehn Milliliter. Der Mann ist auf Hamstertour, hat „schon den Keller voll für drei Jahre“, sagt er. Warum? „Na, weil im Juli die Tabaksteuer kommt. Ist blöd, die Liquids so zu verteuern.“ Der Berliner raucht seit seiner Jugend, ist 2010 auf E-Zigaretten umgestiegen – „die Kippen gingen mir zu sehr auf die Lunge“. 

Steuern für Liquids rauf in vier Stufen

Die Szene für Verdampfer oder Liquids – so nennen Experten die E-Zigaretten – ist in Panik. Grund ist das vor einem Jahr beschlossene Tabaksteuermodernisierungsgesetz, das neben höheren Steuern für die klassische Zigarette erstmals auch eine eigene Abgabe für Verdampfer vorsieht (zusätzlich zur Umsatzsteuer). Zum 1. Juli 2022 tritt die neue Steuer in Kraft und steigt in vier Stufen bis 2026 an. „Ein Zehn-Milliliter-Fläschchen verteuert sich von bisher durchschnittlich 4,95 auf 8,76 Euro“, sagt Dustin Dahlmann vom Bündnis für tabakfreien Genuss und befürchtet: „Das macht unseren Markt kaputt.“

Das Gesetz hatte der damalige Bundesfinanzminister und heutige Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Sommer 2021 durchgedrückt – gegen Vorbehalte beim einstigen Bündnispartner Union und gegen den Willen der heutigen Koalitionspartner FDP und Grünen. Die Lage ist also politisch vertrackt, was mögliche Korrekturen schwierig macht. 

Der neue Finanzminister Christian Lindner (FDP) ist für Änderungen zumindest offen, auch wenn er an dieser Stelle sicherlich keinen Koalitionskrach riskieren würde. „Die Regelungen des Tabaksteuergesetzes werden kontinuierlich evaluiert“, teilt ein Sprecher auf Anfrage mit. Und: „Es erfolgt eine fortlaufende Beobachtung des Tabakwarenmarktes, einschließlich des Marktes für neuartige Produkte.“

Kann die Legalisierung von Cannabis ein Ausweg sein?

Liberale und Grüne suchen nun nach Wegen, Scholz und seine Sozialdemokraten schonend zu einer Korrektur zu bewegen. Die geplante Legalisierung von Cannabis könnte ein Anlass sein, sagt Till Mansmann. Der Oberpfälzer ist in der FDP-Fraktion zuständiger Berichterstatter. „Wenn die Haschisch-Geschichte kommt“, so Mansmann, „wäre das ein Anlass für eine Harm-Reduction-Strategie.“ Will sagen: Zigaretten, Verdampfer und demnächst wohl auch Cannabis sollten nach dem Grad ihrer Gesundheitsgefährdung besteuert werden – E-Zigaretten dann eher weniger stark. Das sieht der grüne Berichterstatter Sascha Müller ähnlich. Für seinen Geschmack ist die Besteuerung der Liquids aus zwei Gründen „etwas zu hoch angesetzt“. Erstens sei die E-Zigarette erwiesenermaßen weniger schädlich als die klassische Tabakzigarette. Zweitens führe eine hohe Liquid-Steuer schnell zu Ausweichbewegungen. 

Tatsächlich kann sich jeder, der im Chemieunterricht einigermaßen aufgepasst hat, Liquids selbst mischen, unter anderem mit handelsüblichem Glycerin aus dem Kosmetikbereich. Müller setzt ebenfalls auf diplomatische Beharrlichkeit: „Wir müssen die Entwicklungen im E-Zigaretten-Markt ganz genau beobachten und zu gegebener Zeit prüfen, ob gesetzgeberischer Nachbesserungsbedarf besteht.“ Aber zurzeit will die SPD noch nichts ändern. Stattdessen bietet die Union Unterstützung an. Der Nürnberger CSU-Politiker Sebastian Brehm sieht wegen der „Überbesteuerung“ bereits gefährliche Liquid-Cocktails unkontrollierbar aus dem Ausland hereinschwappen. 

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Auf die Politik will sich die Branche indes nicht verlassen. Verbandschef Dahlmann hat mit anderen Betroffenen in dieser Woche Verfassungsbeschwerde eingelegt. Sie führen gleich mehrere Gründe an. So betreffe die Steuer neben nikotinhaltigen Flüssigkeiten auch andere Zutaten wie destilliertes Wasser, Glyzerin und Propylenglykol. Im Handel seien diese Produkte aber frei verfügbar und unterlägen dort für private Mixer nicht der Extrabesteuerung – im Gegensatz zu den gewerblichen Herstellern. „Das ist ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz“, heißt es in der 38-seitigen Verfassungsbeschwerde. Dagegen verstoße auch die Tarifhöhe, da sie „eine Lenkungswirkung zu Lasten von Substituten für Tabakwaren und zu Gunsten von Rauchtabak erzeugt“, obwohl E-Zigaretten weniger gesundheitsschädlich seien.

Tante-Dampf-Chefin Laura Deppe-Haarhaus ist jedenfalls fürs Erste skeptisch. Immerhin bleibt eine Galgenfrist. Bis zum 12. Februar 2023 dürfen Händler ihre Altware ohne Tabaksteuer abverkaufen. Laura und ihr Mann Nino haben deshalb Vorräte angelegt, bei Tante Dampf in Berlin-Kreuzberg stapeln sich Kartons voller Fläschchen bis unter die Decke.

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