
Stephan Grünewald hat kürzlich junge Deutsche auf die Couch gelegt und war am Ende etwas überrascht. Der Mann ist Trendforscher, er betreibt in Köln die Unternehmensberatungsfirma Rheingold und findet mit tiefenpsychologischen Methoden heraus, was die Menschen hierzulande wünschen, fürchten und träumen.
Als er das zuletzt bei jungen Erwachsenen erfragte, solchen im Berufsanfängeralter zwischen 18 und 21, staunte er: "Wir waren verblüfft, wie bürgerlich-konservativ die Lebensträume ausfallen." Die Traumberufe seien heute oft diejenigen, die in den siebziger Jahren eher noch ein niedriges Sozialprestige hatten: Beamter, Bankkaufmann, Versicherungsangestellter.





Der German Dream – für den Psychologen Grünewald ist er in dieser Generation ein Streben nach Sicherheit, nach Überschaubarkeit, nach "einer beständigen Welt, in der wieder Sekundärtugenden zählen". Nach solider, planbarer aber keineswegs aufregender beruflicher Laufbahn, nach einer guten Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Risiko und Unternehmertum bleiben die Sache einer Minderheit.
Vielleicht überspitzt der Rheingold-Chef sein Urteil auch ein wenig. Es gibt ja Listen der beliebtesten Berufe junger Deutscher, ermittelt in Umfragen oder bei den Ämtern. Da kommen auch immer wieder Jobs wie "Fotograf", "Architekt" und auch "Informatiker" vor; da gibt es immer auch junge Menschen, die sich selbständig machen wollen und freiberuflich oder als Unternehmensgründer ihr Glück versuchen. Aber ganz grob betrachtet und im Vergleich mit anderen Ländern ist da etwas dran: In Deutschland träumt man nicht den großen Traum von Wagnis, Abenteuer und Selbstverwirklichung als Unternehmer. Man will ein Einfamilienhaus.





Das alte Klischee
Auf die Wirtschaftskraft und für die Neuerungsfähigkeit eines Landes haben solche Träume und Sehnsüchte einen Einfluss, sie übersetzen sich ja in unternehmerischen Wagemut, in Pflichtbewusstsein bei der Arbeit, in die Bereitschaft zur Anstrengung und Selbstausbeutung. So argumentierte schon der Sozialforscher Max Weber, der die kulturell gegebene Arbeitsethik einst zur Keimzelle des ganzen Kapitalismus erklärte. Der Harvard-Historiker Niall Ferguson sah das nicht viel anders, als er kürzlich über Deutschland und seine europäischen Nachbarn bitter urteilte: "Europäer sind heute die Faulpelze der Welt. Im Durchschnitt arbeiten sie weniger als Amerikaner und viel weniger als Asiaten. ...
Zwischen 2000 und 2009 arbeitete ein durchschnittlicher Amerikaner knapp 1.711 Stunden pro Jahr, aber der durchschnittliche Deutsche nur 1.437 Stunden." Seit 1979 klaffe diese Schere immer weiter auseinander, sagt Ferguson.





Aber warum wird in den USA im Vergleich so hart gearbeitet? Tatsächlich stoßen viele Forscher auf der Suche nach Erklärungsmustern auf das alte Klischee des American Dream. Eine hohe Zahl von Amerikanern bekennt sich in Umfragen bis heute zu diesem Set von Vorstellungen: dass in ihrem Land jedermann den Aufstieg schaffen könne, egal welcher Herkunft oder Hautfarbe, solange er hart genug arbeite und ein ordentliches Leben führe. Wenn man an so etwas wirklich glaubt, ist das eine wunderbare Voraussetzung dafür, dass man sich für die Arbeit maximal aufopfert. Dass man Rückschläge wegsteckt, wieder auf die Beine kommt und etwas Neues anfängt.