Tauchsieder Berliner Sommeralbtraum

Die CSU hat in den vergangenen Wochen gezeigt, dass sie als (Mit-)Regierungspartei in Berlin und München selbst am Abbau von politischer Legitimität arbeitet. Quelle: imago images

Der „Asylstreit“ ist beigelegt. Heißt es. Fakt ist: Die CSU hat sich in Deutschland als zweite rechtspopulistische Partei etabliert – und sich aus der Union mit der CDU gedanklich verabschiedet.

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Kurz vor dem Ende von William Shakespeares „Sommernachstraum“ lösen sich alle Paarprobleme und Eifersüchteleien buchstäblich in Märchenluft auf: „Tanzet in den bunten Zimmern / manchen leichten Ringelreihn!“, dekretiert Elfenkönig Oberon nach drei turtel-turbulenten Tagen und Nächten und: „Jedes dieser Paare sei / Ewiglich im Lieben treu.“ Natürlich ist das blanke Ironie. Die Zuschauer wissen längst, was sie von den Amouren, Liebesrasereien und Selbstzuneigungspirouetten speziell des Oberon zu halten haben. Und sollte der Reigen der Untreue aus Lust und Leidenschaft das Missfallen des Publikums erregt haben, bittet Hofnarr Puck das Publikum in seinen Schlussworten – so möge es die Aufführung doch bitte nur als einen Traum betrachten.

Leider hat das Publikum der Berliner Bundespolitik diese Wahl nicht. Der Sommeralbtraum der beiden Unionsparteien geht nun schon in die vierte Woche – und ein Ende des absurden Regierungstheaters um die Asyl- und Migrationspolitik ist noch lange nicht in Sicht. SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles etwa lobt die „Einigung“ mit den Worten: „Es wird keine Gesetzesänderungen geben.“ NRW-Ministerpräsident Armin Laschet sekundiert: Die „Einigung“ sei nichts weiter als eine Bestätigung der „geltenden Rechtslage“. Das bedeutet im Umkehrschluss, die Bundesregierung hat die Absicht, die „geltende Rechtslage“ geltend zu machen – also richtig und wirklich diesmal: Menschen mit Einreiseverbot sollen künftig tatsächlich nicht mehr einreisen!

Schutzsuchende wiederum, die in einem anderen Staat als Deutschland Asyl beantragt haben, nicht aber Schutzsuchende, die bereits in einem anderen Staat registriert wurden, werden auch künftig nur theoretisch an der deutschen Grenze zurückgewiesen, oder sagen wir es genauer: Sie werden von der CSU rhetorisch rausgeschmissen, von der CDU 48 Stunden lang erkennungsdienstlich behandelt und von der SPD sodann ankerzentrisch weiterbearbeitet – wenigstens praktisch gesprochen, denn theoretisch, wie gesagt, werden diese Migranten tatsächlich abgewiesen, dann nämlich, wenn sie praktischerweise an drei ausgesuchten Grenzübergängen in Bayern vorsprechen, um Innenminister Horst Seehofer (CSU) einen Gefallen zu erweisen, und wenn außerdem Italien und Griechenland, rein theoretisch, klar, sich bereiterklären sollten, wirklich zwei, drei der, wie es heißt, täglich fünf, sechs Betroffenen wieder in Empfang zu nehmen…

Die Reaktionen auf die Unions-Einigung im Asylstreit

Ob’s der CSU im Landtagswahlkampf helfen wird? Wenig wahrscheinlich. Hätte sie von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, sich als eifrige Partei der Ordnung und des Rechts zu präsentieren – vielleicht. Stattdessen hat die Seehofer-Söder-Dobrindt-CSU in den vergangenen Wochen eifernd rhetorische Registerwechsel vollzogen, das Thema Migrationspolitik mit rechtspopulistischen Begriffen („Asyltourismus“) vergiftet und die blau-weiße „Heimat“ kreuzritterlich abgegrenzt gegen einen von ihr niqabdämonisierten Islam. Die jüngsten Umfragen sind daher nur auf den ersten Blick widersprüchlich. Einerseits soll die CSU nach dem „Asylstreit“ knapp auf gut 42 Prozent zugelegt haben (Civey). Andererseits sind 78 Prozent der Deutschen unzufrieden mit der Arbeit der Bundesregierung – vor allem mit der von Horst Seehofer. Wieder andererseits begrüßen mit 55 Prozent mehr als die Hälfte der Deutschen, dass jemand offen den Kurs der Kanzlerin in der Asyl- und Flüchtlingspolitik kritisiert (Infratest Dimap).

