Tauchsieder

So geht Klima-Kapitalismus!

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Die Unersättlichkeit

Das Motiv der Unersättlichkeit und des Raubbaus an der Natur entlehnt Wagner der Antike: Kallimachos und Ovid erzählen die Sage des Erysichthon, der in den heiligen Hain der Ceres (Demeter), der Göttin des Ackerbaus und der Fruchtbarkeit, einbricht und dort „schamlos“ die „Doppelaxt“ kreisen lässt. Erysichthon will sich mit dem Holz der Eiche eine schicke Villa bauen, um darin seine Freunde mit üppigen Festessen verwöhnen zu können. Dass er mit dem heiligen Baum (Mutter Natur) die Grundlage seiner Gastmähler zerstört, entgeht ihm in seiner blinden Gier; sein kurzfristiges Interesse kennt keinen Triebaufschub, sein mangelndes Verständnis für jede Form von Nachhaltigkeit riskiert die Ausbeutung derselben Ressourcen, die sein Überleben sichern. Ceres entscheidet sich daher, Erysichthon mit Unersättlichkeit zu strafen und schickt nach dem Hunger, der sich in kargem Gebirg’ von „dürftigen Kräutern“ nährt, „struppig sein Haar und hohl seine Augen, Blässe im Antlitz,/ Fleischlos die Lippen und grau, voll  rauen Schorfes der Rachen“. Und der Hunger senkt sich also in Erysichthon, „weht Brust ihm, Rachen und Antlitz/ An und flößt  seine Leere ihm tief in das hohle Geäder“: „Da raste die Essgier,/ Herrschte im ewigen Schlund und den unermessnen Geweiden./ Ohne Verzug verlangt er, was Meer, was Erde,  was Luftreich/ Liefern und klagt an gedecktem Tisch, ihn quäle der  Hunger…“ 

Am Ende ist die Unersättlichkeit Erysichthons so groß, dass er anfängt, sich selbst zu zerfleischen: „Der Unselige nährt seinen Leib, indem er ihn aufzehrt“ – eine kräftige Metapher für die Umweltzerstörung und Ressourcenverschwendung, die Zerstörung der Regenwälder, die Überfischung der Meere, die Ausbeutung der Öl- und Kohlevorkommen, die klimatische Übernutzung des Globus – und für die systemimmanente Unersättlichkeit des Kapitalismus insgesamt, den Vermehrungszwang des Geldes und die Risiken einer sich selbst (und uns) verzehrenden Wachstumsdoktrin.

Aber Vorsicht. Wagner ist nicht nur Klimaaktivist und Antikapitalist. Sondern auch Antisozialist. In Wagners Geld-Welt gibt es keine Gewinner und Verlierer, nur Gebückte, Getriebene und Verdorbene, die auf je eigene Weise dem Diktat des Geldes unterworfen sind. Gewiss, Alberich, der um des Geldes willen auf die Liebe verzichtet und sich darauf verlegt, geldwerten Sex zu kaufen, hat einen hinreißenden Auftritt als Proto-Kapitalist, der seine Arbeiter um des persönlichen Profits willen knechtet und antreibt, ganz unverhohlen einen Schatz und damit Macht häuft. Doch da ist auch noch Bundeskanzler Wotan, der im höheren Interesse Rheingoldräuber Alberich enteignet, weil er das Geld in Staatshänden besser aufgehoben meint – und Wotan denkt nicht daran, es den Beherrschten oder den Rheintöchtern zurückzugeben: „Was schwatzest du da?/  Was schwer ich mir erbeutet,/ ohne Bangen wahr’ ich’s für mich.“ 

Und die Figur des Riesen Fafner schließlich, der artig die Götterburg Walhall gebaut hat, nur um die Erfahrung zu machen, dass sein staatskirchlicher Arbeitgeber (Wotan) ihn um seinen gerechten Lohn prellen will, gerät Wagner zu einer grandiosen Verulkung der Marxschen Utopie: Nachdem der Prolet(arier) seinen Bruder Fasolt aus blinder Gier erschlagen und den Nibelungenschatz geraubt hat, weiß er mit dem Geld nichts anzufangen und weiht sein Leben, dumm, blöd und schläfrig, der Bewachung des Hortes… – offenbar weckt das Geld in den Händen des gemeinen Volkes nur den Entschluss, zu verhindern, dass andere es bekommen. Nein, so Wagners Subtext: Dann ist das Geld bei einem Kapitalisten wie Alberich, der wenigstens irgendwas mit ihm anzufangen weiß, schon besser aufgehoben:

„Schätze zu schaffen
und Schätze zu bergen…
mit dem Hort…
denk’ ich dann Wunder zu wirken:
die ganze Welt
gewinn’ ich mit ihm mir zu eigen.“

Und – was lernen wird daraus?

Erstens: Es gibt kein Zurück in die eine geldlose Zeit – und wir müssen lernen, den Verlustschmerz auszuhalten.

Zweitens: Wir sollten erst gar nicht den Versuch unternehmen, das Maximierungsinteresse des Geldes zu stören; es ist als Produktivkapital in der Hand von Eigentümer-Kapitalisten allemal besser angelegt als in den Händen des Staates konzentriert oder von Sozialisten verwaltet.

Und drittens: Wir sollten dem Kapital seine Grenzen aufzeigen, wenn es Gefahr läuft, die (natürlichen) Grundlagen unseres Lebens zu verzehren – und ihm statt dessen zunehmend viele knappe Güter anbieten, die bisher seiner Verfügung entzogen waren. Ein prima Klima und eine intakte Natur, gute Arbeitsbedingungen und ein selbstbestimmtes Leben – das alles bedarf keiner Alarmisten, Leugner und Sozialingenieure. Wohl aber einer klugen Ordnungs-, Verkehrs- und Raumpolitik – und ausreichend Geld von Kapitalisten.

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