Tauchsieder

Was ist Populismus?

Seite 2/3

Die Selbstviktimisierung einer "Minderheit"

Jan-Werner Müller, deutscher Politik-Professor in Princeton, räumt in seinem erhellenden Essay* zunächst auf mit allzu leichtgängigen Versuchen, den „Populismus“ dingfest zu machen. An binären Kategorien wie „rechts“ und „links“ etwa lasse sich kein Halt gewinnen, solange AfD und Linke, Donald Trump und Bernie Sanders des Populismus verdächtigt würden.

Auch die Selbstviktimisierung einer „Minderheit“ gegenüber dem „Mainstream“ sei kein typisches Kennzeichen von „Populisten“, weil zum Beispiel auch so unterschiedliche Regierungspolitiker wie der türkische Präsident Recip Tayyep Erdogan oder der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer für sich in Anspruch nehmen, die Stimme des Volkes zu repräsentieren.

Nicht weiter, so Müller, hilft auch ein basisdemokratisch positivierter Begriff von „Populismus“, wie er vor allem in den Vereinigten Staaten gepflegt wird: Dort ist, im allgemein bewunderten Sinn, ein „populist“, wer sich die Interessen der „Main Street“ zu eigen macht - sei er ein Linker, um gegen die Macht der „Wall Street“ zu wettern oder aber ein Rechter, dem „Washington“ verhasst ist (Hier liegt das Erfolgsgeheimnis von Donald Trump, dessen „populism“ parteiübergreifend ist).



Zurück zum Artikel

Besonders eindringlich schließlich warnt Müller davor, eine vom „Populismus“ angesprochene Bevölkerung zu psychologisieren. Politik verkomme zur „Gruppentherapie“, wenn sie meine, bloß vermeintliche „Ressentiments“, „Sorgen“ und „Ängste“ aufnehmen zu müssen, um sich die argumentative Auseinandersetzung zu ersparen. „Wer genau hinhört“, schreibt Müller scharf, vernimmt im „herablassenden Gestus liberaler Eliten… noch ein Echo alter, vordemokratischer Vorurteile über die „Pöbelherrschaft“ oder emotionalisierte Massen, die zum Selberdenken grundsätzlich nicht in der Lage sind.“

Müller schlägt daher vor, den Populismus nicht zu verallgemeinern, ihn statt dessen definitorisch zu verengen, demokratietheoretisch zu schärfen: Wer simple Versprechen macht, komplexe Zusammenhänge vereinfacht oder Erlösung von allen Alltagssorgen verspricht, mag ein Demagoge sein, so Müller. Aber das heiße noch lange nicht, dass er deshalb auch schon ein Populist sei.

Ein Populist, so Müllers Vorschlag, ist nur dann ein Populist, wenn er nicht nur wie ein Volkstribun, sondern dabei auch antipluralistisch und moralisch exklusiv argumentiert, das heißt: wenn sein „Wir“ nach einem Alleinvertretungsanspruch, nach einem „Nur wir“ klingt und sich gegen „die anderen“ stellt. Populisten, so Müller, müssen „eine moralische Trennlinie ziehen“ zwischen dem, was sie für das „wahre“ Volk und seine Interessen halten - und denen, die auch zu diesem Kollektiv gehören.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%