Das alles lässt den Schluss zu: Eine Mehrheit der Deutschen spricht sich für die Normalität zügiger Asylverfahren und einer geordneten Einwanderungspolitik aus – aber gegen alle Versuche, das „Volk“ eingrenzend, also als demos, als Staatsvolk auf der Basis seiner Gesetzbücher, zu diskreditieren; zugunsten eines ausgrenzenden, ethnisch-kulturell verdeutschen, stammesgemeinschaftlich akzentuierten Begriffs von „Volk“, der angeblich so etwas wie „Identität“ stiften soll.

Vor allem aber hat die CSU in den vergangenen Wochen gezeigt, dass sie als (Mit-)Regierungspartei in Berlin und München selbst am Abbau von politischer Legitimität arbeitet, den sie Kanzlerin Merkel seit mindestens drei Jahren (aus recht guten Gründen) pausenlos vorwirft. Um das zu verstehen, muss man wissen, dass Legitmationsprobleme in modernen Demokratien immer dann entstehen, wenn Selbstanspruch der Politik und Wirklichkeit weit auseinander klaffen, konkret: wenn drängende Probleme nicht gelöst werden (Output-Legitimationsproblem), wenn politische Prozesse undurchsichtig sind, nicht hinreichend verständlich gemacht werden (Throughput-Legitimationsproblem) – und wenn viele Bürger den Eindruck haben, ihr Einfluss auf „alternativlose“ Entscheidungen sei gering, ihrem Handeln in „systemischen“ Verhältnissen seien enge Grenzen gesetzt (Input-Legitimationsproblem).

Auf den so genannten „Asylstreit“ bezogen heißt das: Die Regierungspartei CSU hat dem Wahlvolk in diesen Wochen angezeigt, a) dass drängende Probleme drei Jahre lang nicht gelöst wurden, die b) aktuell nicht mehr drängend sind und die sie vor allem c) nicht ohne Hilfe anderer Staaten lösen kann. Sie hat eine sachliche Diskussion durch die wochenlange Numinosierung des „Masterplans“ verhindert, die Öffentlichkeit geradezu abgeschnitten von der Möglichkeit eines rationalen Diskurses. Und sie hat eben damit den Populisten in die Hände gespielt, deren Geschäft bekanntlich darauf beruht, die Abgehobenheit einer machtverliebten Elite im „Altparteien-System“ gegen die „wahren Interessen“ der Bürger auszuspielen: Wann zuletzt erschien das sprichwörtliche „Raumschiff Berlin“ den konkreten Alltagsproblemen der Menschen (bezahlbares Wohnen, Pflegekosten) so enthoben? Wann zuletzt hat eine Regierungspartei so aggressiv Ängste und Irrationalitäten bewirtschaftet, so offensiv die Oppositionsrolle eingenommen?

Anders gesagt: Neben der AfD dürften wohl allein noch Politikwissenschaftler die derzeitige Vorstellung der CSU begrüßen: Bisher hat in der Bundesrepublik noch keine Regierungspartei versucht, sich Rechtspopulisten mit einem Rechtspopulismus vom Leib zu halten, der im Namen der Legitimität des demokratischen Rechtsstaats am Abbau demokratischer Legitimität arbeitet. Denn eines ist klar: Abzüglich der rechtsradikalen Widerlichkeiten der AfD („Denkmal der Schande“, „Vogelschiss“) bietet sich die Söder-CSU, auch wirtschaftspolitisch (Europolitik, Griechenland, „Bayern first“) längst mehr als „Alternative“ zu ihrer Bundespolitik denn als Vertreterin ihrer Bundespolitik an – und steht der AfD längst näher als ihrer so genannten Schwesterpartei.

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